Politik

Der Preis des Lebens: Ärzte der Welt gegen überhöhte Medikamentenpreise

In den vergangenen Jahren sind neue Medikamente zu exorbitanten Preisen auf den europäischen Markt gekommen. Besonders deutlich ist dies bei Wirkstoffen zur Behandlung von Krebs und Hepatitis C zu beobachten. Pharmaunternehmen können innovative Medikamente patentieren lassen und damit die Preise ihrer Arzneimittel nahezu willkürlich festlegen – wodurch die Gesundheitsversorgung auch und gerade im reichen Norden bedroht wird. Carolin Dworzak von Ärzte der Welt schildert,  wie sich ihre Organisation dagegen zur Wehr setzt.

Im Jahr 2014 kamen neue Medikamente gegen das Hepatitis-C-Virus, sogenannte Direct Acting Antivirals (DAA) auf den Markt. Sie eröffnen für die rund 170 Millionen Menschen mit Hepatitis C weltweit die Möglichkeit der Heilung. Langfristig lässt sich dadurch die Krankheit ausrotten. Ein solches DAA ist Sofosbuvir (Markenname Sovaldi) des Herstellers Gilead, das sicherer, verträglicher und wesentlich effektiver ist als ältere Behandlungsmethoden. Allerdings: Das Medikament wird zu Wucherpreisen verkauft. Die 12-wöchige Sofosbuvir-Behandlung kostete zu Beginn in den USA 84.000 Dollar, in Europa bis zu 51.000 Euro. In England ist das Medikament aufgrund seiner hohen Kosten bereits rationiert, nur Hepatitis-C-Patient_innen im Endstadium der Krankheit haben Anspruch auf eine Behandlung. Sogar reiche Länder können sich die Therapie für alle Menschen mit Hepatitis C also nicht leisten.
Möglich ist dies, weil Patente diese Medikamente schützen und die Staaten den Markt kaum regulieren. Doch eigentlich sollten Patente nur unter strengen Auflagen vergeben werden. Dabei orientieren sich Regierungen häufig an den Entscheidungen des Patentamts und entwickeln entsprechende regulierende Maßnahmen. Beispielsweise können Zwangslizenzen die Herstellung und den Import von Generika erzwingen, was eine Regierung also veranlassen kann. So ist ein wichtiges Patent auf Sofosbuvir in China nicht mehr gültig, die Therapie wird dort für etwa ein 30stel des bisherigen Preises verkauft. Auch die Ukraine und Ägypten haben das Patent von Gilead bereits vollständig zurückgewiesen.

Ärzte der Welt als Vorreiter bei Patentanfechtung

Einen ersten Einspruch gegen einen Bestandteil des Patents für Sofosbuvir hat Ärzte der Welt bereits im Februar 2015 beim Europäischen Patentamt (EPA) eingereicht. Im Oktober 2016 entschied dieser, dass Teile der Patentansprüche auf Sofosbuvir nicht bestanden. Es war das erste Mal, dass ein Arzneimittelpatent von einer Nicht-Regierungsorganisation in Europa angefochten worden war.
Im März 2017 hat Ärzte der Welt eine weitere Anfechtung gegen einen anderen Bestandteil von Sofosbuvir eingereicht. Mehr als 30 zivilgesellschaftliche Organisationen aus 17 Ländern hatten sich daran beteiligt. Bei der Anhörung im September 2018 ging es um die chemische Basisverbindung des Medikaments. Das Europäische Patentamt gab der Anfechtung nicht statt, obwohl es sich um einen inaktiven Bestandteil handelt, der keinen direkten therapeutischen Effekt hat.
Gilead hatte bereits Anfang 2018 auf die anstehende Patentanfechtung reagiert, indem es zwei alternative, eingeschränkte Patentansprüche formuliert hat. Der Pharmariese wurde durch den Widerspruch von Ärzte der Welt dazu gezwungen, umstrittene Teile aus seinen Patentansprüchen vorab auszuschließen.

Konkrete Forderungen an die Politik und Zivilgesellschaft gestellt

Trotz der Anfechtungen kann Sofosbuvir in Deutschland weiterhin für etwa 43.000 Euro pro Therapiezyklus verkauft werden. Diese Hochpreispolitik ist auch etwa bei Krebstherapien zu beobachten. Für neuartige Therapien gegen bestimmte Leukämien und Lymphome berechnet Gilead in den USA pro Behandlung derzeit 373.000 Dollar, Novartis fordert 475.000 Dollar pro Person.
Die exorbitanten Preise für Behandlungen stellen eine Gefährdung des Gesundheitssystems und der Versorgung Schwerstkranker dar. Ärzte der Welt hat deshalb klare Forderungen formuliert:

  • Regierungen haben administrative und rechtliche Möglichkeiten, die sie nutzen können, wenn das öffentliche Wohl gefährdet ist. Sie sollten diese insbesondere dann anwenden, wenn, wie im Fall von Sofosbuvir, die Forschung zu großen Teilen mit öffentlichen Mitteln finanziert wurde. Dazu gehört auch, bei extrem teuren Medikamenten eine Zwangslizenz zu erlassen. Dieses Rechtsmittel ermöglicht es der Regierung, anderen Unternehmen auch ohne Einverständnis des Patentinhabers eine Lizenz zur Herstellung eines Medikaments zu erteilen, wenn dies im öffentlichen Interesse ist.
  • Das Europäische Patentamt muss die Prüfverfahren verbessern und Mängel am Patentsystem beheben. Die Anfechtung und die daraus resultierenden Patentanpassungen haben gezeigt, dass es einer größeren Sorgfalt bei der Prüfung und Erteilung von Patenten bedarf. Es kann nicht sein, dass unwirksame Patente oder nicht patentierbare Ansprüche erst dann widerrufen oder angepasst werden, wenn sie öffentlich angefochten werden.
  • Die Zivilgesellschaft kann und sollte sich in das Patentsystem einmischen und kann darin erfolgreich sein. Die Anfechtungen von Ärzte der Welt haben bereits Veränderungen erwirkt und die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Problematik gelenkt. Wenn die Zivilgesellschaft mit ihren begrenzten Mitteln pharmazeutische Unternehmen herausfordern kann, sollten Staaten und Regierungen dies auch tun, um den nachhaltigen Zugang zu Medikamenten für alle Menschen sicherzustellen.

Sollte das System der Preisgestaltung durch Patente und der Ausschluss von Konkurrenz in dieser Form weitergeführt werden, sind die Konsequenzen klar: Eine lebensnotwendige Gesundheitsversorgung wird auch in reichen Ländern immer mehr ein Privileg einer vermögenden Minderheit.