Politik

CFS-Jahrestreffen: Hunger ist in erster Linie ein politisches Problem

Der UN-Welternährungsrat CFS gilt als ein äußerst innovatives globales politisches Forum. Als auf seinem virtuellen Jahrestreffen nun Leitlinien zu nachhaltigen Ernährungssystemen verabschiedet werden sollten, waren die Hoffnungen entsprechend groß. Die Verhandlungen machten jedoch nur einmal mehr den Unwillen führender Exportländer deutlich.

Vom 8. bis 11. Februar 2021 fand das Jahrestreffen des Welternährungsrates (Comittee on World Food Security, CFS) statt. Es wurde in der Hoffnung auf bessere Zeiten von Oktober 2020 auf diesen Februar verschoben, musste dann aber doch virtuell abgehalten werden. Zwei zentrale Politikprozesse standen auf der Agenda: Die Verabschiedung der UN-Leitlinien zu nachhaltigen Ernährungssystemen sowie die Besprechungen des Expert_innen-Berichts zur Zielerreichung ‚zero hunger‘ bis zum Jahr 2030.

Auch Hungernde haben im Welternährungsrat eine Stimme

Zur Erinnerung: Der Welternährungsrat mit Sitz bei der Welternährungsorganisation FAO in Rom ist damit beauftragt, globale Aktivitäten und Prozesse zum Thema Welternährung und Recht auf Nahrung zu koordinieren. Als Reaktion auf die Nahrungsmittelpreiskrise 2007/2008 unterlief er einen substantiellen Reformprozess und gilt heute als ein äußerst innovatives globales politisches Forum. So ist er in einem menschenrechtlichen Rahmen verankert und steht der selbstorganisierten Beteiligung von Organisationen offen, die die am stärksten von Ernährungsunsicherheit betroffenen Bevölkerungsgruppen repräsentieren. Über diesen Zivilgesellschaftsmechanismus (Civil Society Mechanism, CSM) können alle Gruppen, deren Recht auf Nahrung verletzt wird – wie etwa Kleinbäuer_innen, Arbeiter_innen, Fischer_innen, Indigene – direkt an den Entscheidungsprozessen zu Welternährungsfragen beteiligt werden. Auch die Beteiligungsrechte der Frauen und Jugendlichen wurden gestärkt. Oft wird daher auch vom CFS als der ‚inklusivsten globalen Governance-Plattform‘ gesprochen.

Hungerbekämpfung: Nur mit Betroffenen im Zentrum haben wir eine Chance

Über sein Expert*innen-Gremium HLPE (High Level Panel of Experts) kann der reformierte CFS auch wissenschaftliche Berichte erstellen und Handlungsoptionen formulieren. Auf der aktuellen Sitzung wurde der Bericht Food Security and Nutrition: Building a Global Narrative towards 2030 präsentiert. Die Wissenschaftler_innen waren beauftragt, unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie strategische Empfehlungen für die Politik zu erarbeiten, um das in die Ferne gerückte Ziel, den Hunger bis 2030 zu weltweit zu beenden, doch noch zu erreichen.

Zwei zentrale Aussagen wurden dort formuliert: Erstens muss der Umsetzung des Menschenrechts auf Nahrung Priorität eingeräumt werden. Der Bericht konstatiert, dass es bei dem rechtebasierten Ansatz weiter sehr große Mängel in der praktischen Umsetzung gibt. Zweitens – und eng damit verbunden – heben die Wissenschaftler_innen das Konzept der ‚agency‘ besonders hervor. Dies kann vielleicht am besten mit dem deutschen Wort ‚Handlungsmacht‘ übersetzt werden und ist eng verbunden mit den menschenrechtlichen Ansätzen der Partizipation und Nicht-Diskriminierung: Die Betroffenen müssen in der Lage sein, Entscheidungen zu treffen und an Politikprozessen mitzuwirken.

Damit hebt sich der Bericht erfrischend deutlich von den Botschaften und Empfehlungen ab, die stark auf vermeintlich technische Lösungen – insbesondere agrarindustrielle Produktionssteigerungen –setzen. Dieser einseitige und bis heute dominante Ansatz muss, so die Wissenschaftler_innen, durch einen radikalen Transformationsprozess unserer Ernährungssysteme im Ganzen ersetzt werden.

Chance vertan: schwache Leitlinien zu Ernährungssystemen verabschiedet

Nach anderthalb Jahren Konsultationen und Verhandlungen wurden beim virtuellen Jahrestreffen zudem Leitlinien zu nachhaltigen Ernährungssystemen verabschiedet (Voluntary Guidelines on Food Systems and Nutrition). Die Hoffnung war groß, dass durch den gesamtheitlichen Blick auf Ernährungssysteme – also nicht Wertschöpfungsketten oder Anbaumethoden – neue Normen für die notwendige Transformation erarbeitet würden. Jedoch zeigte sich, dass insbesondere die führenden Exportländer die Verhandlungen stark unter Druck setzten. Die Interessen ihrer Konzerne hatten bei den Verhandlungen deutlich mehr Gewicht, als neue Ansätze für nachhaltigere, gesündere und gerechtere Ernährungssysteme. Anstatt diese Chance für neue Strategien und Normen zu ergreifen, spiegeln die Leitlinien so überwiegend den kleinsten gemeinsamen Nenner wider.

Der Versuch einiger weniger Staaten und der Zivilgesellschaft, Menschenrechte und das – eigentlich ebenso selbstverständliche – öffentliche Interesse ins Zentrum der Leitlinien zu stellen, wurde systematisch bekämpft. Besonders negativ haben sich nach Bewertung der Zivilgesellschaft Russland und die USA hervorgetan. In dieser Linie gilt auch festzuhalten, dass der Privatsektor über seinen eigenen Beteiligungsmechanismus (PSM, Private Sector Mechanism) in den Verhandlungen Menschenrechte nie eingebracht und aktiv unterstütz hat. Nur dort, wo das Geschäftsinteresse der Privatwirtschaft tangiert war – beispielsweise beim hitzig diskutierten Thema Antibiotikaresistenzen – meldeten sich dessen Vertreter_innen zu Wort.

Letztendlich waren diese Verhandlungen auch vom virtuellen Format geprägt, in dem ein Verhandeln deutlich erschwert war. Aktuell beraten sich die Mitglieder des Zivilgesellschaftsmechanismus, um über eine offizielle Unterstützung dieser Leitlinien zu entscheiden. Diese werden sich – wenn überhaupt – sehr schwer mit einer Unterstützung tun.

Ohne institutionelle Veränderungen werden wir den Hunger nicht besiegen

Diese beiden Themen der 47. Sitzung des Welternährungsrates zeigen wie im Brennglas, dass Hunger in erster Linie ein politisches Problem ist. Die Verhandlungen der Leitlinien haben den Unwillen vieler Regierungen aufgezeigt, die notwendigen Veränderungen im Bereich Ernährungssysteme anzugehen. Der Expert_innen-Bericht verweist auf die große Lücke in Sachen Beteiligung und Teilhabe von Betroffenengruppen.

Hier gibt es auch in der deutschen Politik große Leerstellen. In diesem Sinn wäre es spannend, ein Beratergremium für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ins Leben zu rufen, das aus Organisationen besteht, die die am stärksten von Ernährungsunsicherheit betroffenen Bevölkerungsgruppen repräsentieren. Vorschläge in diese Richtung wurden schon mehrfach geäußert. Ohne solche institutionellen Veränderungen werden wir das Ziel, den Hunger bis 2030 zu beenden, ganz sicher nicht erreichen.