Politik

Bildung darf nicht warten – auch nicht in Krisen- und Konfliktgebieten!

Die Globale Bildungskampagne, ein weltweites Bündnis von Hilfsorganisationen und Bildungsgewerkschaften, appelliert mit ihrer neuen Studie an die deutsche Bundesregierung, Bildung nicht mehr auf die lange Bank zu schieben. Bisher wird die Förderung von Bildung nach humanitären Katastrophen oder in Krisengebieten stark vernachlässigt.

Humanitäre Hilfe ist Überlebenshilfe, also die schnelle Bereitstellung von Nahrungsmitteln, sauberem Wasser, Medizin und Unterkünften durch internationale Hilfsorganisationen – dieses Verständnis der Humanitären Hilfe prägt die Berichterstattung aus Krisen- und Konfliktregionen und ist in unser aller Köpfen. Aber schon lange wird das der Natur der heutigen Krisen nicht mehr gerecht: Es dauert im Durchschnitt 19 Jahre bis eine Krisensituation beendet ist, also ungefähr die Spanne von der Geburt bis zum Erwachsenwerden.

Es liegt auf der Hand, dass Kinder und Jugendliche in all diesen Jahren nicht nur physisch am Leben gehalten werden müssen, sondern auch emotionale Nähe, geistige Anregungen und Perspektiven für ihr Leben brauchen. Die Betroffenen selbst messen Bildung einen großen Stellenwert zu, wie die Globale Bildungskampagne (GBK) in einer neuen Studie zeigt.

Bildung ist ein Grundnahrungsmittel

Bildungsangebote können Kindern dabei helfen, traumatische Erlebnisse zu verarbeiten. Der Schulbesuch stellt eine gewisse Normalität wieder her, bietet emotionalen Halt und Schutz. Andersherum sind Kinder, die in Krisen- und Kriegsgebieten nicht zur Schule gehen können, einem höheren Risiko ausgesetzt, Opfer von Ausbeutung, Gewalt, sexuellen Übergriffen, Kinderarbeit und Zwangsverheiratung zu werden oder als Kindersoldaten rekrutiert zu werden. Ohne Lernchancen und Ausbildungsmöglichkeiten drohen die dort lebenden Kinder zu „verlorenen Generationen“ heranzuwachsen.

„Bildung ist ein Grundnahrungsmittel“, betonte daher auch Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) bei der Veröffentlichung der Studie Ende März in Berlin.

Bildung ist chronisch unterfinanziert

Die Autorinnen der Studie haben zahlreichen Strategiepapiere des Auswärtigen Amts (AA) und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) analysiert; sie haben Daten aus dem Büro der Vereinten Nationen zur Koordinierung der Humanitären Hilfe (UN-OCHA Financial Tracking Service) und aus der OECD-DAC Datenbank ausgewertet und 14 qualitative Interviews geführt.

Das Ergebnis ist traurig, aber wahr: Bildung wird im Koalitionsvertrag zwar als Schwerpunktthema der Bundesregierung genannt. Tatsächlich werden aber  – gemessen am Bedarf – viel zu wenig Mittel für Bildung, vor allem zu wenig für Grundbildung, bereitgestellt. Es ist durchaus positiv hervorzuheben, dass im Jahr 2016 im Vergleich zu den Vorjahren mehr Mittel für Bildung in Krisen und Konflikten zugesagt wurden, diese sind allerdings geographisch sehr ungleich verteilt und beschränken sich vor allem auf die Region rund um Syrien.

Weltweit können rund 75 Millionen Kinder nicht zur Schule gehen, weil sie in Krisen- oder Konfliktgebieten leben. Viele sind in Ländern mit sogenannten vergessenen Krisen zuhause, d.h. Krisen, die weit weniger mediale Aufmerksamkeit erfahren als Syrien, wie z.B. Jemen, Somalia oder Südsudan. Flüchtlingskindern sowie Mädchen und Kindern mit Behinderungen bleibt der Schulbesuch besonders häufig verwehrt.

Bildung darf nicht warten – wir müssen jetzt handeln!

UNICEF-Bildungsexperte Friedrich W. Affolter forderte bei der Vorstellung der Studie in Berlin: „Wir müssen jetzt handeln. Aktuell fehlen jährlich rund 8,5 Milliarden US-Dollar, um Kindern in Kriegs- und Krisengebieten Bildung zu ermöglichen. Wir brauchen daher nicht nur mehr politisches Engagement und bessere Koordination zwischen allen beteiligten Akteuren, sondern auch den flexiblen und planbaren Einsatz finanzieller Mittel.“

Die Globale Bildungskampagne ruft die Bundesregierung dazu auf, sich an der Finanzierung des neuen Hilfsfonds für Bildung in Krisen und Konflikten, Education Cannot Wait, zu beteiligen. Zudem empfiehlt sie, einen festen Anteil der humanitären Hilfsgelder aus dem Bundeshaushalt für Bildung vorzusehen. Bislang sind es weniger als zwei Prozent. Die GBK fordert acht Prozent. Weitere Empfehlungen an die jetzige und zukünftige Bundesregierung finden Sie hier.

Die Ergebnisse der Studie sind aber nicht nur ein guter Anlass, um die deutsche Bundesregierung in die Pflicht zu nehmen, sondern auch an die eigenen Selbstverständlichkeiten zu rühren: Oft schieben auch nicht-staatliche Hilfsorganisationen die Förderung von Bildung auf. Es ist an der Zeit, die Gräben zwischen Humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit zu überwinden und Bildung von Anfang an mitzudenken!