Der Sonderbericht des Weltklimarats IPCC hat erstmals ausführlich den engen Zusammenhang zwischen 1.5°C und dem Erreichen der Ziele nachhaltiger Entwicklung aufgezeigt. Klimaschutz muss jetzt endlich vom bloßen Lippenbekenntnis zum echten Handlungsschwerpunkt werden. Ansonsten richten wir wirtschaftliche Prosperität, menschliche Sicherheit, Freiheit und Wohlstand zugrunde.
Die Welt steht am Scheideweg. Bittere Not, die tiefe Kluft zwischen Arm und Reich, Konflikte und humanitäre Katastrophen werden weiter zunehmen, wenn sich der Klimawandel weiter beschleunigt und es nicht gelingt, die globale Erwärmung auf 1.5°C zu begrenzen. Das ist der alarmierende Befund des Sonderberichts des Internationalen Klimarates IPCC, der im Oktober vorgelegt wurde. Unmissverständlich korrigiert die Wissenschaft damit die Grenze zum potenziell nicht mehr beherrschbaren – und damit unverantwortbaren – Klimawandel von 2°C auf 1.5°C nach unten. Der Dürresommer in Europa, die verheerenden Starkregen in Asien und apokalyptische Wirbelstürme, die die Karibik immer häufiger heimsuchen, erscheinen vor dem Hintergrund dessen, was der 1.5°C-Bericht an Risiken für eine nicht mehr ferne Zukunft aufzeigt, allenfalls als ein Wetterleuchten. Neben der Zunahme von Wetterextremen drohen weitere, nicht hinnehmbare Risiken, wie die vollständige Zerstörung der Korallenriffe dieser Erde – und mit ihnen die Ausrottung unzähliger Arten.
Neben dem Verlust an biologischer Vielfalt und einzigartigen Ökosystemen, gewachsen über Jahrmillionen, bedeutet dies zugleich große Not für Millionen tropischer Fischer und ihrer Gemeinden, steigende Nahrungsmittelpreise und weniger Schutz vor Sturmflut auf tausenden kleinen Inseln. Für kleine Inselstaaten wie Tuvalu könnte die Einhaltung des 1.5°C-Ziels zur alles entscheidenden Existenzfrage werden. Denn wenn die Temperaturerhöhung stärker ausfällt, wird der Meeresspiegel langfristig so viel stärker steigen, dass ihre vollständige Überflutung und Versalzung unausweichlich wäre. Dies würde die Menschen dort ebenso vertreiben, wie im riesigen Küstendelta Bangladeschs, wo allein 40 Millionen Menschen zur Migration gezwungen wären.
Es ist der große Verdienst des IPCC-Berichts, erstmals ausführlich und wissenschaftlich fundiert den engen Zusammenhang zwischen 1.5°C und dem Erreichen der Ziele nachhaltiger Entwicklung aufzuzeigen: Das eine ist ohne das andere nicht zu haben, so die klare Botschaft.
Was folgt aus alledem?
Erstens muss Klimaschutz jetzt endlich vom bloßen Lippenbekenntnis zum echten Handlungsschwerpunkt werden – mit dem Ziel, die globalen Emissionen innerhalb von 15 Jahren zu halbieren. Das erfordert im Falle Deutschlands den Beschluss, bis 2030 aus der Kohleverstromung auszusteigen und die meisten der größtenteils ohnehin veralteten und längst abgeschriebenen Kohlekraftwerke bereits bis 2022 stillzulegen, die Verkehrswende endlich anzugehen sowie die viel zu langsame energetische Sanierung von Gebäuden massiv zu beschleunigen. Das kostet zwar viel Geld, ist aber gleichzeitig ein riesiges Investitionsprogramm, das wirtschaftliche Entwicklung und Arbeitsplätze schafft. Zudem muss in Klimaanpassung investiert werden, denn viele Folgen des Klimawandels sind nicht mehr abzuwenden. Ganz besonders aber muss die wirtschaftliche Zusammenarbeit und finanzielle sowie technologische Unterstützung für arme Entwicklungsländer um ein Vielfaches aufgestockt werden. Denn auch diese müssen eine Transformation vollziehen, deren Kosten über die kommenden Jahrzehnte in die Billionen gehen, wie der IPCC ausgerechnet hat. Da hilft nicht länger eine Politik der kleinen Schritte, sondern es bedarf großer und glaubwürdiger Sprünge. Dass sich das alles lohnt, zeigt der IPCC ebenfalls auf: Je länger wir warten, desto höher die Kosten, Schäden und Verluste.
Für hunderte Millionen Menschen, die schon heute unter Klimaschäden leiden, steht dabei neben Emissionsminderung die Anpassung an den Klimawandel und die Kompensation für erlittene Verluste an allererster Stelle. Dies zu ignorieren, wäre so verantwortungslos wie kurzsichtig, denn am Ende sitzen wir in der Einen Welt alle in demselben Boot – es wären die nächsten Generationen, die die Zeche zu bezahlen hätten, wenn wir nicht endlich das tun, was zu tun ist, um eine Katastrophe abzuwenden.
Zuletzt die gute Nachricht: Es ist noch immer möglich, die globale Erwärmung auf 1.5°C zu begrenzen. Das würde es ermöglichen, die Ziele nachhaltiger Entwicklung zu erreichen. Und es würde sich zudem wirtschaftlich rechnen, wohingegen ein „Weiter wie bisher“ nicht nur wirtschaftliche Prosperität sondern auch menschliche Sicherheit, Freiheit und Wohlstand zugrunde richtet. Daher ist es zwingend, dass wir an dem jetzigen Scheideweg die richtige Wahl treffen und große Schritte machen, anstatt uns weiter wie die Lemminge zu verhalten und schließlich über die Klippe zu stürzen. Zukunftsmut, nicht Zukunftsangst, ist hierbei der richtige Ratgeber und Gebot vernünftigen Handelns.
Den vollständigen IPCC-Sonderbericht können Sie auf Englisch hier abrufen.
Eine deutsche Übersetzung der Hauptaussagen des IPCC-Berichts finden Sie hier.
Sabine Minninger / Referentin für Klimapolitik, Brot für die Welt | Thomas Hirsch / Geschäftsführer, Climate & Development Advice |