Politik

Die afrikanische Diaspora – eine ungenutzte Ressource der Entwicklungspolitik

In der vergangenen Dekade hat sich das Verhältnis zwischen Afrika und Europa deutlich verändert. Dabei spielt die afrikanische Diaspora in Europa eine zunehmend wichtige Rolle. Wie können Afrikaner_innen in Europa ein neues Kapitel der afrikanisch-europäischen Beziehungen mitgestalten?

Die afrikanische Diaspora in Europa ist keine einheitliche Gruppe. Die kulturellen Prägungen und Bezüge zum Herkunftsland sind sehr unterschiedlich. Weder für die gesamte EU noch für Deutschland gibt es eine genaue Zahl der Menschen mit afrikanischem Migrationshintergrund. Laut Schätzungen sind es jedoch allein in Deutschland etwa eine Million.

Doch die Diversität und die Leistungen der afrikanischen Diaspora werden kaum anerkannt. Stattdessen werden Afrikaner_innen in Europa oft in Verbindung gebracht mit dem Bild Afrikas als politisch instabilem und wirtschaftlich rückständigem “Krisenkontinent“.

Diese weithin verbreitete Sicht beeinflusst unser Zusammenleben. Viele Menschen mit afrikanischen Wurzeln erleben verschiedentlich Rassismus, Diskriminierung und Gewalt. Die Aufmerksamkeit dafür war in Deutschland und Europa bislang gering, doch die aktuellen Proteste gegen Polizeigewalt gegenüber Schwarzen in den USA haben auch bei uns öffentliche Debatten über strukturellen Rassismus und das Erbe des europäischen Kolonialismus verstärkt.

Kompetenzen und Leistungen der afrikanischen Diaspora sichtbar machen

Viele Akteure aus Gesellschaft, Politik und Wirtschaft müssen mehr Verantwortung übernehmen und ein differenziertes Afrikabild fördern. Es gilt, intensivere Partnerschaften zwischen Afrika und Europa zu formen, etwa zwischen Städten, Kommunen, Universitäten oder Unternehmen. Dazu gehört, schwarze Menschen im positiven Sinne “sichtbar“ zu machen.

Sichtbarkeit bedeutet zum Beispiel für Unternehmen, Menschen afrikanischer Abstammung und ihre Kompetenzen als wichtigen Teil der Belegschaft wertzuschätzen und dies auch nach außen zu kommunizieren. Es bedeutet, dass sie sich für innovatives und nachhaltiges Unternehmertum in Afrika einsetzen und zeigen, dass es erfolgreich sein kann. Ein Beispiel ist das Engagement des Volkswagen-Konzerns in Ruanda, der dort seit 2018 mit lokaler Fertigung und vernetzten Mobilitätsangeboten präsent ist.

Neben traditionellen Unternehmen spielen auch Startups eine wichtige Rolle. Ihre Erfolgsgeschichten auf dem afrikanischen Kontinent finden bei europäischen Investoren bislang zu wenig Beachtung. Staatlich bereitgestellte Sicherungsinstrumente wie Risikopuffer für Investitionen können ein wichtiger Beitrag sein, das wahrgenommene Risiko (welches selten dem tatsächlichen entspricht) zu reduzieren.

Diese und andere Maßnahmen können viel dazu beitragen, ein differenzierteres Bild Afrikas zu zeichnen. Die in Europa lebenden Menschen mit afrikanischen Wurzeln würden davon erheblich profitieren. Aber nicht nur die Wahrnehmung sollte sich ändern. Die afrikanische Diaspora muss ein Partner bei der Gestaltung und Umsetzung solcher Initiativen sein.

Dies gilt zuallererst für entwicklungspolitische Maßnahmen. Etliche Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit in Deutschland und Europa tun sich immer noch schwer, die afrikanische Diaspora in ihre Arbeit einzubeziehen. Ihre Belegschaft ist oftmals wenig divers.

Nachhaltige Beteiligung der Diaspora an der Entwicklungszusammenarbeit

Ein positives Beispiel für gelungene Kooperation ist ein Projekt der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zur Förderung von Kleinstunternehmen im informellen Sektor. Menschen aus der afrikanischen Community in Deutschland können hierüber direkt in Strukturen in ihren Herkunftsländern investieren. Die Investitionen werden durch Mittel der Bundesregierung gedoppelt. Diaspora-Netzwerke werden dabei beratend miteinbezogen und können sich aktiv in die Zusammenarbeit einbringen.

Auch die Kleinprojekteförderung, die das Centrum für internationale Migration und Entwicklung (CIM) anbietet, ermöglicht Diaspora-Organisationen eine selbstbestimmte Projektplanung und -umsetzung. Unserem Verein Afro Deutsches Akademiker Netzwerk (ADAN) wurde es dadurch ermöglicht, das “aXd Fellows Program“ durchzuführen: Fünf junge Menschen aus der afrikanischen Diaspora arbeiteten vier Wochen lang gemeinsam mit fünf Startups aus Ghana an ihrer Geschäftsidee und tauschten auf vielen Ebenen ihr Wissen aus.

Wichtig ist zudem, neben der finanziellen Förderung das hohe Bildungsniveau von Akademiker_innen mit afrikanischen Wurzeln besser zu nutzen. Im Zeitalter der Digitalisierung ist ein Transfer von Know-how leichter geworden. Die Studie “The Diaspora and Economic Development in Africa“ (Gnimassoun/Anyanwu, 2019) hebt den positiven Einfluss höherer Bildung auf das Engagement von Migrant_innen in ihren Herkunftsländern hervor, etwa durch eine intensivere Einbindung in wissenschaftliche, politische und wirtschaftliche Netzwerke (sogenannter Ex-Post-Effekt).

Die EU-Ratspräsidentschaft bietet Deutschland eine gute Möglichkeit, Strategien für einen strukturierten Dialog zu entwickeln, um die vielen Ressourcen der afrikanischen Diaspora für nachhaltige Entwicklung einzusetzen. Diaspora-Netzwerke erschließen nicht nur potenzielle Handels- und Kapitalströme und ermöglichen den Transfer von Know-how und Technologie. Sie können auch dazu beitragen, entwicklungsfördernde soziale und institutionelle Normen zu etablieren.

Nicht zuletzt verfügt die afrikanische Diaspora über die nötige kulturelle Sensibilität und kann somit als wichtige Schnittstelle zwischen Afrika und Europa agieren. Bei der Umsetzung von Projekten und der Etablierung von Strukturen sind solche Faktoren von großer Bedeutung.

Bei den Verhandlungen zwischen der Afrikanischen Union und der EU sollten daher Wege und Möglichkeiten geschaffen werden, um diese Kapazitäten einzubeziehen. Die Diaspora kann aufgrund der besonderen Erfahrungen in beiden “Welten” neue Perspektiven in den Diskurs über Afrika einbringen und somit Brücken bauen für ein besseres Verständnis und eine größere politische Kohärenz zwischen Afrika, Deutschland und Europa.


Alhaji Allie Bangura ist Gründer und Vorstandsmitglied des Vereins ADAN e.V., einem Netzwerk für die afrikanische Diaspora und an Afrika interessierten Student_innen und jungen Berufstätigen mit über 190 Mitgliedern in sieben deutschen Städten. Ziel von ADAN e.V. ist es, durch verschiedene Formate und Projekte eine Plattform für Austausch zu schaffen, Vielfalt sichtbar zu machen und Afrika als Chancenkontinent zu präsentieren. In Sierra Leone geboren und in Deutschland aufgewachsen, beschäftigt er sich seit langem mit den Erfahrungen und Perspektiven der afrikanischen Diaspora, um die Darstellung von und die Narrative über Afrika in Europa positiv zu verändern.


Dieser Beitrag ist der zweite Teil unser Blogserie zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft. In Vorbereitung darauf hat VENRO das Digital Africa Forum veranstaltet, an dem rund 70 zivilgesellschaftliche Organisationen aus Afrika und Europa beteiligt waren. Die Teilnehmer_innen des Forums kamen aus fast 30 Ländern und unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen. Drei von ihnen schildern auf dem VENRO-Blog ihre Perspektive auf die afrikanisch-europäischen Beziehungen.


Das Projekt “Towards an open, fair and sustainable Europe in the world – EU Presidency Project 2020-2022” wird gefördert von der Europäischen Union und durchgeführt vom Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO), der portugiesischen Plattform entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen (Plataforma Portuguesa das ONGD), der slowenischen Plattform der Nichtregierungsorganisationen für Entwicklung, Globales Lernen und Humanitäre Hilfe (SLOGA) und dem europäischen Dachverband entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen (CONCORD).

Disclaimer: Inhalte mit Bezug zum Projekt “Towards an open, fair and sustainable Europe in the world – EU Presidency Project 2020-2022” wurden mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union erstellt. Diese Inhalte liegen in der alleinigen Verantwortung von VENRO und geben unter keinen Umständen die Meinung der Europäischen Union wieder.