Politik

EU-Haushalt: Flaggschiffe europäischer Interessen oder Leuchttürme nachhaltiger Entwicklungszusammenarbeit?

Die Vorschläge der EU-Kommission zur Finanzierung und Ausgestaltung neuer Außeninstrumente stehen zur Entscheidung an. VENRO plädiert für eine Ausrichtung an Armutsreduzierung, den Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030 und den internationalen Klimaschutzzielen sowie für eine starke Rolle der Zivilgesellschaft.

Beim ersten Europäischen Rat der deutschen Ratspräsidentschaft am 17. und 18. Juli 2020 wollen sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten erstmals seit Wochen wieder persönlich begegnen. Das ist wichtig, denn auf der Agenda stehen Entscheidungen über Geld, die sich schlecht per Video treffen lassen.

Und es geht um viel Geld: Der Vorschlag für den Mehrjährigen Finanzrahmen der EU für die nächsten sieben Jahre (MFR 2021-2027) umfasst 1.100 Milliarden Euro sowie Zusatzmittel zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie (“Next Generation EU“, NGEU) von 750 Milliarden Euro bis Ende 2024. Eine Entscheidung im Juli ist nötig, damit sich der Start der neuen EU-Finanzierungsprogramme im kommenden Jahr nicht unnötig verzögert.

Grundlage der Haushaltsverhandlungen ist der neue Vorschlag von Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, vom 10. Juli 2020. Einige Änderungen zum Verhandlungsvorschlag (der sog. „negotiating box”) vom Mai 2020 sind einen Blick wert. Michel schlägt eine Reduktion des MFR um 20,5 Milliarden Euro zum vorherigen Vorschlag vor. Die Rubrik VI „Nachbarschaft und die Welt“ kommt damit auf 98,4 Milliarden Euro. Das Finanzierungsinstrument „Nachbarschaft, Entwicklung und internationale Zusammenarbeit“ (NDICI) enthält nur noch 70,8 Milliarden Euro. Die ursprünglich aus dem COVID-19-Rettungspaket „Next Generation Europe” (NGEU) vorgesehenen 15,5 Milliarden Euro sollen der Rubrik VI erhalten bleiben, werden aber vollständig dem NDICI zugeordnet.

Es ist bedauerlich, dass der Neuvorschlag „Ausgaben der Außenhilfen“ wieder reduziert wird. Es wäre wünschenswert, die im Mai vorgeschlagenen 102,7 Milliarden Euro zu erhalten. Begrüßenswert ist, dass die Zusatzzusagen aus dem Rettungspaket NGEU an das NDICI gehen. Das betrifft auch die fünf Milliarden Euro aus dem NGEU, die mit dem vorherigen Vorschlag der humanitären Hilfe zukommen sollten. Leider ist dieser Betrag nun ins NDICI umgeleitet worden. Die Mittel aus dem NGEU sollten nicht ausschließlich über Kredite an den Privatsektor und die öffentliche Hand vergeben werden. Mindestens ein Teil sollte als Zuschüsse zur Stärkung von zivilgesellschaftlichen Organisationen und lokalen Behörden zur Verfügung stehen und zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Gemeinden und der sozio-ökonomischen Erholung von der COVID-19-Pandemie eingesetzt werden. Eine gute Nachricht ist, dass die EU mit einem erhöhten Richtwert von 30 Prozent der Ausgaben das Thema Klimawandel in den Blick nimmt. Außerdem sollen alle Ausgaben der EU künftig mit dem Pariser Abkommen vereinbar sein.

Der Zeitplan ist ehrgeizig: Bis Ende Juli sollen die Rahmenzahlen vereinbart sein. Von Juli bis Ende November läuft der sogenannte „Trialog“ zwischen der EU-Kommission, den Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament zur Aushandlung detaillierter Vereinbarungen über die Rechtstexte der Finanzierungsinstrumente. Von Juli bis Ende April 2021 erfolgt der Programmierungsprozess, also die Ausgabenplanung zunächst für 2021 bis Ende 2024. Von besonderer Bedeutung wird hierbei die Bewältigung der sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sein.

Was soll sich für die Entwicklungszusammenarbeit ändern?

Die wichtigste Neuerung ist die Stärkung der Förderung des Privatsektors über Kredit-, Garantie- und Blendinginstrumente (etwa durch den Europäischen Fonds für Nachhaltige Entwicklung, EFSD+). Die geografische Zusammenarbeit wird mit circa 75 bis 79 Prozent der vorgesehenen Mittel gegenüber der thematischen weiter gestärkt. Die Mittelvergabe soll vor allem an die EU-Nachbarschaftsstaaten und Afrika erfolgen, wobei die zu fördernden Themen noch umstritten sind. Einige Mitgliedstaaten fordern ein weiterhin eigenständiges Nachbarschaftsinstrument.

Auch die Integration des vormaligen EEF ist noch nicht sicher. Die Mittel sollen in den Partnerländern der EU für sogenannte “Flaggschiffinitiativen“ verwendet werden. Worum es bei diesen Initiativen geht, ist allerdings noch unklar. Die Ergebnisse der Verhandlungen der EU-Delegationen über den Programmierungsprozess sind nämlich nicht öffentlich. Als “Team Europe“ will die EU-Kommission ihre Entwicklungszusammenarbeit zwar noch stärker gemeinsam mit jener der Mitgliedstaaten über ein “Joint Programming“ definieren. Offen ist jedoch, welche Themen dabei im Vordergrund stehen werden: Digitalisierung, Green Deal, Migrationspartnerschaften, Wirtschaftswachstum und Beschäftigungsförderung?

VENRO fordert Priorisierung der Partnerländer und Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements

VENRO hat die Vorschläge der EU-Institutionen und der EU-Mitgliedsstaaten analysiert und fordert: Die Schwerpunkte in der Zusammenarbeit der EU mit ihren Partnerländern müssen Armutsreduzierung, die SDG-Agenda und das Pariser Klimaschutzabkommens sein. Zudem müssen die Prioritäten der Partnerländer Vorrang haben vor den strategischen Interessen der EU.

Außerdem muss der Richtwert, 95 Prozent der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit anhand der ODA-Kriterien zu verausgaben, eingehalten werden. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten müssen dafür ein unabhängiges und transparentes Monitoring ermöglichen, das an den Leitzielen Gendergerechtigkeit, Menschliche Entwicklung und Klimaschutz ausgerichtet ist.

Garantie-, Kredit- und Blending-Instrumente dürfen die Verschuldungslast der Partnerländer nicht weiter verschärfen. Privatsektorförderung muss verbindlichen menschenrechtlichen und sozial-ökologischen Standards folgen. Die geförderten Unternehmen sollten daran gemessen werden, ob ihre Investitionen entwicklungsfördernde, also vor allem armutsreduzierende, Wirkungen haben. Lokale Kleinst-, kleine und mittlere Unternehmen, die nachhaltig und umweltverträglich produzieren, sollten daher am stärksten unterstützt werden.

Nicht zuletzt muss die Rolle der lokalen und internationalen Zivilgesellschaft in der Formulierung und Umsetzung von Programmen über die thematische Säule hinaus in der geografischen Kooperation verankert werden. Die Bundesregierung sollte die deutsche EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um die Perspektiven der lokalen Zivilgesellschaft immer wieder zu Gehör zu bringen.


In unserem Positionspapier “Für eine faire Partnerschaft zwischen Afrika und Europa” haben wir zivilgesellschaftliche Forderungen zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020 formuliert. Die Publikation ist ebenfalls auf Englisch und Französisch verfügbar.