Politik

COP23: “Deutschland könnte international stark an Glaubwürdigkeit verlieren”

Vom 6. bis 17. November 2017 findet die 23. Weltklimakonferenz in Bonn statt. Im Vorfeld spricht Dr. Gerrit Hansen, Ko-Sprecherin der VENRO-AG Klimawandel und Entwicklung, über ihre Erwartungen an die COP23 sowie die Hoffnungen und Herausforderungen im Kampf gegen den Klimawandel.

Im November findet die Weltklimakonferenz (COP23) in Bonn statt. Was sind die wichtigen Themen dieser Weltklimakonferenz, in welchen Bereichen ist mit einer Einigung der Staatengemeinschaft zu rechnen, wo mit harten Diskussionen?

Dr. Gerrit Hansen: Es ist das erste Mal, dass mit Fidschi ein pazifisches Land und ein Mitglied der Allianz der kleinen Inselstaaten den Vorsitz der internationalen Klimaverhandlungen innehat. Dies ist eine besondere Chance, die Interessen der vom Klimawandel betroffenen Länder, Regionen und Menschen ins Zentrum des Gipfels und der internationalen Aufmerksamkeit zu stellen. Neben einem Fokus auf Anpassung und die Steigerung der kollektiven Ambitionen wird Fidschi auch die Wechselwirkung zwischen Klimawandel und Ozeanen zum Thema machen.

Zentral sind aber auch Fortschritte bei den technischen Kern-Themen der Verhandlungen. Im Zentrum der COP23 steht die Erarbeitung des sogenannten Regelbuches für das Klimaabkommen von Paris. In diesem werden die Richtlinien zur Umsetzung des Vertrages festgehalten. Da diese Umsetzungsrichtlinien 2018 bei der COP24 in Polen verabschiedet werden sollen, ist hier noch viel Detailarbeit zu leisten – ein erster Entwurf wäre ein wichtiges Zwischenergebnis.

Ganz oben auf der Tagesordnung steht auch die Ausgestaltung des sogenannten Ambitionsmechanismus, der sicherstellen soll, dass die freiwilligen nationalen Beiträge der Länder insgesamt die gemeinsamen Ziele erreichen – Stabilisierung des Temperaturanstiegs auf deutlich unter 2°C, möglichst 1.5°C, eine entsprechende Ausrichtung der globalen Finanzflüsse sowie ausreichende Unterstützung der armen und vulnerablen Länder und Bevölkerungsgruppen. Auch hierfür wird die COP24 in Polen ein zentraler Meilenstein sein, und der Fahrplan bis dahin wird bei in Bonn von Marokko und Fidschi gemeinsam vorgestellt werden.

Bei der Arbeit am Regelbuch ist der sogenannten Transparenzrahmen zur Berichterstattung ein Dreh- und Angelpunkt. Bei dessen Festlegung sind viele Konflikte um Vergleichbarkeit und Robustheit auf der einen und nationale Selbstbestimmung sowie Flexibilität für Länder mit unterschiedlichen Voraussetzungen auf der anderen Seite angelegt. Hier spiegeln sich auch die alten Gräben zwischen Industrieländern, Schwellen- und Entwicklungsländern wieder – insofern sind diese technischen Verhandlungen hochpolitisch. Es gibt zudem viele komplexe Wechselbeziehungen zwischen der Festlegung von Transparenzregeln, Standards und Berichtspflichten und anderen schwierigen Themen – wie zum Beispiel die Ausgestaltung der Regelung zu Marktmechanismen im Artikel 6, welcher von vielen Ländern als essentiell für das Erreichen und insbesondere die Erhöhung ihrer NDCs gesehen wird.

Ein weiterer wichtiger Bereich ist natürlich die Klimafinanzierung, und hier insbesondere die Unterstützung von Anpassung und der Umgang mit den sogenannten unvermeidbaren Schäden und Verlusten (Loss & Damage) – gerade nach dem Rücktritt der USA von ihren Verpflichtungen sind hier die anderen Industriestaaten gefragt, um das Vertrauen der Entwicklungsländer zu bewahren.

Vor fast genau einem Jahr ist das Pariser Klimaabkommen in Kraft getreten. Inzwischen haben die USA mit Präsident Donald Trump ihren Rückzug aus dem Abkommen angekündet. Wie wirkst sich das auf die Stimmung vor der COP23 aus, wie groß sind die Hoffnungen auf weitere Schritte gegen den Klimawandel und für den Schutz für die betroffenen Menschen?

Das ist eine sehr zweischneidige Sache: einerseits hat die Ausstiegs-Ankündigung von Präsident Trump weltweit zu einer großen positiven Dynamik geführt. Viele Länder, aber insbesondere auch US-Bundesstaaten, Städte und Firmen haben erklärt, dass sie sich dem Paris-Abkommen weiter verpflichtet fühlen. Es hat also keinen Domino-Effekt gegeben, im Gegenteil. Insbesondere die „we are still in“ Koalition aus den USA hat gezeigt, dass Donald Trump klimapolitisch nicht nur international isoliert ist, sondern auch nur für eine Minderheit der US Bürger und Unternehmen spricht.

Trotzdem hat sich mit der Regierung Trump der zweitgrößte Treibhausgas-Emittent und auch ein wichtiger Geber aus der Verantwortung gestohlen: das aufzuwiegen, insbesondere auch im Bereich Klimafinanzierung, wird nicht einfach werden. Es wird allgemein erwartet, dass die USA bei den Verhandlungen gemäß den diplomatischen Gepflogenheiten eine eher beobachtende Rolle einnehmen werden. Auch die Zusammensetzung ihres Klimateams lässt hoffen. Es wird jetzt stark darauf ankommen, dass andere Vorreiterallianzen entstehen, und den Entwicklungsländern klar signalisiert wird, dass sie nicht zu den Leidtragenden werden.

Die COP23 findet in Bonn statt, die Präsidentschaft hat allerdings Fidschi inne. Eine interessante Kombination: Die Inselgruppe im Pazifik muss wegen des Klimawandels ums Überleben kämpfen, gleichzeitig ist Nordrhein-Westfalen vom Bergbau geprägt und sieht das Thema Klima auch als soziale Frage. Wie wirkt sich das auf die COP23 aus?

Fidschi möchte diese COP als eine Visionäre gestalten und legt viel Wert auf den sogenannten „Talanoa-Spirit“, also den direkten und gleichberechtigten Austausch unter Einbeziehung aller Akteure. Beim „Peoples Climate Summit“, bei Demonstrationen und im Rahmen des vielfältigen Rahmenprogramms der Zivilgesellschaft wird die spannende Kombination „verwundbarer Inselstaat und Kohleregion“ natürlich Thema sein. Ein direkter Dialog kann möglicherweise Chancen bieten, die katastrophale Kohlepolitik der konservativen Regierung zu revidieren – und Vertrauen bei den betroffenen Arbeitern aufzubauen, dass die anstehende Transformation nicht auf ihrem Rücken ausgetragen wird. Deutschland steht insgesamt unter Druck, da es durch das drohende Verfehlen seiner Klimaziele international stark an Glaubwürdigkeit verlieren könnte. Gerade in einer Ära Trump müssen wir zeigen, dass ein sozial gerechter ökologischer Umbau der Gesellschaft möglich ist.

Welche Rolle kann, welche Rolle muss die Bundesregierung auf der COP23 übernehmen? Und welche Aufgaben stehen für die nächste Bundesregierung an?

Die Bundesregierung hat sich in der Vorbereitung der COP23 und der Unterstützung Fidschis stark engagiert, auch für die aktive Beteiligung der Zivilgesellschaft. Hier wird einmal mehr deutlich, wie stark die positive, internationale Rolle Deutschlands von der schwachen heimischen Performance abweicht.

Es steht zu hoffen, dass die COP23 in Bonn dazu beiträgt, ambitionierten Klimaschutz und eine gerechte Transformationspolitik in den Koalitionsverhandlungen zu stärken. Bei der COP wird eines der zentralsten Themen der Mechanismus zur Ambitionsverschärfung sein. Es wäre ein wichtiges Zeichen, wenn sich die neue Bundesregierung, wie zuletzt von über 60 zivilgesellschaftlichen deutschen Gruppen gefordert, auf ein Sofortprogramm zum Klimaschutz verständigen würde. Auch die Festschreibung von mindestens 95% Treibhausgas-Reduktion bis 2050 sowie eine klares Maßnahmenpaket hierfür – vom sozialverträglich ausgestalteten Kohleausstieg über die Verkehrswende bis hin zur Einführung eines wirksamen CO2-Mindestpreises – könnte wichtige Signalwirkung haben. Darüber hinaus muss Deutschland zu seiner Zusage stehen, seinen fairen Beitrag zur internationalen Klimafinanzierung zu leisten. Der deutsche Anteil an der 100-Milliarden-Dollar-Zusage der Industriestaaten sollte dabei unseres Erachtens auf mindestens 8 Milliarden Euro jährlich steigen.