Politik

Terrorismusbekämpfung zur Einschränkung von Zivilgesellschaft?

Das Gebäude der Vereinten Nationen in New York

Eine zentrale Aufgabe der Vereinten Nationen ist der Schutz der Menschenrechte. Doch unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung werden in vielen Ländern vermehrt Menschenrechte verletzt und die zivilgesellschaftlichen Handlungsräume immer kleiner. Lukas Goltermann, Referent des Bereichs Stärkung der Zivilgesellschaft war für VENRO in New York und gibt einen Überblick zum Thema. Klar ist: Die Vereinten Nationen müssen mehr tun, um dieser Spirale des Autoritarismus entgegen zu wirken.

New York City ist der Hauptsitz der Vereinten Nationen. Hier traf ich im Juli 2022 Vertreter_innen der Vereinten Nationen, ihrer Mitgliedstaaten und zivilgesellschaftlicher Organisationen aus allen Teilen der Welt, um über Terrorismusbekämpfung und den Schutz der Zivilgesellschaft zu diskutieren. Im Vordergrund stand die Frage, wie verhindert werden kann, dass vor allem in autoritären Staaten durch (vorgebliche) Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung zivilgesellschaftliche Handlungsräume und Menschenrechte zunehmend eingeschränkt werden?

Was ist das Problem?

Insbesondere die Terrorismusbekämpfung wird in einigen Teilen der Welt zunehmend als Legitimierung von Gewalt und zur Aufstellung von Restriktionen und Verboten genutzt. Ausspionierung, Haftstrafen und Einschüchterungen werden im Namen der Terrorismusbekämpfung immer wieder missbräuchlich eingesetzt, um Demokratie-, Menschenrechts- oder Umweltaktivist_innen sowie humanitäre Helfer_innen oder Oppositionelle verstummen zu lassen.

So wurden beispielsweise in Ägypten in den letzten Jahren geschätzte 60.000 Menschen oftmals ohne jegliche Gerichtsverfahren inhaftiert und die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen (NRO) seit der Einführung eines neuen NRO-Gesetzes im Jahr 2019 stark eingeschränkt. In Nicaragua wurden in diesem Jahr schätzungsweise 1700 NRO mithilfe von Gesetzen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismus verboten und 180 Menschen wegen ihres politischen Engagements eingesperrt. In El Salvador, wo etliche Aktivist_innen und Regierungskritiker_innen ins Exil getrieben wurden, soll mit einem “Gesetz über ausländische Agent_innen”, die Unterstützung von wichtiger und legitimer NRO-Arbeit blockiert werden. Diese Art der „Terrorismusbekämpfung“ geht weit über das angemessene Maß legitimer Sicherheitsinteressen hinaus und bewirkt das Gegenteil: Ohne zivilgesellschaftliche Watchdogs fehlt ein wichtiger Kontrollmechanismus und das Risiko von Korruption nimmt zu. Auch die Einhaltung von Menschenrechten, die Hilfe in Notlagen, die Arbeit an Friedensprozessen oder an Entwicklungszielen wird dadurch erschwert oder blockiert.

Auch abseits dieser extremen Fälle, können Regelungen und Gesetze zur Terrorismusbekämpfung dazu beitragen, dass die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen und Menschenrechtsverteidiger_innen erschwert wird. Dies sind etwa Verschärfungen von Registrierungs- und Berichtspflichten oder auch Compliance-Anforderungen für Banken, die dazu führen, dass Finanzdienstleistungen für NRO (etwa Banktransfers ins Ausland) nicht mehr zuverlässig oder nicht mehr vollständig zur Verfügung gestellt werden. Kleinere Organisationen sind von diesen Maßnahmen besonders stark betroffen, weil ihnen die Ressourcen fehlen, um durch das Dickicht wachsender Vorgaben und Anforderungen zu navigieren.

Hinzu kommt in einigen Ländern der verstärkte Einsatz neuer Technologien zur staatlichen Überwachung und Einschränkung von Kommunikation unter dem Deckmantel der „Inneren Sicherheit“, um beispielsweise in sozialen Medien die Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Aktivist_innen, Journalist_innen oder Menschenrechtsverteidiger_innen zu kontrollieren. Mit der Pegasus Software wurden in mehreren Ländern die Mobiltelefone von schätzungsweise 50 000 Menschen infiltriert und überwacht, darunter die zahlreicher zivilgesellschaftlicher Aktivist_innen (die Software kam unter anderem in Ägypten, Marokko, Uganda, Ruanda, Togo, El Salvadore, Mexiko, Panama, Saudi Arabien, Ungarn, Vereinigte Arabische Emirate, Kasachstan und Indien zum Einsatz).

Fionnuala Ní Aoláin, die UN-Sonderberichterstatterin für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Terrorismusbekämpfung, beobachtet einen systemischen Missbrauch von Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung, der sich gegen Menschenrechtsverteidiger_innen und zivilgesellschaftliche Organisationen richtet. Besonders besorgniserregend: autoritäre Staaten nutzen dabei auch die Sicherheitsarchitektur der Vereinten Nationen, die seit dem 11. September 2001 geschaffen wurde, so Ní Aoláin.

Was können die Vereinten Nationen und andere internationale Institutionen besser machen?

Mein Fazit der New Yorker Konferenz ist, dass es eines besseren Verständnisses dafür bedarf, wie sicherheitspolitische Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung Demokratie, Menschenrechte und Zivilgesellschaft einschränken und wie diese teilweise sogar gezielt und systematisch für dafür genutzt werden.

Konkret bedeutet dies für mich, dass zivilgesellschaftliche Organisationen bei den Vereinten Nationen konsequenter und sinnvoller beteiligt, informiert und wo notwendig auch geschützt werden müssen. So sollten beispielsweise die Aktivitäten des UN Office of Counter Terrorism transparenter gestaltet und regelmäßig einer unabhängigen Überprüfung unterzogen werden, damit sichergestellt werden kann, dass jegliche Aktivitäten menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten folgen und keinen Schaden anrichten. Auch vor, während und nach den Länderüberprüfungen des Executive Directorate des UN Counter Terrorism Committees (CTED) sollte die Zivilgesellschaft konsequent einbezogen und mit den Ergebnissen transparenter umgegangen werden. Zeitpläne und Abläufe der Länderprüfungen sollten transparent gemacht werden. Im Rahmen der Financial Action Task Force (FATF) muss ebenfalls ein größeres Augenmerk daraufgelegt werden, negative Folgen von Maßnahmen zur Prävention von Terrorismusfinanzierung für legitime zivilgesellschaftliche Arbeit zu verhindern.

Eine umfangreiche Auseinandersetzung mit diesem Thema und weitere Empfehlungen finden sich in der Broschüre „The human rights and rule of law: Implications of countering the financing of terrorism measures“.