Politik

Eine starke afghanische Zivilgesellschaft – Chancen für Afghanistan!

Paneldiskussion auf der Afghanistan-Konferenz

Auf Einladung von VENRO und dem Verband afghanischer Organisationen in Deutschland (VAFO) kamen am 7. Oktober 2022 Vertreter_innen der afghanischen und deutschen Zivilgesellschaft zur Afghanistan-Konferenz in Berlin zusammen. Hauptanliegen der Konferenz war es, der Politik Wege aufzuzeigen, wie eine unabhängige afghanische Zivilgesellschaft unter den schwierigen Bedingungen von außen unterstützt werden kann.

Mathias Mogge, Vorstandsvorsitzender von VENRO, betonte zur Eröffnung der Konferenz, wie wichtig es sei, der afghanischen Zivilgesellschaft eine Stimme zu geben und auch die nationale Politik kritisch zu hinterfragen. Kava Spartak, Vorsitzender von VAFO, unterstrich insbesondere die Rolle der afghanischen Diaspora: „Es ist wichtig, uns zuzuhören und zu konsultieren. Wir verlassen uns auf Deutschland und Deutschland kann sich auf uns verlassen.“ Derzeit rücke Afghanistan zu oft in den Hintergrund, sobald ein wichtigeres Thema auftauche, kritisierte Spartak. Ziel der Konferenz war es, dem entgegenzuwirken und in Workshops Empfehlungen an die deutsche Regierung zu erarbeiten.

„Es ist wichtig, uns zuzuhören und uns zu konsultieren.“

An der Paneldiskussion unter dem Titel Die Stärkung der afghanischen Zivilgesellschaft: Erwartungen und Möglichkeiten deutscher Unterstützung nahmen neben Matthias Mogge die Menschrechtsaktivistinnen Suraya Pakzet und Negina Yari sowie Niels Annen, Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), teil. Im Fokus der Diskussion stand insbesondere die Situation der Frauen und Mädchen in Afghanistan: „Frauen und Mädchen sind wieder Gefangene in ihrem zuhause und es gibt für sie derzeit kein Licht am Ende des Tunnels“, beschrieb Negina Yari die Situation (ein ausführliches Interview mit ihr gibt es hier). Suraya Pakzet fügte hinzu: „Die Situation erinnert mich an die Jahre 1996 bis 2000, als die Bildung von Mädchen verboten und Afghanistan vergessen war.“ Beide forderten von der deutschen Politik, stärker für die Frauen und Mädchen in Afghanistan einzustehen und eine feministische Außenpolitik durchzusetzen, die ihrem Namen gerecht werde. Für Yari sollten die Rechte der Frauen politische Priorität haben – entsprechend deutlich positionierte sie sich gegenüber der deutschen Politik: „Wir sind hier, um für unsere Rechte zu kämpfen, aber wir brauchen Ihr politisches Engagement mit den De-facto-Autoritäten.“

Soll die deutsche Bundesregierung mit den Taliban verhandeln oder nicht?

Die Frage, ob die deutsche Bundesregierung mit den Taliban verhandeln soll oder nicht, wurde auf dem Panel sehr kontrovers diskutiert. Niels Annen wiederholte die Position der Bundesregierung, nicht mit den Taliban zu sprechen: „Wir wenden unsere Aufmerksamkeit nicht von Afghanistan ab, aber es gibt die klare Linie, nicht mit den Taliban zu kooperieren. Sie haben ihre Versprechen und somit die Basis jeglicher Verhandlungen gebrochen. Die diplomatische Isolation ist die einzige Lösung“, so der Staatssekretär. Stattdessen setze die Bundesregierung auf humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit.

Mathias Mogge thematisierte vor allem die Problematik des kaputten Bankensystems: „Es gibt fast kein Geld, das in Afghanistan einfließt. Für die dort ansässigen Nichtregierungsorganisationen (NRO) ist es daher sehr schwierig, ihre Tätigkeiten weiterhin durchzuführen.“ Für ein funktionierendes Wirtschaftssystem zu sorgen sei für ihn aktuell besonders wichtig: „Humanitäre Hilfe ist nicht die Lösung. Niemand möchte auf humanitäre Hilfe angewiesen sein“, so Mogge.

„Niemand möchte auf humanitäre Hilfe angewiesen sein“

Negina Yari betonte in diesem Zusammenhang, wie wichtig es außerdem sei, dass die Unterstützung lokalisiert wird und alle Regionen erreicht werden, auch abseits der Städte. Entscheidend sei bei aller Unterstützung, die Aktivitäten an lokale Akteur_innen zu übergeben, die ihre Zeit und Energie bereits in den letzten Jahrzehnten investiert haben, um bestimmte Ziele zu erreichen. Alle Panelist_innen zeigten sich – trotz Meinungsunterschieden bezüglich der Kooperation mit den Taliban – zufrieden über die Organisation und Ausrichtung der Konferenz. Staatssekretär Annen betonte, wie wichtig es für die Politik sei, direkte Ansprechpersonen zu haben.

Weiterer Dialog zwischen Politik und afghanischer Zivilgesellschaft

In vier Workshops sowie in einem anschließenden Abstimmungsprozess wurden zivilgesellschaftliche Empfehlungen zu den Themen Bildung und Gesundheit, der Situation der Frauen und Mädchen sowie der Zusammenarbeit mit der afghanischen Diaspora entwickelt, die in Kürze an die Bundesregierung übergeben werden sollen.

Der Dialog wird darüber hinaus weiter fortgesetzt: Am 24. November ist ein G7 Dialogue Forum unter dem Titel Strengthening civil society in Afghanistan geplant, an dem neben Niels Annen auch Bundesministerin Svenja Schulze mit Vertreter_innen der afghanischen Zivilgesellschaft zusammenkommen wird.