Politik

Hungerbekämpfung in ungewissen Zeiten: Der Schlüssel liegt im politischen Handeln

Die Covid-19-Krise ist zum Brandbeschleuniger geworden: Im Jahr 2020 ist die Zahl der Menschen, die von chronischem Hunger betroffen sind, stärker gestiegen ist als in den letzten fünf Jahren zusammen. Die Welt ist nicht auf Kurs – wenn jetzt nicht die Weichen gestellt werden, wird das Nachhaltigkeitsziel Zero Hunger nicht erreicht. Um Hunger und Armut wirkungsvoll zu bekämpfen, brauchen wir deutlich mehr politische Entschlossenheit – und mehr Handlungsmacht für die Betroffenen.

Die Welternährungsorganisation FAO gibt die Zahl der Hungernden im Jahr 2020 mit bis zu 811 Millionen an. Damit leiden 161 Millionen Menschen mehr als im Vorjahr an dem dauerhaft quälenden Gefühl, nicht genug zu essen zu haben.

Doch selbst vor der Corona-Pandemie reichten die weltweiten Fortschritte in der Hungerbekämpfung nicht, um ‚Kein Hunger bis 2030‘, das zweite der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu erreichen. Der Welthungerindex zeigt, dass mindestens 37 Länder auf Grundlage ihrer jüngsten Entwicklungen bis 2030 wahrscheinlich nicht einmal niedrige Hungerwerte erreichen werden.

Extremwetterereignisse sowie multiple soziale, wirtschaftliche und politische Krisen machen Erfolge zunichte. Oft sind Bildungs-, Landwirtschafts-, Gesundheits-, soziale Sicherungs- und Sanitärsysteme nicht ausreichend ausgebaut und benachteiligen ländliche Gemeinschaften, indigene Völker, Frauen und andere marginalisierte Gruppen. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ist im Krisenfall nicht sozial abgesichert.

Kritisch ist die Situation vor allem in Afrika südlich der Sahara und Südasien. Wenngleich jedes Land mit anderen Herausforderungen konfrontiert ist, zeigt sich, dass insbesondere Konflikte, Armut, Ungleichheit und der Klimawandel verbreitete Hungertreiber sind. Im Krisenjahr 2020 hat sich die Situation durch die Corona-Pandemie drastisch verschlimmert. Die Weltbank prognostiziert, dass bis Ende dieses Jahres aufgrund der Pandemie weltweit 111 bis 149 Millionen Menschen in extreme Armut abstürzen.

Die Pandemie verschärft die Armut – und damit den Hunger

Eine Erhebung der Welthungerhilfe gemeinsam mit sieben weiteren europäischen Entwicklungs- und Nothilfeorganisationen im Rahmen des Netzwerks „Alliance 2015“ bestätigt diese globalen Entwicklungen und beleuchtet die Zusammenhänge zwischen der Corona-Pandemie, Armut und Hunger. Befragungen von knapp 16.200 Haushalten in 25 Ländern im Zeitraum Oktober bis November 2020 ergaben, dass 42 Prozent der befragten Haushalte weniger zu essen haben; 44 Prozent berichten von einer Verschlechterung der Qualität und der Vielfalt ihrer Ernährung.

Dies ist vor allem eine Folge davon, dass die Einkommen drastisch zurückgegangen sind. 90 Prozent der befragten Haushalte berichten von reduziertem Einkommen, mehr als 75 Prozent fürchten, dass ihre Einkünfte auch in Zukunft negativ beeinflusst werden. Am stärksten wirkte sich dies bei Menschen im informellen Sektor in Stadtrandgebieten aus. Aber auch Bauernfamilien sind durch Umsatzeinbußen stark betroffen, da Lieferketten gestört und Absatzkanäle weggebrochen sind.

Was läuft schief in unseren Ernährungssystemen?

Die Corona-Pandemie hat viele Schwachstellen unserer Ernährungssysteme offengelegt, die nicht mehr ignoriert werden können. Sie sind weder krisenfest noch gerecht. Unser Handeln wirkt sich zunehmend negativ auf unseren Planeten aus – etwa durch Bodendegradation, Treibhausgasemissionen und Biodiversitätsverlust – und unsere Ernährungssysteme sind Teil des Problems. Sie müssen radikal transformiert werden, um eine Welt ohne Hunger zu ermöglichen. Wie bisher auf die Produktion von immer mehr und vor allem billigeren Nahrungsmittenl zu setzen, führt in eine ökologische und soziale Sackgasse. Stattdessen müssen wir dafür sorgen, dass die etwa 500 Millionen Kleinbauernfamilien in der Landwirtschaft sowie Landarbeiter_innen existenzsichernde Einkommen erzielen, und dass Fairness in Lieferketten und im Welthandelssystem kein Wunschdenken bleibt. Denn vor allem Armut und nicht Knappheit an Lebensmitteln ist – neben Klimawandel, Konflikten und Ungleichheit – die zentrale Ursache für Hunger.

Fortschritte sind möglich

Wir wissen, dass Fortschritte möglich sind. Hierbei spielen die sozioökonomischen und politischen Rahmenbedingungen eine entscheidende Rolle. Einen besonders starken Rückgang der Hungerzahlen verzeichnen Länder, in denen Konflikte beendet wurden, so etwa in Sierra Leone. In Nepal zeigt sich, dass der Rückgang der Armut mit sinkenden Hungerzahlen korreliert und in Kamerun hat eine deutliche Steigerung des Pro-Kopf-BIP zu Erfolgen beigetragen. Nachweislich können auch ernährungsspezifische sowie -sensible Interventionen zu Fortschritten in der Hungerreduzierung beitragen. Belegt ist etwa die Relevanz von Investitionen in die Mutter-Kind-Gesundheit, denn die Ernährung in den ersten 1.000 Tagen eines Kindes legt den maßgeblichen Grundstein. Des Weiteren lässt sich die positive Wirkung von landwirtschaftlichen Investitionen auf die Sicherheit und Qualität von Ernährung nachweisen, etwa durch Beratungsdienste und Schulungen für Kleinbäuer_innen. Im Bereich der sozialen Sicherung sind Cash-Transfers wirksame und verbreitete Maßnahmen.

Mehr Handlungsmacht für die Betroffenen

Die Verwirklichung des Rechts auf Nahrung erfordert einen integrierten Ansatz der Bereiche Gesundheit, Landwirtschaft und Ernährung, wie etwa durch multi-sektorale Zusammenarbeit in Ghana erfolgreich geschehen. Durchweg zeigt sich: Zwar erfordert es angesichts unterschiedlicher sozioökonomischer und ökologischer Bedingungen maßgeschneiderte Interventionen, erfolgreiche Strategien sind jedoch bekannt. Der Schlüssel zum Erfolg ist entschlossenes politisches Handeln und die konsequente Umsetzung von bestehenden Verpflichtungserklärungen, wie etwa der Malabo-Erklärung.

Gleichzeitig müssen die am stärksten von Hunger und Fehlernährung betroffenen Gruppen mit mehr Handlungsmacht ausgestattet und an der Ausgestaltung von Politiken beteiligt werden. Das heißt: Es geht darum, dass sie selbst entscheiden können, welche Lebensmittel sie essen, welche Lebensmittel sie produzieren, und wie diese Lebensmittel produziert, verarbeitet und verteilt werden. Und ihnen müssen als Rechteinhaber_innen wirkliche Beteiligungsmöglichkeiten an gesellschaftspolitischen Prozessen eröffnet werden, so dass sie Ernährungssysteme mit ihren Anliegen beeinflussen und Regierungen in die Verantwortung nehmen können.

Doch nicht nur verantwortliche lokale und partizipative Regierungsführung, sondern auch bestehende menschenrechtsbasierte multilaterale Mechanismen, wie etwa der Welternährungsausschuss, müssen gestärkt werden. Dieses Governance-Forum gilt als eines der inklusivsten der Welt, da es benachteiligten Gruppen wie Kleinbäuer_innen, Landarbeiter_innen oder indigenen Völkern Beteiligungsrechte garantiert.

Der politische Wille ist gefragt sowie die Bereitschaft von Ländern wie Deutschland, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Dies heißt zum einen, bei den anstehenden Gipfeltreffen wie dem UN-Ernährungssysteme-Gipfel, der UN-Klimakonferenz (COP 26), den G7- und G20-Gipfeln und dem Nutrition for Growth Gipfel mit weitreichenden Verpflichtungen starke Signale zu setzen, damit die internationale Gemeinschaft nicht hinter bestehende Verpflichtungen zurückfällt. Zum anderen sollte die Bundesregierung sich konsequent für die Verwirklichung des Rechts auf Nahrung weltweit einsetzen und die Umsetzung von völkerrechtlichen Instrumenten wie den UN-Leitlinien zum Recht auf Nahrung und UN-Landleitlinien in nationale Gesetze, Politiken und Programme in Partnerländern unterstützen.

Unsere Ernährungssysteme müssen gerecht, gesund und nachhaltig werden. Nur so können wir die aktuellen Krisen bewältigen, zukünftige vermeiden und letztlich den Hunger beenden.


Dieser Artikel ist Teil unserer Themenreihe zur Bundestagswahl 2021, in der wir unsere Erwartungen für die kommende Legislaturperiode formulieren. Die Blogserie basiert auf unserem aktuellen Positionspapier Was jetzt #WeltWeitWichtig ist – Erwartungen an die Parteien zur Bundestagswahl 2021. Darin fordern wir die Parteien, die zukünftigen Abgeordneten und die kommende Bundesregierung auf, ihre Prioritäten auf eine nachhaltige Politik zu richten, die alle mitnimmt!

Lesen Sie mehr dazu unter www.weltweitwichtig.de.