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Von Lebensmittelvergiftungen bis Kidnapping: Ein Training zu Sicherheitsmanagement für NRO

VENRO-Fortbildung zum Thema Sicherheitsmanagement

Humanitäre Projektarbeit von Nichtregierungsorganisationen (NRO) kann in Krisenregionen nur dann gut funktionieren, wenn internationales und lokales Personal unter sicheren Bedingungen arbeiten kann. Auch Arbeitsorte, Materialien und das Ansehen einer NRO müssen gut geschützt werden.

Welche Elemente ein Sicherheitskonzept beinhalten sollte und wie Organisationen es entwickeln, wurde bei der VENRO-Fortbildung „Entwicklung eines organisationsspezifischen Sicherheitskonzepts“ am 21.-22. Mai 2019 in Berlin erlernt und diskutiert.

Wer ist für die Personalsicherheit verantwortlich?

Die Hauptantwort darauf, warum NRO ein eigenes Sicherheitsmanagement benötigen, liegt in der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers begründet. Nach deutschem Arbeitsrecht gibt es eine Reihe von gesetzlichen Vorgaben, denen Arbeitgeber je nach Arbeitskontext im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht nachkommen müssen. Bei Reisen oder längeren Aufenthalten im Ausland muss den Beteiligten bewusst sein, dass verschiedene Ebenen für die Personalsicherheit verantwortlich sind: Zum ersten die Verantwortlichkeit der Organisation auf Headquarter-Ebene, zum zweiten die des lokalen Partners oder Implementierungspartners und zum dritten die persönliche Verantwortung, die internationale Mitarbeitende auf ihren Reisen selbst tragen. So steht auf der Headquarter-Ebene die Organisation in der Verantwortung, Mitarbeitende über Sicherheitsrisiken und Vorkehrungsmaßnahmen zu informieren. Auf lokaler Ebene können Partner aus dem Feld sicherheitsrelevante Informationen aus erster Hand bereitstellen. Und schließlich sind es die Reisenden selbst, die vor Ort für die eigene Sicherheit Sorge tragen. Anhand eines Field Security Plans werden die einzelnen Schritte, die Organisationen für die Entwicklung eines Sicherheitskonzepts benötigen, vorgestellt. Im Verlauf des Trainings gab es eine ausführliche Diskussion der Teilnehmenden über die Fürsorgepflicht des Arbeitsgebers. In diesem Bereich ist es manchmal unklar, welche rechtlichen Vorgaben für NRO gelten. In welchen Fällen findet das deutsche Arbeitsrecht Abwendung, in welchen Fällen gilt das Recht des Projektlandes oder ggf. das Recht des Heimatlandes eines internationalen Mitarbeitenden?

Kontextanalyse und Risikobewertung sind notwendig

Der erste Schritt bei der Erstellung eines Field Security Plans umfasst eine ausführliche Kontextanalyse der Situation vor Ort. Zunächst werden externe Faktoren analysiert, wie beispielsweise die politische Lage, die Infrastruktur oder die klimatischen Verhältnisse. Auch sozio-demographische Faktoren und die Historie eines Landes spielen eine Rolle. Das Mandat der jeweiligen NRO, Ziele des Projekts vor Ort und das Ansehen der NRO sind zentrale interne Faktoren der Kontextanalyse. Zur Kontextanalyse jeder Reise gehört selbstverständlich eine Analyse der – möglicherweise schnell wechselnden – Situation vor Ort. Eine Rolle für die Kontextanalyse jeder Reise in Projektgebiete spielt außerdem das persönliche Risikoprofil des/der Reisenden. Die Nationalität, Gesundheit, politische Ansichten, vorherige Arbeitserfahrung, das soziale Profil oder Sprachkenntnisse stellen nur einige der Faktoren für die Erstellung individueller Risikoprofile dar.

Im zweiten Schritt erfolgt eine Risikobewertung möglicher Situationen, sowie Überlegungen dazu, wie diese Risiken abgemildert werden können. Konkret kann dies beispielsweise bedeuten, bestimmte Schutzvorkehrungen für das Projekt oder die Mitarbeitenden zu treffen, wie die Bewegungsfreiheit einzuschränken, nur mit offensichtlicher NRO-Kennzeichnung aufzutreten oder – je nach Kontext – eben gerade auf diese zu verzichten. Die Einhaltung humanitärer Prinzipien – Unparteilichkeit, Menschlichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit – sind dabei selbstverständlich Grundbedingung der Arbeit. Der wichtigste Schutz humanitärer Akteure ist die daraus entstehende Akzeptanz der humanitären Arbeit vor Ort. Die Teilnehmenden waren sich einig, dass diese Akzeptanz in den vergangenen Jahren in vielen Kontexten immer stärker in Bedrängnis geraten ist. Dies stellt eine große Herausforderung für das Sicherheitsmanagement und die humanitäre Arbeit insgesamt dar.

Standardisierte Abläufe erhöhen die Sicherheit

Standard Operating Procedures – kurz SOPs – sind vereinbartes, standardisiertes Vorgehen, für die es eine schriftliche Beschreibung der Abläufe von Vorgängen gibt. Zusätzlich zur Erhöhung der Sicherheit dienen SOPs auch der Qualitätssicherung und der fehlerfreien Sicherstellung allgemeiner Handlungsfähigkeit in der Projektarbeit. SOPs gibt es in vielen NRO bereits für den Bereich der Finanzen, aber auch für den Umgang mit besonderen Situationen, wie etwa dem Ausbruch von ansteckenden Krankheiten oder eine veränderte Sicherheitslage. Für diese Fälle sind Notfallpläne vorgesehen. Diese können standardisierte Verfahren für eine Verlagerung der Projektaktivitäten in andere Landesteile oder eine Komplett-Evakuierung außer Landes beinhalten, sowie Verfahren für den Umgang mit lokalen Mitarbeitenden. Notfallpläne sollten bereits vor Eintritt eines Vorfalls entwickelt und nach Möglichkeit vor Ort geübt werden.

Krisenmanagement für Notfälle ist unabdingbar

Trotz bestehender Sicherheitsvorkehrungen ist es nicht auszuschließen, dass ein sicherheitsrelevanter Vorfall eintritt. In solchen Fällen treten die Notfallpläne in Kraft und ein Krisen-Management-Team (CMT) wird eingesetzt. Ein CMT besteht aus Sicherheitsexpert_innen der NRO, einer Person der Öffentlichkeitsarbeit, einer_m Vertreter_in der Personalabteilung, einer Rechtsberatung und möglichen themenspezifischen Expert_innen zur Lage vor Ort. Dieses Team kommt nur in Notsituationen zusammen, in denen zeitsensible Entscheidungen notwendig sind. Dies kann beispielsweise eine Verschlechterung der Sicherheitslage in einem Projekt sein, aber z.B. auch in Fällen von Entführungen von Mitarbeitenden. In diesen akuten Vorfällen hat dieses Team zur Aufgabe, die zur Verfügung stehenden Informationen zu sammeln und zu analysieren, Entscheidungen zu treffen und ihre Ausführung zu steuern. Kontinuierliches Monitoring und Evaluierung für Lerneffekte zukünftiger Krisen sollten gleich mitberücksichtigt werden.

Ein Sicherheitsmanagement dient dazu, die Sicherheit aller Mitarbeitenden zu gewährleisten, die Weiterführung der humanitären Arbeit sicherzustellen, sowie die Reputation der NRO zu erhalten. Obwohl die Hauptrisiken für die Mitarbeitenden eigentlich banal klingen (Lebensmittelvergiftungen, Autounfälle und Kleinkriminalität) hat ein strukturiertes Sicherheitsmanagement zum Ziel, auch diese Risiken zu vermindern und Strategien für den Umgang mit ihnen sowie mit schwerwiegenderen Krisen zu schaffen.


Seit 2018 bietet VENRO Fortbildungen zu humanitären Themen an. Dieses zweitägige Training zu Sicherheitsmanagement wurde im Mai von Han Pelster vom niederländischen Centre for Safety and Development durchgeführt. Weitere Informationen zu Fortbildungen im humanitären Bereich finden Sie hier.