Dr. Luise Steinwachs, stellvertretende Vorsitzende von VENRO, nimmt als Mitglied der deutschen Regierungsdelegation am diesjährigen HLPF teil. Im Interview spricht sie über die Zielkonflikte der Agenda 2030 und ihre Erwartungen an das Treffen zur Vorbereitung des SDG-Gipfels im September.
Das Hochrangige Politische Forum der Vereinten Nationen (HLPF) trifft sich vom 09. bis 18. Juli 2019 in New York, um die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung zu überprüfen. Erstmals hat die Bundesregierung im Vorfeld dieses jährlichen Treffens eine deutsche HLPF-Konferenz ausgerichtet.
Welchen Eindruck haben Sie von der deutschen HLPF-Konferenz mitgenommen? Steigen die Bemühungen der Bundesregierung zur Umsetzung der Agenda 2030?
Auf der Konferenz wurde ganz deutlich, dass die Ziele der Agenda nicht erreicht werden, wenn sich nicht die Ansätze ändern. Einfach nur mehr desselben führt nicht zum Ziel. Zunehmend kommen nämlich Zielkonflikte in den Blick. Als die Agenda 2030 vor vier Jahren verabschiedet wurde, war zwar durchaus bekannt, dass sie nicht kohärent ist und viele Widersprüche enthält. Gleichzeitig war man davon ausgegangen, dass sich hierfür schon praktische Lösungen finden würden. Vielleicht hatte niemand damit gerechnet, dass die 17 Ziele doch ein so starkes Silodenken befördern würden und jetzt die Konflikte – neben den durchaus auch vorhandenen Synergien zwischen den Zielen – so gravierend sind.
Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Nehmen Sie das Ziel 2 – Beendigung des Hungers weltweit – und das Ziel 6 – Zugang zu Wasser, auch zu sauberem Trinkwasser: Viele Ansätze zur Bekämpfung des Hungers konzentrieren sich vorrangig auf die Produktion, weniger auf die Verteilung von Nahrungsmitteln. Und wird hier häufig als Lösung der Ausbau der industriellen Landwirtschaft favorisiert, obwohl weltweit die Mehrheit der Nahrungsmittel in kleinbäuerlicher Landwirtschaft erzeugt wird.
Gleichzeitig geht aber die globale Wasserentnahme zu 70 Prozent auf das Konto der industriellen Bewässerungslandwirtschaft, was häufig zur Folge hat, dass die lokale Bevölkerung keinen Zugang zu sauberem Wasser hat. Das führt offensichtlich zu Konflikten in der Zielerreichung. Hier müssen die Ansätze geändert werden. In diesem Fall zum Beispiel hin zu einem Ausbau und zur Förderung von Agrarökologie. Es muss also zukünftig sehr viel stärker darum gehen, ganzheitlich und vernetzt zu denken und zu handeln – was auch bedeutet, dass sich Institutionen verändern müssen und das Silodenken überwunden werden muss.
Mit welchen Vorschlägen im Gepäck sollte die deutsche Delegation zum HLPF im Juli reisen?
Deutschland wird erst wieder im Jahr 2021 berichten. Daher wird sich die Bundesregierung vor allem in eigenen Veranstaltungen engagieren und an den thematischen Diskussionen beteiligen. Die Delegation selbst besteht neben einzelnen Ministerien aus Abgeordneten und Vertreter_innen der Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Auch VENRO ist Teil der Delegation. Ich freue mich, dass dieses Mal zudem neun Abgeordnete des Bundestages dabei sein werden, um sich einen unmittelbaren Eindruck vom HLPF und seiner Relevanz zu verschaffen. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Umsetzung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie wichtig, die viel stärker vom Bundestag begleitet werden sollte. Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung ist hier ein wichtiges Gremium, er sollte deutlich gestärkt werden. Letztendlich ist die Umsetzung der Agenda 2030 und der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie eine Aufgabe der gesamten Bundesregierung, nicht nur des Bundesentwicklungsministeriums und des Bundesumweltministeriums, wie manchmal der Eindruck ensteht. Die ressortübergreifende Zusammenarbeit muss hier deutlich gestärkt werden.
Wie bringt sich VENRO beim HLPF ein?
VENRO richtet gemeinsam mit dem Bundesentwicklungsministerium und der Internationalen Arbeitsorganisation ILO eine Veranstaltung zum Thema Ungleichheit aus. Deren Reduzierung ist in diesem Jahr eines der Ziele, die das HLPF ausführlicher behandelt werden. Wir freuen uns daher, dass wir ein hochrangiges Panel aus Regierungen und Zivilgesellschaft besetzen können. Ich werde mich außerdem über die NGO Major Group, in der die weltweite Zivilgesellschaft im Kontext des HLPF organisiert ist, aktiv in verschiedene Veranstaltungen einbringen. Die Zivilgesellschaft fordert im Kontext der anstehenden HLPF-Reform eine stärkere Beteiligung, sei es beim Rederecht in den einzelnen Diskussionen, bei der Erstellung und Präsentation von Länderberichten oder bei der Teilnahme an den Podien im offiziellen Programm. Auch ist bisher leider noch völlig unklar, wie die zivilgesellschaftliche Beteiligung beim SDG-Gipfel im September in New York aussehen wird.
Wie geht es nach dem HLPF weiter?
In diesem Jahr wird das HLPF nicht mit einer Ministererklärung enden, sondern mit einer „Botschaft an den Gipfel“. Gemeint ist der bereits erwähnte SDG-Gipfel, der im September im Rahmen der UN-Generalversammlung stattfinden wird. Hierfür hat die Bundeskanzlerin ihre Teilnahme zugesagt, was VENRO sehr begrüßt. Es ist wichtig, dass die Staats- und Regierungschefs auf dem Gipfel eine starke politische Erklärung verabschieden, die nicht hinter bereits getroffene internationale Vereinbarungen zurückfällt, die die Einhaltung der Menschenrechte als Bezugsrahmen betont und die das Bekenntnis zum Multilateralismus bekräftigt. Nur mit einer starken, solidarischen und verlässlichen internationalen Zusammenarbeit kann eine gerechte und zukunftsfähige Lebens- und Wirtschaftsweise gestaltet werden.
Janna Völker | VENRO |