Politik

Noch viel Luft nach oben: 100 Tage Entwicklungspolitik der neuen Bundesregierung

Es ist eine gute Tradition, einer neu gewählten Bundesregierung eine gewisse „Anlaufzeit“ zu geben und erst nach 100 Tagen eine erste Bilanz ihrer Arbeit zu ziehen. Wie sieht meine persönliche Bilanz von den ersten 100 Tagen Entwicklungspolitik der neuen Regierung und der zweiten Amtszeit von Entwicklungsminister Müller aus?

Nach den ersten 100 Tagen betrachte ich mit großer Sorge, wie die Entwicklungszusammenarbeit immer mehr in den Dienst von Flüchtlingsabwehr und Abschottung genommen – um nicht zu sagen instrumentalisiert – wird. Dies geschieht durch Kräfte außerhalb des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) wie auch innerhalb des Ministeriums. Vernetzte Sicherheit, Fluchtursachenbekämpfung oder Rückkehr-Programm sind Begriffe, die in diesem Zusammenhang stehen. Wenn man von Entwicklungspolitik nur noch in diesem Kontext hört, läuft man letztendlich Gefahr, den gefährlichen Diskurs der Rechtspopulisten zu fördern. Das bereitet mir – jenseits aller Fachfragen – dabei besondere Sorge.

Zunehmend in den entwicklungspolitischen Fokus gerät dabei das Thema Rückkehr und Reintegration. Das Rückkehr–Programm Perspektive Heimat soll mit hohen finanziellen Mitteln ausgestattet werden. Aber individuelle Maßnahmen der Reintegration dürfen langfristige strukturelle Entwicklungsmaßnahmen nicht ersetzen. Programme der beruflichen Bildung, Bewerbungstrainings oder Beratung bei der Existenzgründung können als Teil umfassender Entwicklungspläne sicher sinnvoll sein, um jungen Menschen eine Perspektive in ihrer Heimat zu geben. Aber statt im Sinne der Agenda 2030 dem Ziel zu dienen, allen Menschen ein würdiges Leben zu ermöglichen, scheint es auch hier vor allem darum zu gehen, dass Flüchtlinge unser Land möglichst rasch verlassen. Wenn dann noch die finanzielle Unterstützung umso höher ist, je früher die Geflüchteten auf den Rechtsweg verzichten, fügt Bundesentwicklungsminister Gerd Müller der Abschottungspolitik der Bundesregierung ein weiteres Instrument hinzu.

Stattdessen wäre es viel notwendiger, die Einwanderung nach Deutschland gesetzlich zu regeln. Im Fokus darf dabei nicht nur der Bedarf des eigenen Arbeitsmarktes stehen. Auch entwicklungspolitische Ziele müssen berücksichtigt werden. Denn gut gesteuerte Migration birgt ein immenses Potenzial – für unser Land, für die Menschen, die auf der Suche nach besseren Lebensperspektiven ihre Heimat verlassen, und auch für die Herkunftsländer. Gleichzeitig muss Deutschland seiner Verantwortung gegenüber schutzbedürftigen Menschen nachkommen und diesen ein Leben frei von Verfolgung und Krieg ermöglichen. Davon scheinen wir uns aktuell gerade immer weiter zu entfernen. Statt Unterstützung der Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen erwarte ich von Entwicklungsminister Müller daher konstruktive Impulse für Menschenrechte und die gerechte Gestaltung der Globalisierung.

Gute Rhetorik reicht nicht aus

Der Minister hat in der vergangenen Legislaturperiode bereits bewiesen, dass er neue Themen setzen und neue Initiativen auf den Weg bringen kann. Damit hat er wichtige öffentliche Debatten angestoßen, beispielsweise über die Arbeitsbedingungen in der Lieferkette der Textilindustrie und über die Notwendigkeit von fairem Handel. Die gute Rhetorik ist aber nicht ausreichend. Der Minister muss nun zeigen, wie wichtig ihm gerechte Handelsbeziehungen tatsächlich sind. Wenn auf Freiwilligkeit bauende Initiativen nicht tragen, erwarten wir in dieser Legislaturperiode, dass er gesetzliche Vorgaben konsequent unterstützt, unter anderem bei der Umsetzung des Nationalen Aktionsplans für Wirtschaft und Menschenrechte. VENRO würde ihn dabei sicher unterstützen. Gleiches gilt für eine entwicklungsförderlichere europäische Handelspolitik – auch hierfür braucht es seinen konsequenteren Einsatz. Wer einen Marshallplan mit Afrika verkündet, trägt auch eine besondere Verantwortung dafür, dass sich endlich in der Handelspolitik gerechtere Strukturen durchsetzen.

Bei den noch nicht abgeschlossenen Verhandlungen über den Bundeshaushalt 2018 steht Minister Müller auf den ersten Blick auf der Gewinnerseite. Der BMZ-Etat soll im Jahr 2018 auf 9,4 Milliarden Euro ansteigen. Das ist ein Plus von immerhin rund 900 Millionen gegenüber dem Vorjahr. Doch ein Blick auf die mittelfristige Finanzplanung der nächsten vier Jahre ist ernüchternd. Denn mit dem vorgesehenen Absinken des Etats rückt das auch von der Bundesregierung immer wieder beschworene Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) einzusetzen, in immer weitere Ferne.

Für die Entwicklungspolitik der Bundesregierung gilt nach 100 Tagen das Gleiche wie derzeit für die deutsche Nationalmannschaft: Da ist noch viel Luft nach oben.