Politik

UN-Nachhaltigkeitsgipfel: Wege entstehen, wenn wir sie gehen

Auf dem Launch des Global Action Plans in New York

Michael Herbst, Sprecher der VENRO-AG Behinderung und Entwicklung und Leiter der politischen Arbeit bei der VENRO-Mitgliedsorganisation Christoffel-Blindenmission (CBM), ist mit seinem CBM-Kollegen Jan-Thilo Klimisch zur Generalversammlung 2019 der Vereinten Nationen (UN) nach New York gereist. Hier schildert er seine Eindrücke zwischen Klima- und SDG-Gipfel, zwischen UN-Bürokratie und Side-Events.

Die Anfangseuphorie der 2030 Agenda ist verpufft

New York, 25.9.2015: Der Papst hauchte eine 20-minütige Rede ins Mikrofon. Shakira und Angélique Kidjo sangen. Friedensnobelpreisträgerin Malala verpasste den versammelten Staatenlenker_innen einen bildungspolitischen Einlauf. 193 kleine Taschenlampen leuchteten blau. Und dann: Minutenlanger Applaus. Die 2030 Agenda für nachhaltige Entwicklung war verabschiedet. „Jetzt sind wir alle Entwicklungsländer…“ Es klang nach Zuversicht. Es roch nach Aufbruch.

Vier Jahre später: Vor der UN-Generalversammlung spricht der „America first“-Präsident Trump und ermuntert dazu, sich gegen Migration und Einwanderung zur Wehr zu setzen. Die Zukunft gehöre nicht den Globalisten sondern den Patrioten. Greta Thunberg wendet sich an die Staatschefs im Stile einer wütenden Pubertierenden, die ihre Eltern zusammenfaltet. 15 internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeichnen ein düsteres Bild zum Stand der der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDG) und mahnen zu mehr Tempo.

Das Zusammenführen gesellschaftlicher Akteure scheint aus dem Fokus geraten zu sein: Die Regierungsdelegationen bleiben im UN-Komplex weitgehend unter sich. Im Kirchenzentrum gegenüber treffen sich derweil bei der parallel tagenden People‘s Assembly all jene, denen der Zugang zum Gipfeltreffen verwehrt bleibt. Beide „Lager“ sind auf der Suche nach dem richtigen Rezept. Nur sporadisch trifft man am Rande von Plenarsitzungen und bei Side-Events aufeinander oder kommt gar direkt ins Gespräch.

Sicherheit oder doch Schikane?

Wer als zivilgesellschaftliche_r Akteur_in während der New Yorker UN-Woche zumindest bei einzelnen Programmpunkten der offiziellen Treffen dabei sein möchte, muss sich nach der bereits Wochen im Voraus erfolgten schriftlichen Akkreditierung nun vor Ort auf eine verwirrende Schnitzeljagd einlassen. Für manchen mag dieses Verfahren touristisch reizvoll sein, ganz sicher aber nicht für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen. Weder werden die stets nur für einige Stunden gültigen UN-Ausweise im Vorfeld zugesandt, noch ist dafür eine zentrale Ausgabestelle eingerichtet. Stattdessen hat man sich mal zur New Yorker WHO-Repräsentanz zu begeben, mal ins Büro von World Vision und mitunter werden die Ausweise auch in kleinen Parks oder an Straßenecken ausgegeben. Es drängt sich die Frage auf, ob all dies der Sicherheit oder doch mehr der Schikane dient.

Gleich am ersten Tag ziehen wir bei der lustigen Akkreditierungsjagd die falsche Ereigniskarte. Für das hochrangige Treffen zu universeller Gesundheitsversorgung liegt trotz vorheriger gemeinsamer Anmeldung keine Zugangsberechtigung für mich vor, wohl aber für Jan-Thilo, der formal als persönlicher Assistent seines blinden Kollegen angemeldet ist. Nach einigem Nachhaken, Tweets und mehreren Stunden kommt schließlich eine Entschuldigung aus dem Büro des Präsidenten der Generalversammlung. Per Foto wird uns die Zulassung für die Nachmittagssitzung des Gipfels übermittelt. Danke, aber derweil haben wir bereits umgeplant.

Zur Eröffnungssitzung des SDG-Gipfels klappt es dafür dann mit dem Zugang ins UN-Gebäude. Wir hören zahlreiche wenig inspirierte, wenig inspirierende Wortbeiträge, die wir meinen, allesamt schon einmal gehört zu haben, bereichert vielleicht um einige neuere Daten. Immerhin klare Bekenntnisse zu Leave no one behind und Reach those furthest behind first. Und immer wieder das Postulat, die Umsetzungs-Bemühungen zu konkretisieren und zu beschleunigen. Nein, das alles klingt auch für uns nicht nach dynamischem Voranschreiten. Mehr nach einem etwas trägen Nebeneinander und Voranschleichen auf der Grundlage gemeinsamer Agenda-Grundsätze.

Trotz allem gibt es Fortschritte

Aber Vorsicht: Abschreiben sollte man die Agenda 2030 darum keinesfalls. Denn die große Errungenschaft der SDGs, wie zuvor bereits der Millenniums-Entwicklungsziele (MDGs), liegt in der erhöhten, ausdifferenzierten Messbarkeit und Nachprüfbarkeit von entwicklungspolitischen Maßnahmen. Der Zwischenbefund der zu langsamen Agenda-Umsetzung birgt doch zugleich eine Chance. Immerhin über 100 neu geäußerte Versprechen zu beschleunigtem Handeln zählt der VENRO-Vorsitzende, Dr. Bernd Bornhorst, in einer Pressemitteilung zu den Tagen in New York.

Wenn das so ist, dann ist das nicht nichts. Selbst dann, wenn sich hinter den Versprechen nicht wirklich ein zusammenhängendes transformatorisches Gesamtkonzept erkennen lässt. Es ist wohl mehr Stückwerk, das sich – so zumindest die Hoffnung – früher oder später zu einem Ganzen zusammenfügen wird. Drei Beispiele:

  • Wenn sich Deutschland mit einem Dutzend Ländern und beinahe ebenso vielen UN-Organisationen zusammentut, um einen SDG-3-Implementierungsplan anzuschieben, der eine bessere Zusammenarbeit zur Erreichung von ‚Gesundheit für Alle‘ zum Ziel hat, ist das nicht nichts. Selbst wenn dieser Plan einige Defizite aufweist und ein Wirtschaftsvertreter bei dieser „Eheschließung“ zwar bereitwillig den „Trauzeugen“ mimt, dabei aber versäumt, „Hochzeitsgeschenke“ einzubringen, etwa in Form verbindlicher Selbstverpflichtungen. Als vielversprechender Ansatz für eine erfolgreiche Multiakteurs-Partnerschaft kann der von der Bundeskanzlerin initiierte Aktionsplan dennoch gelten.
  • Wenn der multilaterale, auf die Finanzierung von Bildungszugängen in Krisen und Konflikten ausgerichtete Fonds Education Cannot Wait in New York von der Gebergemeinschaft über 200 Millionen Euro zugesagt bekommt, darunter auch deutsche Mittel, dann ist das nicht nichts. Selbst wenn viele Fachleute ein parallel neu eingerichtetes Finanzierungsinstrument, das auf Bildungskrediten basiert, als kontraproduktiv bewerten.
  • Wenn die Vereinten Nationen schließlich eine neue Strategie veröffentlichen, die darlegt, wie man im Innern der UN-Bürokratie behindertenfreundlicher werden möchte, ist das ebenfalls nicht nichts. Auch dann nicht, wenn die in New York vorgestellte Website zum Thema in Sachen Barrierefreiheit noch Optimierungspotential hat.

Der 2030 Agenda-Umsetzungsprozess ist bei weitem nicht tot. Nicht alle machen mit und natürlich macht keiner alles richtig. Doch klar ist auch: Dieser Prozess ist alternativlos.


Ein an diesen Blogbeitrag anknüpfendes Interview mit Michael Herbst können Sie bei SWR Aktuell nachhören.