Politik

Engagement in fragilen Staaten erfordert Konfliktsensibilität

Ein zerstörter Panzer im Südsudan

Nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit und effektive humanitäre Hilfe sind in fragilen Staaten besonderes schwer zu realisieren. Bei der Finanzierung von Projekten muss daher die politische Situation vor Ort genau berücksichtigt werden. Oft fehlt es den Geberländern jedoch an der notwendigen Konfliktsensibilität.

In den letzten Jahren engagieren sich Geberländer zunehmend in fragilen Kontexten – die internationale Gemeinschaft hat ihre Unterstützung in solchen Ländern von 2007 bis 2016 real um mehr als 27 Prozent gesteigert. Dieser Entwicklung liegt die Erkenntnis zugrunde, dass staatliche Fragilität nicht allein die dort lebenden Menschen betrifft und ihre Lebensperspektiven negativ beeinflusst, sondern gleichzeitig regionale und weltweite Folgen hat.

Vor diesem Hintergrund ist ein noch immer häufig verwendeter politischer Frame die „Bekämpfung von Fluchtursachen“, also die Annahme, dass Investitionen in die Entwicklung fragiler Länder – teilweise hypothetische – Negativeffekte auf die eigenen Staaten mindern könnten. Nachbarländer fragiler Staaten und Geberregierungen versuchen im besten Fall mit solchen oder ähnlichen Begriffen auf populistische Bedrohungspropaganda in ihrer jeweiligen Öffentlichkeit zu reagieren – im schlechtesten Fall bedienen sie sie sogar. Teile von Gesellschaft und Politik dramatisieren die Belastungen für das eigene Land, die vermeintlich durch fragile Bedingungen anderswo entstehen. Das verleitet auf politischer Ebene schnell zu Aktionismus oder zur Abschottung. Beispiele sind die Finanzierung großvolumiger Projekte in Krisengebieten oder die Unterstützung von Grenzsicherungsmaßnahmen, die inhuman und mit Menschenrechten nicht vereinbar sind. Die von Expert_innen für fragile Kontexte geforderte Konfliktsensibilität und Kontextualisierung externer Interventionen finden kaum Berücksichtigung und bestehende zivilgesellschaftliche Initiativen sowie einflussreiche informelle Autoritäten oder Respektspersonen können sich nicht einbringen. Damit laufen solche Maßnahmen Gefahr, für die betroffenen Menschen keine positiven Wirkungen zu haben, oder schlimmstenfalls deren Lebenssituation sogar noch fragiler zu machen.

Wirkungsanalysen sind in fragilen Kontexten unerlässlich

Bis 2030, so eine Schätzung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), werden etwa vier Fünftel aller extrem armen Menschen in Ländern oder Regionen mit fragilen Voraussetzungen zu Hause sein. Deswegen müssen sich internationale Nichtregierungsorganisationen (NRO) vermehrt mit den schwierigen Rahmenbedingungen zivilgesellschaftlichen Engagements in fragilen Kontexten auseinandersetzen. Nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit und effektive humanitäre Hilfe sind in fragilen Kontexten noch schwieriger zu realisieren als in solchen mit funktionierenden und belastbaren staatlichen Strukturen. Fehlende oder schwache Rechtsstaatlichkeit, hohe Gewalt- und Kriminalitätsraten, gering legitimierte staatliche Ansprechpartner sowie beschränkte Wirkungsräume zivilgesellschaftlicher Strukturen, Korruption und schwacher sozialer Zusammenhalt behindern und bedrohen besonders die Arbeit einheimischer zivilgesellschaftlicher Organisationen. Sie stellen aber auch für internationale NRO besondere Herausforderungen dar und bringen für alle spezielle Risiken mit sich. Deswegen sind in fragilen Kontexten genaue und wiederholte Analysen der nichtintendierten Wirkungen, der Beziehungsgeflechte und Entscheidungswege unerlässlich, um die Situation der Menschen tatsächlich zu verbessern. Die Erfahrung und die Kenntnisse der Menschen vor Ort sollten dafür die Basis bilden – seien es die von Kolleg_innen aus NRO oder von integren Respektpersonen auf staatlicher wie nicht-staatlicher Ebene oder einfach die von Menschen, die sich für das Gemeinwohl einsetzen.

Armut und Unsicherheit prägen den Lebensalltag der meisten Menschen in fragilen Kontexten. Schon jetzt müssen rund 1,8 Milliarden Menschen mit diesen Bedingungen umgehen und geeignete Überlebensstrategien entwickeln, bis 2030 werden es voraussichtlich etwa 2,3 Milliarden sein. In der Mehrheit sind das Menschen, die jünger sind als 20 Jahre und für die prekäre Lebensverhältnisse, extreme soziale Ungleichheit, Gewalt und Korruption ebenso zum Alltag gehören wie fehlende staatliche Dienstleistungen, schlechte Bildungs- und Erwerbsmöglichkeiten, erschwerte gesellschaftliche und politische Teilhabe sowie bedrohliche Schädigungen der Ökosysteme.

Misstrauen in Institutionen bestimmt das Verhältnis der Menschen zum Staat und seinen Vertretern. Besonders dort, wo gewalttätige Konflikte eine Rolle spielen, gefährden nicht allein fehlende soziale, wirtschaftliche und politische Sicherheit ein vertrauensvolles und friedliches Zusammenleben, sondern zusätzlich Gewalt sowie Gefahr für Leib und Leben. Mut machend ist aber, dass es selbst unter diesen Bedingungen und Verhältnissen Menschen, Initiativen, Organisationen und manchmal sogar Institutionen (oder Teile davon) gibt, die sich für alle einsetzen und denen daran gelegen ist, die Fragilität ihres jeweiligen Umfeldes zu verringern. Diese Kräfte zu identifizieren, ihre Ideen für Veränderung kennenzulernen und zu verstehen, sollte zu Beginn eines jeden externen Engagements in fragilen Kontexten stehen. Wenn es gelingt, die durch Erfahrungen mit fragilen Bedingungen entwickelte Kreativität der Menschen zu nutzen, den Austausch untereinander zu erleichtern und Projekte an sich verändernde Bedingungen immer wieder anzupassen, sind das weitere Schritte, die zu einem wirksamen zivilgesellschaftlichen Engagement in fragilen Kontexten beitragen können. Und letztlich gehört für alle Beteiligten der Mut zum Scheitern dazu!

Christine Idems ist Sprecherin der VENRO-AG Fragile Staaten.


Weitere Hintergründe zu diesem Thema erhalten Sie in unserem Positionspapier “Noch Normalfall oder schon Ausnahme: Die Zusammenarbeit mit fragilen Staaten”, in dem Möglichkeiten und Grenzen der Arbeit in Konfliktregionen dargestellt und Forderungen an die Bundesregierung und Bundestag gericht werden.