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Privatsektorbeteiligung: Was sollten NRO bei gemeinsamen Projekten mit Unternehmen beachten?

Auszubildende in Chennai, Indien

Seit einigen Jahren ist in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit ein Trend zur stärkeren Einbeziehung der Privatwirtschaft erkennbar. Immer mehr NRO kooperieren mit Unternehmen, um ihre entwicklungspolitischen Ziele zu erreichen. Was ist bei dieser Zusammenarbeit zu berücksichtigen?

Warum setzen sich immer mehr Nichtregierungsorganisationen (NRO) mit Unternehmen auseinander?

Es ist unbestritten, dass der Privatsektor für den Zustand unserer Welt eine wichtige Rolle spielt. Folglich sind auch private Unternehmen bedeutsam, wenn es darum geht, eine gerechtere Globalisierung und eine sozialökologische, nachhaltige Entwicklung zu erreichen.

So sieht auch die Agenda 2030 mit ihren 17 Nachhaltigkeitszielen (SDG) den Einsatz und das Zusammenwirken unterschiedlicher Akteursgruppen vor, um die Ziele im Bereich nachhaltiger Entwicklung zu erreichen (SDG 17). Das SDG 8 „Nachhaltiges Wirtschaftswachstum und menschenwürdige Arbeit für Alle“ hat sogar einen direkten Bezug zum Privatsektor.

In der Agenda 2030 wird der Verantwortung von Unternehmen, ihre Tätigkeiten nach sozialen und ökologischen Standards auszurichten und an Menschenrechtskriterien zu orientieren, allerdings wenig Beachtung geschenkt. Die „UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ (2011) werden nur kurz erwähnt. Es wird nicht dargelegt, was Staaten und Unternehmen leisten müssen, um diese Leitprinzipien und freiwilligen Standards zu erfüllen. Stattdessen kommt es immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen oder Umweltzerstörungen, an denen deutsche Unternehmen beteiligt sind, ohne rechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen. Gemeinsam mit einem breiten Bündnis von Organisationen aus allen gesellschaftlichen Bereichen fordert VENRO deshalb einen gesetzlichen Rahmen für Unternehmen, damit sie verpflichtet werden, auch im Ausland Menschenrechte und Umweltstandards zu achten (s. dazu die Initiative Lieferkettengesetz).

Darüber hinaus besteht zur Erreichung der SDG ein großer Bedarf, zusätzliche Mittel zu mobilisieren. Nach Angaben der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) sind zur Umsetzung der SDG jährlich zwischen 3,3 und 4,5 Billionen US-Dollar an öffentlichen und privaten, nationalen und internationalen Mitteln erforderlich. Die gesamten Leistungen der Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance, ODA) betragen dagegen jährlich nur etwa 135 Milliarden US-Dollar.

Selbst bei einer weiteren Steigerung der ODA-Mittel (für die VENRO sich einsetzt) werden diese keinesfalls ausreichen, um den Finanzierungsbedarf zur Umsetzung der SDG auch nur ansatzweise zu decken.

Deshalb setzt die internationale Gemeinschaft auch im Rahmen der Agenda 2030 auf verstärkte Kooperationen mit dem Privatsektor.

Welche Arten des Zusammenspiels mit Unternehmen gibt es?

Entwicklungspolitische NRO haben unterschiedliche Strategien entwickelt, um Unternehmen in die Pflicht zu nehmen oder gemeinsam Ziele zu erreichen.

Das Zusammenspiel zwischen NRO und Unternehmen reicht von Konfrontation bis Kooperation. Dies umfasst

  • kritische Kampagnen, um bspw. auf schlechte Arbeitsbedingungen, Ausbeutung oder Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen;
  • Multi-Stakeholder-Initiativen, in denen Unternehmen, Regierungen, Gewerkschaften und NRO gemeinsam an gesellschaftlichen Herausforderungen arbeiten;
  • Kooperationen, bei denen ein Unternehmen einen Teil des Projekts finanziert.

Es gibt aber auch Kooperationen, bei denen NRO und Unternehmen gemeinsam Projekte entwickeln oder ein gemeinsames Ziel festlegen. Voraussetzung ist, dass es hinreichend große Schnittmengen zwischen den unternehmerischen und den zivilgesellschaftlichen Interessen gibt.

Zu dieser Art der Kooperation fand am 4. September 2019 in Bonn der VENRO-Workshop „Privatsektorbeteiligung im Auslandsprojekt“ statt. Vertreterinnen und Vertreter von VENRO-Mitgliedsorganisationen sowie weiterer entwicklungspolitischer Organisationen diskutierten darüber, worauf NRO achten müssen, wenn sie gemeinsam mit Unternehmen Projekte entwickeln und umsetzen. Drei zentrale Erkenntnisse wurden dabei von den Teilnehmenden herausgearbeitet:

1. Mehrwehrt, Mehrwehrt, Mehrwert

Vor einer Kooperation mit einem Unternehmen muss sich jede Organisation im Klaren sein, was sie mit dieser erreichen will und was der Mehrwehrt einer solchen Kooperation ist. Welche positiven Wirkungen hat die Kooperation für die lokale Bevölkerung? Stehen die Zielgruppen im Fokus und sind die Ziele der Kooperation mit den langfristigen und strategischen Zielen der eigenen Organisation vereinbar? Geht es nur um den Zugang zu neuen finanziellen Mitteln oder möchte man durch ein gemeinsames Projekt Zugang zu Knowhow und neuen Akteuren gewinnen? Ist das Vorgehen klar, können Ziele formuliert und Indikatoren zur Beurteilung der Wirkung erstellt werden.

Eine Unternehmenskooperation ist für eine NRO immer mit Risiken verbunden. Daher empfiehlt es sich, eine Risikoprüfung durchzuführen, eigene Standards und Kriterien für eine Kooperation zu erstellen und auch Ausstiegsszenarien zu entwickeln.

2. Schutz der Glaubwürdigkeit

Die Glaubwürdigkeit einer NRO ist eine ihrer wichtigsten Eigenschaften, die es zu schützen gilt. Eine Kooperation darf, wie lukrativ sie auch ist, niemals den eigenen politischen Zielen einer NRO entgegenwirken. Auch die eigene finanzielle Unabhängigkeit sollte in jeder Kooperation bewahrt werden. Nur so kann auch eine glaubhaft kritische Distanz gegenüber dem Unternehmen eingehalten werden. Als Repräsentanten der Zivilgesellschaft sollten NRO unbequeme Partner bleiben und Kooperationen stets kritisch hinterfragen. NRO müssen darauf achten, sich nicht instrumentalisieren zu lassen: z.B. indem Unternehmen durch Greenwashing versuchen, schädliche Unternehmensaktivitäten auszugleichen. NRO sollten sich daher fragen, mit welchen Unternehmen sie überhaupt zusammenarbeiten können. Einige Mitgliedsorganisationen haben dafür eigene Ausschlusskriterien für die Zusammenarbeit mit Unternehmen sowie Leitfäden zur Unternehmensprüfung erstellt.

3. Transparente Kommunikation

Eine transparente Kommunikation über eine Kooperation stärkt die Glaubwürdigkeit und Legitimation. Eine Zusammenarbeit mit einem Unternehmen sollte transparent gegenüber der Öffentlichkeit kommuniziert werden und jederzeit im Einklang mit den eigenen NRO-Zielen begründbar sein. Zudem sollten verbindliche Absprachen zwischen NRO und Unternehmen vertraglich vereinbart werden: Wie darf das Unternehmen die Kooperation in der Öffentlichkeit bewerben? Welche Bilder dürfen verwendet werden? Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit kann auch geschaffen werden, indem NRO ihre Richtlinien und Kriterien einer Kooperation offenlegen und eine Evaluierung der Zusammenarbeit durch externe Dienstleister durchführen lassen.


Weiterführende Informationen zu diesem Thema finden Sie in unserem NRO-Report “Unbequeme Partner? Von Konfrontation bis Kooperation: Strategien von Nichtregierungsorganisationen gegenüber Unternehmen”.