Die verheerenden Auswirkungen der Klimakrise, wachsende Ungleichheiten und eine Vielzahl von Konflikten und geopolitischen Spannungen werden die Politik der zukünftigen Bundesregierung maßgeblich bestimmen. Im Interview erläutert Michael Herbst, Vorstandsvorsitzender von VENRO, wie eine verantwortungsvolle Rolle Deutschlands in der kommenden Legislaturperiode aussehen kann.
Herr Herbst, warum sollte die Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe für die nächste Bundesregierung Priorität haben?
Die Zahl der Konflikte ist heute so hoch wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr, die Folgen des Klimawandels sind überall spürbar und die soziale und politische Ungleichheit wächst. Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe bieten Lösungen für diese globalen Probleme. Dennoch sehen wir, dass viele der reichsten Länder sich aus der internationalen Zusammenarbeit zurückziehen. Der jüngst verkündetet Ausstieg der USA aus der Weltgesundheitsorganisation und aus dem Pariser Klimaabkommen sind ein besonders bitteres Beispiel dafür. In Deutschland müssen wir alles tun, was in unserer Macht steht, um diesen Rückzug ins Nationale entgegenzuwirken. Die globalen Krisen werden sich sonst mit jedem Tag zuspitzen.
Was sind Ihre Erwartungen an die nächste Bundesregierung?
Ich erwarte von der nächsten Bundesregierung, dass sie sich konsequent für eine gerechte Welt einsetzt und ihre internationalen Verpflichtungen erfüllt. Das beinhaltet, mindestes 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe bereitzustellen. Darüber hinaus sollte Deutschland seinen Beitrag zur internationalen Klimafinanzierung deutlich erhöhen, um die ärmsten Länder beim Klimaschutz und der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen. Die Umsetzung der Agenda 2030 und der Schutz marginalisierter Gruppen müssen im Zentrum des gesamten Regierungshandelns stehen.
Wie kann Deutschland die Agenda 2030 aktiv vorantreiben?
Die erdrückende Schuldenlast und horrende Kreditkosten für Länder im globalen Süden sind eine der zentralen Ursachen für Hunger, extreme Armut und soziale Ungleichheit. Die Staaten benötigen dringend mehr Einnahmen, um in Gesundheit, Bildung und soziale Sicherung investieren zu können. Wir begrüßen daher sehr, dass die Forderungen nach einem fairen Entschuldungsmechanismus und einer globalen Reichensteuer Eingang in viele Parteiprogramme gefunden haben. Auch die internationalen Organisationen, die für die Verwirklichung der globalen Nachhaltigkeitsziele zentral sind, etwa der UN-Ernährungsausschuss oder Weltgesundheitsorganisation, brauchen mehr Unterstützung. Sie müssen in der Lage sein, ihre wichtigen Aufgaben zu erfüllen.
Welche Schritte braucht es bei der Bekämpfung des Klimawandels?
Der Klimawandel ist ein starker Treiber von Hunger und Armut. Er vernichtet nicht nur Ernten und bedroht unsere Ernährungssicherheit. Unicef hat festgestellt, dass Klimakatastrophen im vergangenen Jahr die Schulbildung von rund 242 Millionen Kindern beeinträchtigt haben. Das sind nur die direkten Folgen. Hinzu kommt, dass die Bekämpfung des Klimawandels immer mehr Mittel bindet, die den Staaten für die öffentliche Daseinsvorsorge fehlen. Neben einer Aufstockung der Klimafinanzierung sollte die Bundesregierung daher auf allen Ebenen den globalen Ausstieg aus fossiler Energie vorantreiben. Jeder Cent, der aktuell in klimaschädliche Energieprojekte fließt, ist in erneuerbaren Energien deutlich besser angelegt.
Welche Rolle spielt die Zivilgesellschaft in diesem Prozess?
Die Zivilgesellschaft ist unverzichtbar, um Demokratie, Menschenrechte und globale Gerechtigkeit zu stärken. Sie bietet marginalisierten Gruppen eine Stimme, macht auf Missstände aufmerksam und treibt Veränderungen voran. In einer Zeit, in der demokratische Werte unter Druck geraten, muss die Bundesregierung Menschenrechtsverteidiger_innen und die Handlungsräume von Nichtregierungsorganisationen schützen. Dafür ist es auch wichtig, die entwicklungspolitische Bildungsarbeit zu fördern, damit mehr Menschen in Deutschland die globale Dimension von Krisen verstehen und sich für eine gerechtere Welt engagieren können.
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