Service

Shrinking Spaces: Was steckt dahinter und wie können NRO darauf reagieren?

In letzter Zeit ist der Begriff der Shrinking Spaces in der entwicklungspolitischen Szene sehr präsent. Wir erklären, was es mit diesem Phänomen auf sich hat und diskutieren Herausforderungen, Lösungsansätzen und Kooperationsmöglichkeiten.

Shrinking Spaces meint die zunehmende Einschränkung der zivilgesellschaftlichen Handlungsspielräume. Das bedeutet zum einen die Einschränkung fundamentaler Rechte wie die Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsäußerungsfreiheit; zum anderen werden Aktivist_innen, Menschenrechtler_innen und NRO, die für Regierungen unbequem sind, in ihrer Arbeit behindert, mit Drohungen und Diffamierungskampagnen eingeschüchtert oder sogar mit Gewalt attackiert. Laut CIVICUS sind heute 109 Länder von einem eingeschränkten zivilgesellschaftlichen Raum betroffen und nur drei Prozent der Weltbevölkerung lebt in Ländern, in denen dieser Raum als offen bezeichnet werden kann.

Das Neue am Begriff Shrinking Spaces liegt in der Betonung auf shrinking – also darauf, dass die Einschränkung der Zivilgesellschaft eine Tendenz ist, und somit der zivilgesellschaftliche Handlungsspielraum immer weiter schrumpft. In einigen Ländern spricht man mittlerweile sogar von Closing Spaces. Zudem ist es bedeutend zu wissen, dass das Phänomen alle Regionen der Welt und sowohl autokratische Staaten als auch Länder, die vorgeblich demokratische Regierungen haben, betrifft.

Für uns in Deutschland ist dieser Tage der mediale Fokus auf die Türkei sehr prominent, insbesondere aufgrund der Verhaftungen von deutschen Journalisten wie Deniz Yücel oder dem Menschenrechtsaktivisten Peter Steudtner. Aber auch innerhalb der EU finden wir Verstöße gegen die Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit. Bekannt ist der Fall Ungarns, wo dieses Jahr Präsident Orbán und das Parlament ein Anti-NRO-Gesetz und ein Mediengesetzt verabschiedet haben, und Institutionen wie die Zentraleuropäische Universität (CEU) verboten ließen. Weniger präsent in den deutschen Medien ist der Fall Spaniens. Seitdem dort 2015 ein Gesetz zur Einschränkung der Meinungsfreiheit verabschieden wurde, erleidet die Zivilgesellschaft weitere Einschnitte ihrer Freiheiten.

VENRO hat im Mai 2017 gemeinsam mit dem Forum Menschenrechte, dem Forum Umwelt und Entwicklung und dem Konsortium Ziviler Friedensdienst einen internationalen Workshop zum Thema Shrinking Spaces mit Vertreter_innen betroffener NRO aus Partnerländern, deutschen NRO sowie Vertreter_innen der Bundesregierung durchgeführt. Im Rahmen der Veranstaltung haben wir über die Herausforderungen, Lösungsansätzen und Kooperationsmöglichkeiten in diesem Bereich diskutiert. Die Ergebnisse sind in den vorliegenden Blogbeitrag eingeflossen.

Wie kommt das Phänomen Shrinking Spaces zum Ausdruck?

Regierungen haben viele Möglichkeiten, fundamentale Rechte einer Gesellschaft einzuschränken. Ein beliebtes Mittel für Restriktionen ist eine vorgebliche Anti-Terrorismus-Gesetzgebung. Aber auch über wachsende administrative Hürden, unverhältnismäßige gesetzliche Kontrollen und Rechtsvorschriften gegen ausländische Finanzierung sowie Steuergesetze wird versucht, NRO finanziell auszutrocknen und zu kontrollieren.

Lebensbedrohlicher sind die Versuche einiger Regierungen, Aktivist_innen und NRO zu kriminalisieren, zu inhaftieren oder psychisch und physisch zu bedrohen, wenn diese für die Regierung unbequem sind oder als Hindernis für die Erfüllung ihrer wirtschaftlichen Interessen stehen. Es wurde uns auch berichtet, dass Regierungsstellen Gerüchte, Falschmeldungen („fake news“) und Korruptionsvorwürfe verbreiten, um unliebsame NRO und Aktivist_innen zu diskreditieren. Dies ist der Fall zum Beispiel bei Menschenrechtsaktivist_innen, die sich für die Klärung des Verschwindens von 43 Student_innen in Mexiko einsetzen. Solche Diffamierungskampagnen, die oft mit anderen Repressionen einhergehen, gefährden die persönliche Sicherheit der Aktivist_innen und führen bei den NRO oft zu Selbstzensur.

Während das Handeln autokratischer Staaten die Zivilgesellschaft in diesen Ländern am meisten bedroht, können auch ausländische Regierungen zu einem gewissen Grad eine Mitverantwortung tragen, beispielsweise indem sie mit diesen repressiven Regierungen zusammenarbeiten. Das Abkommen, welches die Bundesregierung 2016 mit der malischen Regierung geschlossen hat, um Flüchtlingsströme nach Europa einzudämmen, ist ein gutes Beispiel dafür.

Zum Zweck von Ressourcensicherung schüchtern zudem kriminelle Banden und zum Teil sogar Unternehmen Mitarbeitende von Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen oder Gewerkschaften ein. Unternehmen drohen etwa mit rechtlichen Schritten, in manchen Fällen engagieren sie selbst Paramilitärs oder private Sicherheitsfirmen, die Drohungen aussprechen oder Gewalt gegen Aktivist_innen ausüben, die sich gegen ihre wirtschaftlichen Interessen positionieren – so etwa im Fall der indigenen Umweltaktivistin Berta Cáceres, die 2016 beim Widerstand gegen die Einrichtung eines Wasserkraftwerks in Honduras ermordet wurde. Laut der Organisation global witness wurden in den ersten fünf Monaten des Jahres 2017 98 Umweltaktivist_innen ermordet – in mehr als die Hälfte der Fälle steckt ein privater Akteur dahinter.

Wer ist von Shrinking Spaces betroffen?

Wer Einschränkungen erlebt, kann nicht pauschal definiert werden. Manchmal ist die gesamte Zivilgesellschaft direkt oder indirekt betroffen, wie im Fall Äthiopiens, in dem zivile Rechte und Freiheiten durch eine Kombination von legislativen und außergerichtlichen Einschränkungen systematisch untergraben und unterdrückt werden.

Oft richten sich die Einschränkungen aber auch an bestimmte Personengruppen wie Umwelt- und Menscherechtsaktivist_innen oder Journalist_innen, wie es der Fall Türkei deutlich macht. In anderen Fällen sind gesellschaftliche Minderheiten betroffen, wie etwa Indigene, religiöse Gruppen oder die LSBTI-Community. Letztere ist in vielen Ländern schon seit langer Zeit Einschränkungen und Bedrohungen ausgesetzt. Beispielsweise sind gleichgeschlechtliche Beziehungen in 38 der 54 afrikanischen Länder verboten; Gesetze gegen Homosexualität fördern die Erpressung, Inhaftierungen und Gewalt gegen LSBTI-Menschen und -NRO, wie es etwa der Same Sex Marriage (Prohibition) Act, 2013 in Nigeria zeigt.

Was kann die Zivilgesellschaft gegen Shrinking Spaces unternehmen?

Als Erstes ist es wichtig, klar zu artikulieren, dass die Hauptakteure staatlich sind – denn genau diese müssen ihre Verantwortung öffentlich anerkennen sowie Strategien vorstellen, um der zunehmenden Tendenz zur Einschränkung der Zivilgesellschaft ernsthaft entgegenzuwirken. Mit Hilfe von diversen Instrumenten, die sie in dieser Aufgabe unterstützen, kann die Zivilgesellschaft hier als watchdog einen Beitrag leisten. Beispielsweise hat VENRO ein Diskussions- und Forderungspapier eröffentlicht, welches als Basis für Advocacy-Arbeit gegenüber der Bundesregierung nützlich ist. Es stellt konkrete Forderungen an die Bundesregierung, wie sie zum Schutz des zivilgesellschaftlichen Raumes in Partnerländern beitragen kann.

Im Vorfeld der Bundestagswahl bewerteten die Parteien in ihren Wahlprogrammen die Relevanz des Themas unterschiedlich. Konkrete Strategien zum Schutz von Menschenrechten und dem zivilgesellschaftlichen Raum wurden bis dato nicht vorgelegt, wie die VENRO-Analyse „Was wollen die Parteien? Entwicklungspolitik und globale Fragen in den Programmen zur Bundestagswahl 2017“ zeigt.

Die Zivilgesellschaft kann aber auch weitere Strategien verfolgen, wie die Ergebnisse des bereits erwähnten internationalen Workshops zeigen. Demnach ist es beispielsweise wichtig, dass NRO sich untereinander besser solidarisieren, sich gegenseitig stärken und externe strategische Verbündete suchen. Zudem können betroffene NRO – wenn es die Situation im Land hinsichtlich der Pressefreiheit denn erlaubt – stärker Öffentlichkeit für ihre Rechte schaffen, indem sie z.B. dezidierter Fälle von Verletzung ihre Rechte veröffentlichen. Um möglichst schnell viele Menschen zu erreichen, können hierbei Soziale Medien eine Schlüsselrolle einnehmen. Des Weiteren können betroffene NRO juristische Möglichkeiten eruieren und öfter den Rechtsweg einschlagen. Bei der Finanzierung ist es ratsam, die Einkommensquellen insbesondere mit inländischen Finanzierungsquellen zu erweitern.

Partner von betroffenen NRO – z.B. Organisationen aus Deutschland – können und sollten in der Ausrichtung ihrer Programme die Stärkung und den Schutz der Zivilgesellschaft stets berücksichtigen. Dafür müssen sie ihre Projekte an die Herausforderungen anpassen, die durch Einschränkung der zivilgesellschaftlichen Handlungsspielräume entstehen. Außerdem können sie Ressourcen in die Partner investieren, um Schutzmechanismen aufzubauen oder existierende Mechanismen bekannt und zugänglich machen. Letztlich können deutsche NRO auch in Gesprächen mit staatlichen Vertreter_innen Stellung zu konkreten Fällen beziehen, um Aufmerksamkeit zu schaffen und Handlungsdruck aufzubauen.


Für weitere Informationen über Strategien empfehlen wir den VENRO-Einblick zum Thema: „Shrinking Space for Civil Society: Was kann die Zivilgesellschaft dagegen tun?“

VENRO veranstaltet am 25. Januar einen Praxisworkshop zum Thema Shrinking Space, der allen Mitgliedsorganisationen offen steht. Weitere Informationen hierzu erhalten Sie in der Geschäftsstelle von Jana Rosenboom (j.rosenboom@venro.org).


Weiterführende Links:

Maina Kiai, ehemaliger Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zu den Rechten auf Versammlung und Vereinigung, hat eine Handreichung für eine zielorientierte, effektive Advocacy-Arbeit mit dem Titel „10 Principles civil society guide: How to advocate for better management of assemblies“. Diese finden Sie hier.

Die „Civic Charter“ ist ein Dokument, in welchem die Zivilgesellschaft in einer weltweiten Konsultation den Rahmen ihrer zivilen Rechte und Freiheiten selbst definiert. Den Link finden Sie hier.

Der „CIVICUS Monitor: Tracking Civic Space“ ist ein Instrument zur Erfassung der weltweiten, aktuellen Ereignisse gegen das Engagement der Zivilgesellschaft und ihre Rechte. Den Link finden Sie hier.