Politik

75 Jahre Vereinte Nationen – Es braucht ein System, das die eigene Nationalität transzendiert

Für die Feier des 75. Jahrestages der Vereinten Nationen (UN) hat sich die Generalversammlung folgende Überschrift überlegt: „The Future We Want, the UN We Need: Reaffirming our Collective Commitment to Multilateralism. – Die Zukunft, die wir wollen, die UN, die wir brauchen: Wir bestätigen unser gemeinsames Bekenntnis zum Multilateralismus“.

In diesem Motto steckt beides: Das Bekenntnis selbst, aber auch die offensichtliche Notwendigkeit, dieses zu erneuern – in Zeiten des immer fragiler werdenden multilateralen Systems.

1945 – kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges – wurden die Vereinten Nationen gegründet. Eine ihrer Hauptaufgaben ist seither die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Die Charta, die „Verfassung“ bzw. der Gründungsvertrag der Vereinten Nationen, legte die Aufgaben fest. Dazu gehört neben der Friedenssicherung die Entwicklung besserer, freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Nationen, die internationale Zusammenarbeit, die Lösung globaler Probleme und die Förderung der Menschenrechte. Die UN soll dabei der Ort sein, wo diese Ziele gemeinsam verhandelt werden. Ein grundlegendes Dokument ist die drei Jahre nach Gründung der UN verabschiedete Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948), die in den 1966 formulierten Menschenrechtspakten (Zivilpakt und Sozialpakt) konkretisiert und als völkerrechtsverbindlich festgeschrieben wurde.

Basis der Zusammenarbeit in den Vereinten Nationen ist das Prinzip der souveränen Gleichheit aller Mitgliedsstaaten. Die UN-Millenniumserklärung im Jahr 2000 betont neben der staatlichen Zusammenarbeit auch die Notwendigkeit, enger mit der Zivilgesellschaft zusammen zu arbeiten für die Gestaltung einer nachhaltigen Entwicklung. Auch der Privatsektor wird als wichtiger Akteur benannt.

Die Agenda 2030 und der Klimavertrag von Paris

Die 2015 verabschiedete Agenda 2030 versucht, die UN-Mitgliedsstaaten erneut darauf zu verpflichten, eine nachhaltige Entwicklung einzuschlagen, und zwar global. Jährlich werden auf der Berichtskonferenz „High Level Political Forum“ (HLPF) in New York Fortschritt und Rückschritt beschrieben und mit der Zielerreichung abgeglichen. Es wird versucht, den Stand der Umsetzung zu analysieren und Schritte für die Zukunft zu vereinbaren.

Der Klimavertrag von Paris, der gleichfalls 2015 auf der UN-Klimakonferenz verabschiedet wurde, ist ein weiteres Rahmenwerk, das basierend auf möglichst hoher Verbindlichkeit dem Klimawandel entgegentreten soll. Jedoch – auch UN-Mitgliedsstaaten können aus Verträgen aussteigen, wie es die USA 2017 getan haben. Sie verließen das Klimaabkommen und fühlen sich diesem gemeinsamen Anliegen nicht mehr verpflichtet. Und zunehmend kommt es vor, dass Staaten wie die USA oder Russland multilaterale Vereinbarungen blockieren, so dass deren Formulierungen fast bis zur Wirkungslosigkeit abgeschwächt werden oder gar nicht erst zustande kommen. So werden im UN-Welternährungsrat, in dem neben den Regierungen auch Zivilgesellschaft und Privatsektor vertreten sind, immer wieder die Verabschiedungen progressiver Leitlinien für die internationale Förderung von Ernährungssicherheit blockiert.

Die Umsetzung der Agenda 2030 geht nicht so voran, wie es sich die UN-Mitgliedsstaaten 2015 gedacht hatten. Der neueste Fortschrittsbericht zur Erreichung der Agenda 2030, der am 7. Juli 2020 in New York vorgestellt wurde, zeichnet ein düsteres Bild: Die globale Armut steigt seit 1998 wieder an, in armen Ländern haben nur 28 Prozent, das heißt drei Milliarden Menschen, keine Möglichkeit, sich die Hände zu Hause zu waschen, und das in Zeiten der Covid-19-Pandemie. Die Zahl der Menschen, die unter Hunger leiden, nimmt weiterhin zu und auch hier wird die Situation durch die Pandemie verschärft. Die Ungleichheit nimmt ebenfalls zu, innerhalb und zwischen Staaten.

Die Beteiligung der Zivilgesellschaft ist ein wesentlicher Motor

Sind also die Vereinten Nationen wirkungslos? Ein zahnloser Tiger? Klar ist: Staatliches Handeln ist unabdingbar: Das Regulieren wirtschaftlicher Aktivitäten und die Sicherung des Friedens über nationalstaatliche Grenzen hinaus – das UN-System globaler Governance, das ein wirkungsvolles Gegenüber für transnationale Akteure bilden kann – ist bisher alternativlos. Die Lösung globaler Probleme kann nur in multilateralen Strukturen entwickelt werden. Das ist beim Klimawandel offensichtlich, betrifft aber genauso die Bekämpfung von Ungleichheit, die Regulierung des internationalen Handels, die Organisation internationaler Fischereirechte oder die gemeinsame Verantwortung für die Menschenrechte auf soziale Sicherheit und Gesundheit, Wohnen, Nahrung und Wasser. Für all diese Bereiche gibt es Institutionen in der UN – und diese müssen gestärkt werden, sowohl finanziell als auch in ihrer Bedeutung und in ihren Einflussmöglichkeiten.

Der Schutz und die Einhaltung der Menschenrechte sind Schlüsselfaktoren und gemeinsame international vereinbarte Grundlage für eine global nachhaltige Entwicklung. Menschenrechte müssen einklagbar sein. Die Beteiligung der Zivilgesellschaft national und international an globalen Gestaltungsprozessen ist ein wesentlicher Motor in diesen Governance-Strukturen, so dass über politische und demokratische Beteiligung Einfluss genommen werden kann – im besten Sinne für das internationale Gemeinwohl.

Wirliche Solidarität muss gelebt werden können

Wahrscheinlich werden die Ausbeutung von Mensch und Natur, aggressive Landnahme und die Überbeanspruchung von Wasser- und anderen Ressourcen, die Auslagerung von Wirtschaftsaktivitäten in profitable Länder und die Verletzung der Menschenrechte erst dann aufhören, wenn das Bewusstsein des Gemeinsamen das der nationalen Identifikation überlagert und damit wirkliche Solidarität – also das Miteinanderverbundensein – gelebt werden kann. Es braucht ein System, das die eigene Nationalität transzendiert und gleichzeitig aus Staaten – Souverän des Regierens – besteht und genau das sind die Vereinten Nationen.