„Soziale Ungleichheit überwinden – von der Utopie zur Realität“ – unter dieser Zielsetzung fand am 12. September 2019 unsere jährliche Konferenz zur Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung statt. Gemeinsam mit rund 160 Teilnehmenden aus den Bereichen Entwicklung, Umwelt und Klima sowie Soziales diskutierten wir über Ursachen und Perspektiven sowie konkrete Maßnahmen zur Überwindung sozialer Ungleichheit. Abseits der Diskussionsrunden boten sich bei der Konferenz zudem viele Gelegenheiten zum Austausch mit anderen Teilnehmenden.
Vier Erkenntnisse, die die Debatte über soziale Ungleichheit prägen, nehme ich von dem Konferenztag mit:
Soziale Ungleichheit – eine Frage der Definition: Wo soziale Ungleichheit anfängt, ist durchaus umstritten: Soll sie allein über das verfügbare Einkommen, das Vermögen oder über die Fähigkeiten und Kapazitäten eines Individuums gemessen werden? Auch ist umstritten, wie sie überwunden werden kann: Ist die Initiative der oder des Einzelnen gefragt? Wann sollten oder müssen Staat und Politik Maßnahmen ergreifen? Diese Fragen müssen – wie auch bei der Konferenz – immer wieder aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und gemeinsam verhandelt werden. Unstrittig indes war: Extreme Armut und Hunger sind die gravierendsten Ausprägungen sozialer Ungleichheit. Sie gilt es überall – im globalen Süden und auch in Europa – mit allen Mitteln zu bekämpfen.
Soziale Ungleichheit ist menschengemacht: Wir definieren nicht nur, was wir unter sozialer Ungleichheit verstehen. Wir tragen auch dazu bei, dass die Welt tatsächlich ungleich ist und bleibt. Deshalb muss der Blick stärker auf Exklusionsprozesse gelenkt werden. Wie genau werden die Reichen reicher, die Armen ärmer? Warum besteht weiterhin Ungleichheit zwischen Männern und Frauen? Und wie schlagen sich diese ökonomischen und sozialen Ungleichheiten auf die Möglichkeiten nieder, Einfluss auf politische Entscheidungsprozess zu nehmen? Was wir also brauchen sind wirkungsvollere Ansätze, die den Zugang zu politischen Regulierungs- und Entscheidungsprozessen auch für von Armut betroffene und marginalisierte Bevölkerungsgruppen erleichtern. Dafür braucht es eine starke Zivilgesellschaft, die eine solche Perspektive eröffnet und progressive Ansätze zur Überwindung sozialer Ungleichheit einfordert.
Eine ehrliche Debatte über Verantwortung und Kosten des Klimawandels führen: Maßnahmen zur nachhaltigen Entwicklung können soziale Ungleichheit verschärfen. Beispielsweise werden in der Lausitz durch den Ausstieg aus der Kohle viele Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren und werden möglicherweise deshalb deutliche Einkommensverluste hinnehmen müssen, selbst wenn sie in den Tourismus oder in Pflegeberufe wechseln können. Mit einem teilweise deutlich geringeren Einkommen schränkt sich der wirtschaftliche und soziale Spielraum ein. In der Diskussion wurde deutlich, dass diese Herausforderung von Politik und Wirtschaft noch nicht ausreichend klar benannt, geschweige denn angegangen wird. Deshalb gab es den Aufruf an Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft eine „ehrliche Debatte über den Strukturwandel“ zu führen. Gemeinsam mit den Betroffenen – und nicht über ihre Köpfe hinweg – müsse entschieden werden, wie dieser sozial gerecht angegangen werden sollte.
Mit „der Wirtschaft“ reden: Rechtliche Regelung vs. freiwillige Selbstverpflichtung zur Verwirklichung sozial-ökologischer und menschenrechtlicher Standards bei der Produktion und in den globalen Lieferketten – Zivilgesellschaft und Unternehmen stehen sich teilweise kontrovers gegenüber. In der Diskussion wurde aber deutlich, dass ein konstruktiver Dialog bestehende Meinungsverschiedenheiten, wie soziale und ökologische Standards und die Menschenrechte in Produktion und Lieferkette durchgesetzt werden können, auflösen kann. Denn auch deutschen Unternehmen ist am Schutz der Menschenrechte und der Umwelt gelegen. Nur gemeinsam wird man eine Lösung finden.
Wer sich selbst einen kurzen Eindruck von der Konferenz verschaffen möchte, sollte einen Blick auf das Graphic Recording und in die Video-Dokumentation werfen.
Beeindruckt hat mich darüber hinaus wieder einmal der breite Veranstalterkreis der Konferenz und das große Interesse an einer Sektoren übergreifenden Diskussion über nachhaltige Entwicklung: Die Konferenz wurde von VENRO, dem Forum Umwelt und Entwicklung, dem Deutschen Naturschutzring, der Diakonie Deutschland, dem Paritätischer Gesamtverband, dem Forum Menschenrechte, dem CorA-Netzwerk für Unternehmensverantwortung und der Klima-Allianz Deutschland ausgerichtet. Sie ist mittlerweile die größte jährlich stattfindende zivilgesellschaftliche Konferenz zur Verwirklichung nachhaltiger Entwicklung in Deutschland. Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung kommt vier Jahre nach ihrer Verabschiedung endlich in der deutschen Zivilgesellschaft an.
Abschließend möchte ich noch auf das Netzwerk Agenda 2030 hinweisen. Dieses bietet Dachverbänden und Netzwerken der deutschen Zivilgesellschaft die Möglichkeit zum Austausch und zu gemeinsamen Aktivitäten rund um die nachhaltige Entwicklung. Aus seinem Kreis stammen die Veranstalter_innen der Konferenz und die Herausgeber_innen des jährlichen SDG-Reports. Das Netzwerk wird koordiniert von VENRO und dem Forum Umwelt und Entwicklung.
Dr. Sonja Grigat | VENRO |