Politik

„Die Fördervereinbarungen sind oftmals sehr unflexibel“

Die Folgen der Corona-Pandemie sind vielschichtig und wirken sich auch auf die Arbeit der zivilgesellschaftlichen Organisationen aus. Im Interview erläutert Malte Schrader vom Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft, wie sie mit flexiblen Förderbedingungen besser unterstützt werden können.

Herr Schrader, die Corona-Krise stellt nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Zivilgesellschaft vor enorme Herausforderungen. Das Maecenata Institut hat in einer Studie die Potenziale und Bedarfe der Zivilgesellschaft im Zuge der Corona-Krise untersucht – welche Unterstützung erhalten zivilgesellschaftliche Organisationen aus der Politik?

„Die überwiegend finanziellen Hilfsprogramme der verschiedenen Bundes- und Landesbehörden sind weder koordiniert noch gesamthaft erfasst. Sie richten sich überwiegend an den Dienstleistungssubsektor der Zivilgesellschaft, oftmals im Bildungs-, Wohlfahrts-, Sport- und Kulturbereich. Um von ihnen profitieren zu können, werden in der Regel der Status der Gemeinnützigkeit und die Zugehörigkeit zu Verbänden vorausgesetzt. Das Vorweisen eines eingeschränkten Geschäftsbetriebes aufgrund der Pandemie, wie es etwa bei sozialen Einrichtungen, Bildungsträgern oder auch kostenpflichtigen Veranstaltungen der Fall sein kann, ist ebenso erforderlich. Letzteres gilt auch für die Überbrückungshilfen, KfW-Notkredite und die außerordentlichen Wirtschaftshilfen der vergangenen Monate in Höhe von 75 Prozent des Umsatzes des Vorjahresmonats, an denen zivilgesellschaftliche Organisationen partizipieren konnten. Es werden jedoch ausschließlich auf dem Markt erzielte Umsätze berücksichtigt, nicht jedoch Spenden oder Zuwendungen der öffentlichen Hand.  Zivilgesellschaftliche Organisationen ohne selbsterwirtschaftete Mittel sind somit von staatlichen Hilfsprogrammen ausgeschlossen. Unsere erhobenen Daten zeigen, dass 2020 lediglich ein Viertel der befragten Akteure staatliche Hilfen beantragte. Ein Drittel erfüllt nicht die Voraussetzungen oder verzichtete auf einen Antrag, da Hilfen zu unübersichtlich sind.

Wie wird sich die Pandemie langfristig auf die Arbeit von NRO auswirken?

„Der Verlust von Mitgliedern und Sponsoreneinnahmen sowie ein sich bisher nicht bewahrender, aber möglicher Rückgang von Spendeneinnahmen und Förderungen können langfristig die finanzielle Lage vieler Organisationen und Bewegungen negativ beeinflussen. Insbesondere hinsichtlich Förderungen gehen viele Organisationen davon aus, dass finanzielle Auswirkungen der Pandemie – wenn sie nicht bereits jetzt sichtbar sind – mit einer Verzögerung von ein bis zwei Jahren eintreffen. Gleichzeitig hat Corona in vielen Bereichen zu einem Digitalisierungsschub geführt. Es zeigt sich zwar, dass nicht alle Bereiche gleichermaßen geeignet sind, um digital zu arbeiten, doch wird zukünftig Digitalisierung eine wesentlich größere Rolle spielen.“

Viele Organisationen wünschen sich mehr Flexibilität bei Fördervereinbarungen. Warum ist Flexibilität für sie so wichtig?

„Organisationen, die sich überwiegend durch staatliche Zuwendungen finanzieren, haben unseren Erhebungen zufolge tendenziell weniger negative Auswirkungen in Bezug auf ihre Einnahmesituation. Bei nicht staatlichen Zuwendungen lässt sich eher ein leichter Rückgang beobachten. Doch unabhängig von der Einnahmesituation ergeben sich durch die Corona-Pandemie weitere Schwierigkeiten: Zwei Drittel unserer befragten Organisationen musste geplante Projekte abbrechen oder verschieben. Die Fördervereinbarungen sind dabei oftmals sehr unflexibel. Gelder dürfen nur für spezifische Projektinhalte und innerhalb festgelegter Zeiträume verwendet werden. Organisationen berichten, dass sie Projektmittel teilweise für den vorgesehenen Zweck während der Pandemie nicht nutzen können. Es droht, dass Fördergelder zurückgezahlt werden müssen. Hinzu kommen neue, nicht in den Fördervereinbarungen festgehaltene Kosten beispielsweise durch die Digitalisierung.“

Wo sehen Sie weiteren Handlungsbedarf, um die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen besser zu unterstützen?

„Die Herausforderungen, vor denen die Zivilgesellschaft steht, sind vielfältig. Sie kreisen naturgemäß häufig um das Thema Finanzierung, aber auch um Themen wie Digitalisierung, Organisationsentwicklung und Wertschätzung. Eine unbürokratische und unkomplizierte Umwidmung von Fördergeldern und eine flexible Anpassung hinsichtlich Projektlaufzeiten, Personalkosten und Projektmitteln wären für rund ein Drittel unserer befragten Organisationen hilfreich, um auf die Einschränkungen ihrer Arbeit auf Grund der Pandemie zu reagieren. Hilfen dürfen aber nicht nur finanziell gedacht werden. Bedarf besteht auch hinsichtlich Fortbildungen im Bereich der Digitalisierung oder des Ausbaus der digitalen Infrastruktur. Grundsätzlich müssen auch langfristige Krisenhilfen durch ein koordiniertes Vorgehen von Bund und Ländern bereitgestellt werden.“

Wie könnten mehr Organisationen bei den Hilfen miteinbezogen werden? Und wie könnten langfristige Unterstützungsangebote aussehen?

„Die existierenden staatlichen finanziellen Hilfsprogramme können dazu beitragen, kurzfristig finanzielle Ausfälle und erhöhte Ausgaben auszugleichen. Durch die Pandemie sind jedoch auch zivilgesellschaftlichen Organisationen, die nicht auf dem Markt agieren, in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Für sie sollten die Zugangsvoraussetzungen vereinfacht und unabhängig von einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gestaltet werden. Eine langfristige Ausweitung staatlicher Unterstützungsprogramme für alle zivilgesellschaftlichen Organisationen – auch für diejenigen, die von privaten Spenden und Förderungen abhängig sind – ist dringend nötig. Es muss davon ausgegangen werden, dass bei manchen Organisationen die Folgen der Pandemie erst mit einer Verzögerung sichtbar werden. Auch lässt sich bereits jetzt ein Rückgang des Ehrenamtes beobachten. Es bedarf langfristiger Strategien, um diesen Trend umzukehren. Hinzu kommt die Frage, wie zukünftig mit ähnlichen Krisen umgegangen werden soll. Ein Drittel unserer befragten Organisationen fordert daher Veränderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen, um beispielsweise finanzielle Rücklagen für ähnliche Situationen aufbauen zu können.“

Die Studie „Ein Rettungsschirm für die Zivilgesellschaft? Eine explorative Studie zu Potenzialen, Bedarfen und Angeboten in und nach der COVID-19 Krise” des Maecenata Instituts finden Sie hier.

Die Folgestudie „Zivilgesellschaft in und nach der Pandemie. Bedarfe – Angebote – Potenziale“ erscheint am 30. April. 2021.


Malte Schrader [M.A.] ist Soziologie und Religionswissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft. Er arbeitet gegenwärtig zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Zivilgesellschaft und zur muslimischen Philanthropie in Deutschland.