Politik

Feministische Außenpolitik: Was bedeuten die neuen Leitlinien für die humanitäre Hilfe?

Vorstellung der Leitlinien im Auswärtigen Amt

Anfang März hat das Auswärtige Amt die Leitlinien für eine feministische Außenpolitik präsentiert. Bianca Belger, Advocacy-Referentin bei unserer Mitgliedsorganisation ADRA, war bei der Vorstellung in Berlin vor Ort und bewertet die Relevanz der Leitlinien für die humanitäre Hilfe.

Feministische Gedanken sollen als “roter Faden in unser außenpolitisches Denken” gewebt werden, heißt es in den neuen feministischen Leitlinien des Auswärtigen Amtes. Bei der Präsentation der Leitlinien in Berlin betonte Außenministerin Annalena Baerbock wiederholt, dass es dabei nicht nur um Frauen gehen soll, sondern um alle Menschen – denn Feminismus binde 100 Prozent der Gesellschaft aktiv ein. Im Jahr 2023 sollte das eine Selbstverständlichkeit sein. Ein kleiner Schritt also in die richtige Richtung. Doch wie sind die Leitlinien aus humanitärer Sicht zu bewerten?

Feminismus und eine prinzipiengeleitete humanitäre Hilfe

„Prinzipienfestigkeit und Pragmatismus” ist als feministischer Grundsatz wiederholt in den Leitlinien zu finden. Die humanitäre Hilfe hat zu Recht den Anspruch an sich selbst, unpolitisch, neutral und unparteilich zu sein. Der Zugang aller Menschen zu Ressourcen ist dabei keine politische Zielsetzung, keine Ideologie. Alle Personen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, sollten zu eben dieser Zugang haben. Denn das ist gerecht und unparteilich. Das ist auch die Lesart des Auswärtigen Amtes, weshalb die humanitäre Hilfe explizit in den Leitlinien aufgenommen wurde. Denn: Auch in der humanitären Hilfe braucht es klare Verpflichtungen, um die feministische Außenpolitik in die Realität umzusetzen.

Um diesen Beitrag zu leisten, bedarf es der Beteiligung relevanter zivilgesellschaftlicher Akteure, großer Anstrengungen in Hinblick auf Transparenz und Kohärenz, um den Zugang für alle humanitären Partner_innen zu Informationen und Ressourcen zu ermöglichen, sowie der Operationalisierung der gesetzten Ziele in Hinblick auf die Projekte und Partnerschaften.

Beteiligung

Ein Grundprinzip feministischer Ansätze ist das vollwertige Engagement und die Partizipation aller Geschlechter und Gruppen einer Gesellschaft an Gestaltungs- und Entscheidungsprozessen. In den Leitlinien findet sich wiederholt das Versprechen, den Dialog mit der Zivilgesellschaft zu stärken. Es muss also nicht nur die systematische Beteiligung internationaler Zivilgesellschaft, sondern insbesondere die Partizipation der lokalen Zivilgesellschaft sichergestellt werden. Dies wird im Speziellen auch für die Weiterentwicklung der Leitlinien relevant sein.

Lokale Akteur_innen, insbesondere auch Frauenrechtsorganisationen, sind entscheidende Akteur_innen bei der Verwirklichung feministischer Ziele, da sie häufig fortschrittliche Ansätze, z. B. im Bereich sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt (SGBV) fordern und vor Ort die Bedarfe der Menschen kennen und berücksichtigen. Oft sind diese Gruppen nicht nur effektiv, sondern auch die am stärksten unterfinanzierten Akteur_innen – ausgeschlossen von Entscheidungsprozessen, schlicht nicht sichtbar im humanitären System. Sie sehen sich ständigen Angriffen ausgesetzt, einschließlich SGBV, und sind nicht selten die ersten, die gegen den schrumpfenden Raum für zivilgesellschaftliches Engagement ankämpfen. Daher sollten die humanitären Geber, wie das Auswärtige Amt, lokale (Frauenrechts-) Organisationen unterstützen und fördern, um die Arbeit dieser Gruppen zu stärken.

Transparenz

Um dies zu ermöglichen, müssen alle Akteur_innen Zugang zu relevanten Informationen haben; Prozesse sollten inklusiv, transparent und in Kohärenz mit anderen Akteur_innen, wie zum Beispiel dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), gestaltet werden. Intransparenz beeinträchtigt die Fähigkeit lokaler Akteur_innen, Projekte zu planen und umzusetzen, sie erschwert den Zugang zu Ressourcen und unterstützt damit aktiv bestehende Machtstrukturen, welche durch feministische Ansätze explizit aufgebrochen werden sollen. Hier kann auch die humanitäre Hilfe mindestens unterstützen, in dem auch sie die Förderung und Unterstützung lokaler Akteure deutlich steigert.

Lokalisierung

Das Auswärtige Amt sollte den eigenen Ambitionen und dem zentralen feministischen Konzept auch in Hinblick auf feministische Organisationen, Frauenrechtsorganisationen oder anderen lokalen Akteur_innen im Bereich der humanitären Hilfe gerecht werden: Repräsentanz, Rechte und Ressourcen. Letzteres ist für die Umsetzung der humanitären Hilfe und für das Budget, welches im Auswärtigen Amt ca. ein Drittel des gesamten Haushaltes ausmacht, von besonderer Relevanz. Die Leitlinien schweigen größtenteils zu der Frage feministischer Fördermodalitäten. Auf Projektebene sind neben den Inhalten (bspw. gendersensible Umsetzung) der Projekte auch die Partner_innen ein wichtiges Kriterium.

Diese Partner_innen sind nicht selten Pionier_innen der feministischen Ansätze. Es ist daher nur angemessenen und fair, ihnen Platz dafür einzuräumen, Prozesse zu gestalten oder Entscheidungen zu beeinflussen – denn der direkte Dialog zwischen Geber und lokalen Akteur_innen gewährleistet die versprochene Repräsentanz und ermöglicht es dem Auswärtigen Amt, vollumfänglich verschiedene Perspektiven einzunehmen.

Operationalisierung

Um die Kluft zwischen Absicht und Praxis zu überbrücken, muss der zweitgrößte humanitäre Geber diesen Ambitionen auch konkrete Aktivitäten folgen lassen.

Die Überprüfung und Überarbeitung der Fördermodalitäten, sowie die Anpassung der Rechenschaftspflicht- und Qualitätssicherungssysteme ist ein notwendiger Schritt, um das Versprechen einzulösen, nachhaltig die Rolle der lokalen Akteur_innen zu stärken sowie Mittel planbar, flexibel und transparent zu vergeben. Damit würde das Auswärtige Amt den eigenen Verpflichtungen im Bereich der Lokalisierung nachkommen. Es muss darüber hinaus sichergestellt werden, dass verschiedene Geber durch unterschiedliche Anforderungen den Zugang zu Finanzmitteln für lokale Akteur_innen nicht weiter erschweren.

Die Wirksamkeit humanitärer Maßnahmen wird natürlich nicht nur davon beeinflusst, wer eben diese wie umsetzt, sondern auch was konkret umgesetzt wird. Es ist daher begrüßenswert, dass das Auswärtige Amt verstärkt “bestimmte Bereiche wie den Kampf gegen sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt in der humanitären Hilfe” in den Blick nimmt und fördern will. Offen bleibt im Rahmen der Leitlinien, ob teilweise kontrovers diskutierte Maßnahmen wie Schwangerschaftsabbrüche nicht nur grundsätzlich förderfähig sind, sondern explizit unterstützt werden.

Über diesen „gezielten Förderungen“ hinaus sollte das Auswärtige Amt aber auch einen Schritt weiter gehen: Es sollte nicht davor zurückscheuen, auch in allen anderen humanitären Projekten –wo möglich – Partner_innen bei der Umsetzung gender-transformativer Ansätze zu unterstützen. Denn die Analyse ungleicher Machtverhältnisse oder Geschlechternormen sowie der Versuch diese abzubauen, kann Teil eines humanitären Projektes sein. Hier lassen die Leitlinien noch einigen Interpretationsspielraum.

Abschließende Bewertung

Das Auswärtige Amt wird im Bereich der humanitären Hilfe 100 Prozent der Projekte gendersensibel umsetzen. In einem nächsten Schritt muss nun definiert werden, was das genau bedeutet und wie es gemessen werden kann. Viele Partnerorganisationen erwarten viel von der humanitären Gender-Strategie, die auch in den Leitlinien angekündigt wurde. Sie erwarten Antworten auf Fragen zur konkreten Ausdifferenzierung und der künftigen Rolle des Gender Age Disability Markers. Im Sinne der Kohärenz ist es zu begrüßen, dass eine bewährte Methode (GG1 und GG2) in den Leitlinien Erwähnung findet. Diese aus dem BMZ bekannten Maßstäbe könnten einen wichtigen Beitrag zur Vereinheitlichung und Übersichtlichkeit des deutschen Förderdschungels leisten.

Da Feminismus mehr ist, als Geschlechtergerechtigkeit, sondern eben ein Roter Faden, welcher sich durch verschiedene Politikfelder zieht, noch ein letzter Kohärenzgedanke: Warum nicht verschiedene politische Ziele, wie das Vorantreiben der Lokalisierungsagenda, Verwaltungsvereinfachung und der Anspruch einer feministischen Außenpolitik zusammendenken, gar vernetzen?!