Politik, Service

Erste Gespräche mit der neuen Bundesregierung – was nehmen wir daraus mit?

Entwicklungsministerin Svenja Schulze mit den VENRO-Vorsitzenden Mathias Mogge und Martina Schaub (li.) und Geschäftsführerin Heike Spielmans (re.)

Nach drei Monaten Ampelkoalition ist es Zeit für ein Zwischenfazit: Die VENRO-Vorsitzenden Mathias Mogge und Martina Schaub skizzieren mit Blick auf ihre bisherigen politischen Termine mit Regierungsvertreter_innen, welche Chancen und Herausforderungen sich für die Zivilgesellschaft abzeichnen.

Seit mehr als 90 Tagen ist mit der Ampelkoalition eine Bundesregierung im Amt, die im Rahmen des Koalitionsvertrags wiederholt die internationale Verantwortung Deutschlands betonte und sich den enormen globalen Herausforderungen stellen möchte. Dementsprechend hoch waren unsere Erwartungen im Vorfeld erster Gespräche mit Regierungsvertreter_innen und Parlamentarier_innen. Auf Basis dieser Begegnungen erlauben wir uns eine erste vorsichtige Einschätzung, an welchen Stellen wir mit Fortschritten rechnen können und welche Themen noch dringend weitere Aufmerksamkeit der Zivilgesellschaft benötigen.

Im Rahmen eines offenen Austauschs zwischen Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze und vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ausgewählten Vertreter_innen großer entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen (NRO) stellte die Ministerin am 10. Februar ihre Leitlinien und Arbeitsschwerpunkte vor. Die konsequente Umsetzung der Agenda 2030 gilt dabei erfreulicherweise als zentraler Arbeitsauftrag für das BMZ, welches künftig als Mitmischministerium auch den anderen Kabinettsmitgliedern selbstbewusst gegenübertreten möchte. Als prioritäre Handlungsfelder bekräftigte die Ministerin die Bekämpfung von Armut und Ungleichheit im Sinne von „Leave no one behind“, eine gerechte und resiliente Bewältigung der Pandemie und der sozial-ökologischen Transformation sowie eine feministische Entwicklungspolitik.

Wir machten im Rahmen dieses Austausches auf einige entwicklungspolitischen Themenbereiche aufmerksam, die aus unserer Sicht in dieser Legislaturperiode von höchster Bedeutung sind. Dazu gehören:

  • eine ambitionierte und nachhaltige Finanzierung, mindestens jedoch die Verstetigung der 0,7-Prozent-Quote und der humanitären Mittel,
  • die stärkere Verankerung von Inklusion, Kinderrechten und Geschlechtergerechtigkeit im BMZ,
  • die Durchsetzung eines wirksamen Lieferkettengesetzes in der Europäischen Union,
  • eine Vereinfachung von Antrags- und Förderrichtlinien für NRO sowie
  • eine Stärkung entwicklungspolitischer Inlandsarbeit.

Bei der Ministerin stießen viele dieser Punkte auf große Offenheit. Gleichzeitig machte sie deutlich, dass die Einhaltung der ODA-Quote – der öffentlichen Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance) – kein Selbstläufer sei und das BMZ hier auch auf die Unterstützung der NRO setze.

Diese Einschätzung bestätigte sich im Gespräch mit Dr. Carsten Pillath, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Er betonte, dass die Erwartungen der verschiedenen Ressorts an den Bundeshaushalt nicht alle zu realisieren seien. Neben der ODA-Quote waren die Folgen der Pandemie für die ärmsten Länder ein wichtiges Thema. Wir betonten, dass ein Schuldenerlass auch für Länder mittleren Einkommens eine wichtige Maßnahme sei, um einen wirtschaftlichen Zusammenbruch zu verhindern.

BMZ setzt auf engen Austausch mit der Zivilgesellschaft

Am 16. Februar hatten wir die Gelegenheit, im Gespräch mit Dr. Bärbel Kofler, Parlamentarische Staatssekretärin im BMZ, einige Themen zu vertiefen. Sie bedankte sich für die von VENRO veröffentlichte ODA-Studie, die mit ihren Daten und Berechnungen eine wichtige Grundlage für die Haushaltsdebatten sei. Zu den weiteren Themen des Austausches gehörte der Stand des europäischen Lieferkettengesetzes, die Überwindung der Klima- und Ernährungskrise und die Umsetzung der angekündigten feministischen Entwicklungspolitik. Frau Kofler betonte die Offenheit der gesamten Leitung des BMZ, mit der Zivilgesellschaft in einen engen Austausch zu treten bzw. diesen fortzusetzen.

Auch mit Entwicklungsministerin Schulze konnten wir in einem weiteren vertiefenden Gespräch am 10. März die wichtige Rolle der Zivilgesellschaft bei der Bewältigung globaler Herausforderungen betonen und uns zu humanitären und entwicklungspolitischen Prioritäten in Afghanistan und der Ukraine austauschen.

Etwas unklar blieb insgesamt, welche strategische Rolle das BMZ der Breite der Zivilgesellschaft bei der Umsetzung der Agenda 2030 zumisst. Hier sehen wir unsere Aufgabe als Verband darin, die Bedeutung der zivilgesellschaftlichen Arbeit im In- und Ausland – auch über Krisenkontexte hinaus – zu vermitteln und uns für verbesserte Förderbedingungen einzusetzen.

Parallel zu den Gesprächen mit Regierungsvertreter_innen konnten wir uns als Verband im Rahmen von zwei Veranstaltungen gegenüber Bundestagsabgeordneten und ihren Mitarbeitenden mit einigen unserer prioritären Anliegen präsentieren.

Covid-19: Absage an temporäre Aussetzung des Patentschutzes

Mit Blick auf die voraussichtlich schwierigen Haushaltsverhandlungen thematisierten wir in jedem unserer Gespräche die große Finanzierungslücke der mittelfristigen Finanzplanung der letzten Bundesregierung. Alle Gesprächspartner_innen erwarten hier langwierige und harte Verhandlungen. Eine breite zivilgesellschaftliche Rückendeckung scheint sehr notwendig und VENRO wird dem Thema weiter große Aufmerksamkeit widmen.

Einheitliche Reaktionen gab es zudem in Bezug auf eine temporäre Aussetzung des Patentschutzes des TRIPS-Abkommens, um Covid-19-Impfstoffe im Globalen Süden herstellen zu können. Diesem Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) erteilten unsere Gesprächspartner_innen gemäß der Regierungslinie eine Absage. Auch beim Thema der globalen Impfstoffgerechtigkeit muss die Zivilgesellschaft also weiter dringend am Ball bleiben.

Über diese Gesprächstermine hinaus bot sich bisher keine Gelegenheit an, uns mit dem Auswärtigen Amt über den politischen Handlungsbedarf im Bereich der humanitären Hilfe auszutauschen.