Politik

„Es muss ein Gipfel des ‚Jetzt erst recht‘ werden!“

Auf dem UN-Nachhaltigkeitsgipfel treffen sich erstmals seit der Verabschiedung der Agenda 2030 die Staats- und Regierungschefs, um auf höchster Ebene politische Impulse zur Umsetzung der 17 Nachhaltigkeitsziele zu setzen. Im Interview erläutert Dr. Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von Brot für die Welt und Mitglied der deutschen Delegation, ihre Erwartungen an Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Frau Dr. Füllkrug-Weitzel, Sie vertreten VENRO, die Klima-Allianz und das Forum Umwelt und Entwicklung als Mitglied der deutschen Delegation auf dem UN-Klimagipfel und dem UN-Nachhaltigkeitsgipfel in New York. Worum wird es in New York gehen?

In New York wird es um Klima, Nachhaltigkeit und die Agenda 2030, Entwicklungsfinanzierung, außerdem um Gesundheit und atomare Abrüstung gehen. Als Zivilgesellschaft haben wir eine „Global Week of Action“ ausgerufen.

Mit welchen Erwartungen reisen Sie dorthin?

Die Ergebnisse sind schon bekannt: In allen Bereichen kommen wir zu langsam voran, in einigen fallen wir sogar zurück wie bei der Bekämpfung von Hunger oder sozialer Ungleichheit. Ich erwarte daher vor allem ein starkes Signal für entschiedenes Handeln. Täglich ertrinken Menschen im Mittelmeer, der Amazonas-Regenwald brennt, das klimapolitische 1,5-Grad-Ziel ist in weiter Ferne, Menschenrechtsverteidiger werden verfolgt und getötet, die Zahl der Hungernden steigt nach einer Phase der Besserung wieder an, über 800 Millionen Menschen leben in extremer Armut und die soziale Ungleichheit nimmt weltweit zu. Es kann kein Gipfel des „Weiter so“ werden, es muss angesichts der Lage der Welt ein Gipfel des „Jetzt erst recht“ werden!

Welchen konkreten Beitrag zur Umsetzung der Agenda 2030 erhoffen Sie sich von Bundeskanzlerin Angela Merkel?

Ich hoffe sehr, dass Angela Merkel einen klaren Kontrapunkt setzt gegen Putin, Trump, Bolsonaro und Co, die die Vereinten Nationen nur noch als Bühne für den Abgesang auf den Multilateralismus benutzen. Die Bundeskanzlerin weiß sehr genau, dass globale Herausforderungen nur global gelöst werden können. Dafür hat sie meine Unterstützung. Globalisierung gerecht gestalten geht nur mit Mut, nicht mit Mauern.

Die Zahl der Hungernden ist zum dritten Mal in Folge gestiegen. Was ist die Ursache dafür? Wie kann die Staatengemeinschaft diese Entwicklung umkehren?

Laut Welternährungsorganisation litten im vergangenen Jahr 820 Millionen Menschen an Hunger. Weitere zwei Milliarden Menschen konnten nicht mit Sicherheit sagen, dass sie am nächsten Tag genug zu essen haben würden. Klimawandel und bewaffnete Krisen und Konflikte sind die Hauptursachen. In diesem Jahr führt die Welternährungsorganisation erstmalig die schlechte und instabile Wirtschaft vieler Länder in Folge der Krise 2008/2009 als zusätzliche Ursache auf. Gerade in Ländern mittleren Einkommens hat die Zahl der Hungernden zugenommen. Es muss deshalb viel stärker darum gehen, Wirtschafts- und Handelsstrukturen auch wirklich zu verändern.

Was kann die Zivilgesellschaft tun, um die Umsetzung der Agenda 2030 zu fördern?

Nach unserem Wissen und Informationen aus dem Partnerdialog sind wir das kritische Korrektiv, eine Quelle von Wissen und konkreten Erfahrungen, und wir sind Kohärenzwächter. Ich bin überzeugt: Eine von oben verordnete Agenda 2030 wird keinen Erfolg haben, da können die Regierungen noch so gute Umsetzungspläne verabschieden. Eine aktive Zivilgesellschaft und die neuen politischen Bewegungen, von Fridays for Future bis Extinction Rebellion, sind der Garant für eine ambitionierte Umsetzung, wenn die Agenda 2030 ein echter Weltzukunftsvertrag sein soll.