Politik

Auf die Kinder kommt es an. Jetzt!

Schulkinder in Kuala Lumpur

Kinderrechte global zu stärken, ist gerade mit Blick auf die gegenwärtigen globalen Krisen das Gebot der Stunde. Welche Weichenstellungen nötig sind, um Kinderrechte in der Entwicklungszusammenarbeit strategisch zu verankern, zeigt unser Blogbeitrag zum Internationalen Tag der Kinderrechte am 20. November auf.

Jeder dritte Mensch auf der Erde ist ein Kind (d.h. unter 18 Jahren gemäß der Konvention der Vereinten Nationen, UN). Kinder sollten eine der wichtigsten Zielgruppen der Entwicklungszusammenarbeit sein. Und doch werden Kinder viel zu oft übersehen.

Der Internationale Tag der Kinderrechte am 20. November ist weltweit Anlass für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, für die Rechte von Kindern einzutreten: für ihre gesunde Entwicklung, für ihre Partizipation und für eine gerechtere und nachhaltigere Zukunft. Kinderrechte sind universell gültig. Dies ist in der UN-Kinderrechtskonvention festgelegt, die ihre Geburtsstunde am 20. November 1989 hatte, vor nunmehr 32 Jahren.

Trotz vieler Erfolge in den vergangenen drei Jahrzehnten bleiben ernüchternde Fakten. Denn gerade in den ärmeren Ländern dieser Welt – aber nicht nur dort – drohen gegenwärtige Krisen, erzielte Fortschritte zunichte zu machen.

Corona- und Klimakrise sind verheerend für Gesundheit, Ernährung und Bildung

Die Auswirkungen der Pandemie haben existenzielle Gefahren für die Gesundheit, den Schutz und die Entwicklung von Kindern ergeben. Jedoch wird noch nicht ausreichend wahrgenommen, was die Pandemie weltweit für Kinder bedeutet. Vor allem in den ärmsten Ländern geraten Kinder und ihre Familien in existenzielle Not. Für arme und benachteiligte Kinder bedeutet die Corona-Pandemie vielfach Mangelernährung, Hunger und zunehmende Gewalt, große Einschränkungen beim Zugang zu Bildung und Gesundheit. In allen Ländern der Welt waren und sind Kinder durch die Schließung von Schulen und Hilfseinrichtungen einem stärkeren Risiko von häuslicher und sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Fortschritte, die in den letzten Jahrzehnten für Kinder erzielt wurden – auch wenn sie nicht hinreichend waren – drohen nun zunichte gemacht zu werden: Etwa, wenn Kinder nicht wieder in die Schulen zurückkehren, weil sie arbeiten und zum Familieneinkommen beitragen müssen.

Auch die Folgen der globalen Klimakrise sind für Kinder bereits heute verheerend: Hitze, Wasserknappheit, Extremwetterlagen und Luftverschmutzung bedrohen das gesunde Aufwachsen, und damit die Lebensgrundlagen von Kindern als besonders vulnerable und schutzbedürftige Menschen. Aufgrund des Klimawandels nimmt der Druck zur Migration auf Menschen auf der ganzen Welt zu. Die Klimakrise ist auch eine Krise der Kinderrechte. Denn die Klimakrise stellt in ihrem Ausmaß eine existenzielle Gefahr für Gesundheit, Ernährung und Bildung dar – die zentrale Grundlage für die Zukunft von allen Kindern weltweit.

Die genannten Herausforderungen von Klimawandel und Umweltzerstörung, Armut, Hunger und Ungleichheit betreffen Kinder überproportional: 48 Prozent, fast die Hälfte der armen Menschen weltweit, sind Kinder. Zudem sind Kinder öfter gleichzeitig von mehreren Mangelsituationen betroffen.

Deutsche Entwicklungszusammenarbeit: Kluft zwischen Anspruch und Realität

Trotz dieser Herausforderungen werden die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen in der Realität von der Politik oft übersehen, nicht gehört und sie werden zu wenig beteiligt. Dies trifft auch auf die deutsche Entwicklungszusammenarbeit (EZ) zu. Anspruch und Realität klaffen deutlich auseinander.

Die deutsche EZ selbst hatte sich 2017 in ihrem Aktionsplan „Agents of Change“ vorgenommen, international Vorreiter für Kinderrechte zu werden. Eine Bewertung des im Sommer 2021 veröffentlichten Endberichts des Aktionsplans führt jedoch zu dem Schluss, dass dieses Ziel noch nicht erreicht worden ist. Zwar hatte sich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) einer Reihe wichtiger kinderrechtlicher Themen angenommen, wie etwa dem Kampf gegen ausbeuterische Kinderarbeit oder der Einrichtung eines Jugendbeirats im BMZ. Jedoch fehlt ein systematischer kinderrechtlicher Politikansatz: Es stehen weiterhin notwendige Schritte der Bundesregierung aus, eine kohärente und auf die Erreichung von Kinderrechten zielende Gesamtstrategie als Grundlage der deutschen EZ zu entwickeln und umzusetzen. So sind Kinderrechte nicht in allen Handlungsfeldern systematisch angelegt. Auch fehlt es an einem Monitoring-System, das die regelmäßige, systematische und einheitliche Überprüfung der Umsetzung menschenrechtlicher Vorgaben in der staatlichen EZ ermöglicht.

Wie kann eine eine internationale Vorreiterrolle für Kinderrechte erreicht werden?

Es bleibt ungewiss, ob und in welcher Weise Kinderrechte in einer künftigen Bundesregierung und beim BMZ stärker und systematischer verankert werden (wie z.B. durch den Reformprozess „BMZ 2030“). Dies ist jedoch unabdingbar, damit die notwendigen Prioritätensetzungen der deutschen EZ für die frühkindliche Entwicklung sowie für Kinder und Jugendliche gesteigert werden, gerade mit Blick auf die grundlegende soziale Infrastruktur (Gesundheit, Ernährung, Bildung, Schutz vor Gewalt). Angesichts der immensen Herausforderungen durch die Corona-Pandemie und den Klimawandel ist dies elementar.

Und last but not least: Zwingend notwendig bleibt eine Kindesschutz-Policy für das Entwicklungsministerium und alle EZ-Durchführungsorganisationen sowie für die Freiwilligendienste, damit Kinder im Einflussbereich der deutschen Entwicklungszusammenarbeit vor Schaden und Gewalt geschützt werden. Auch dies ist essentielle Grundlage dafür, dass die deutsche EZ eine internationale Vorreiterrolle für Kinderrechte glaubhaft reklamieren kann.

Kinderrechte und nachhaltige Entwicklung sind untrennbar miteinander verbunden

Eine Entwicklungspolitik, die einen großen Teil der Weltbevölkerung und die nächste Generation ignoriert, wird nicht nachhaltig sein. Vielmehr gilt: Investitionen in bessere Lebenschancen und Perspektiven für Kinder führen zu deutlichen Verbesserungen, sowohl für Kinder und Jugendliche selbst, als auch für die ganze Gesellschaft. Entwicklungspolitik muss deshalb die Belange von Kindern und Jugendlichen systematisch einbeziehen und strategisch umsetzen. Die UN-Kinderrechtskonvention ist hierfür die Grundlage, die Agenda 2030 gibt Wege und Ziele vor.

Was jetzt zu tun ist

Es ist die Zeit für verantwortungsvolle Weichenstellungen. Gegenwärtig laufen die Koalitionsverhandlungen zu einer möglichen Ampel-Koalition. Eine künftige progressive neue Bundesregierung tut gut daran, ein starkes Zeichen zu setzen, damit universell gültige Kinderrechte auf der politischen Agenda sowie in einer nachhaltigen Entwicklungszusammenarbeit einen hohen Stellenwert einnehmen. Das beinhaltet:

  • Die künftige Bundesregierung sollte im Sinne der Agenda 2030 eine kohärente, auf die Erreichung von Kinderrechten abzielende Gesamtstrategie entwickeln, die als Grundlage der deutschen Entwicklungspolitik dient.
  • Die Rechte von Kindern und Jugendlichen müssen durchgängig verankert werden („Mainstreaming“). Ziel sollte eine systematische Überprüfung der Umsetzung menschenrechtlicher Vorgaben ein.
  • Die Investitionen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in frühkindliche Entwicklung sowie in die für Kinder und Jugendliche grundlegende soziale Infrastruktur (Gesundheit, Ernährung, Bildung, Schutz vor Gewalt) sollten deutlich erhöht werden.
  • Eine verbindliche Kindesschutz-Policy sollte für die Arbeit des Bundesentwicklungsministeriums, der Durchführungsorganisationen und der Freiwilligendienste der deutschen Entwicklungszusammenarbeit erarbeitet und umgesetzt werden.

Die gegenwärtigen globalen Krisen und Herausforderungen, die durch die Pandemie, Hunger und Armut sowie den Klimawandel geprägt sind, erfordern entschlossenes Handeln. Kinderrechte global zu stärken, ist das Gebot der Stunde, damit die junge Generation ihre Chancen auf eine lebenswerte Zukunft ergreifen kann.


Dieser Blogbeitrag wurde gemeinsam verfasst von Dr. Christian Neusser (Sprecher der VENRO-AG Kinderrechte), Judy Müller-Goldenstedt (Sprecherin der VENRO-AG Kinderrechte) und Anke Scheid (VENRO-Referentin im Bereich Humanitäre Hilfe, Frieden und Teilhabe aller).