Politik

Human Development Report 2016: Wenig Neues

HDI-Weltkarte

Das UN-Entwicklungsprogramm UNDP hat Ende März den neuen Bericht über die menschliche Entwicklung 2016 vorgestellt. Zentrales Ergebnis ist, dass trotz wichtiger Erfolge Millionen Menschen weiterhin nicht von diesen profitieren. Zwar diskutiert der Report Lösungsmöglichkeiten, entscheidende Fragen werden jedoch offen gelassen.

Vor 27 Jahren hat das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) erstmals seinen Bericht über die menschliche Entwicklung (Human Development Report, HDR) herausgebracht. Seitdem hat die menschliche Entwicklung weltweit erhebliche Fortschritte gemacht: Über eine Milliarde Menschen sind trotz wachsender Weltbevölkerung der extremen Armut entkommen, die Lebenserwartung ist gestiegen und mehr Kinder besuchen eine Schule.

Diese Fortschritte sind jedoch nicht allen Menschen weltweit zu Gute gekommen. Viele Bevölkerungsgruppen sind weiterhin stark benachteiligt und profitieren nicht von den Erfolgen der menschlichen Entwicklung. Der diesjährige HDR widmet sich speziell der Frage, wie Entwicklung nicht nur für einige, sondern für alle Menschen erreicht werden kann. Er ist zum einen eine Bestandsaufnahme mit Bezug auf Ungleichheiten und benachteiligte Gruppen, zum anderen blickt er in die Zukunft und gibt Empfehlungen für die Politik, wie universelle menschliche Entwicklung gefördert werden kann. Dabei orientiert sich der Bericht an der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und ihren 17 Nachhaltigkeitszielen (SDG).

Leave no one behind – Systematische Benachteiligungen überwinden!

Trotz erheblicher Fortschritte in der menschlichen Entwicklung leidet weltweit immer noch jeder neunte Mensch an Hunger. Rund 15 Millionen Mädchen werden vor Vollendung des 18. Lebensjahres verheiratet – das bedeutet, das fast alle zwei Sekunden ein Kind verheiratet wird. Täglich sterben 18.000 Menschen an den Folgen von Luftverschmutzung und rund 34.000 Menschen sind gezwungen, ihre Heimat aufgrund von Armut, gewaltsamen Konflikten oder Umweltzerstörung zu verlassen.

Dramatisch hieran sind aber nicht nur die Zahlen an sich, sondern die Tatsache, dass diese grundlegenden Formen von Deprivation bestimmte Bevölkerungsgruppen auf der Erde überdurchschnittlich stark betreffen und für diese Gruppen hartnäckig fortbestehen. Insbesondere Frauen und Mädchen, LGBTI, indigene Bevölkerungsgruppen, ethnische Minderheiten, Menschen mit Behinderungen sowie Migrant_innen und Geflüchtete sind in nahezu allen Ländern durch strukturelle Diskriminierung benachteiligt. Sie verfügen über geringere Einkommen und Besitz, leiden häufiger unter Hunger und Mangelernährung, sind Opfer von Gewalt und Ausgrenzung und haben keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu gesellschaftlicher und politischer Teilhabe. Dabei bestehen Entwicklungshindernisse nicht nur auf wirtschaftlicher, sondern auch auf sozialer, politischer und kultureller Ebene.

Geschlechtergerechtigkeit als Schlüssel für Entwicklung

Besonders dramatisch ist, dass die strukturelle Benachteiligung von Frauen und Mädchen – und damit über der Hälfte der Weltbevölkerung – nach wie vor in vielen Ländern besteht. So werden Frauen in mehr als 150 Ländern rechtlich diskriminiert und nahezu überall haben sie ungleiche Chancen auf Bildung sowie wirtschaftliche und politische Beteiligung. Bei dem im HDR berechneten Human Development Index (HDI), der das Level menschlicher Entwicklung anhand verschiedener Indikatoren für Bildung, Gesundheit und Einkommen misst, weisen Frauen in nahezu allen Regionen der Erde schlechtere Werte als Männer auf. In Südasien ist der HDI für Frauen sogar 20 Prozent niedriger als der für Männer. Dabei trägt es erheblich zur Entwicklung eines Landes bei, wenn Frauen Zugang zu Bildung, Finanzen und Eigentum haben. VENRO hat sich der Thematik in einem Factsheet zu „Geschlechtergerechtigkeit als Schlüssel für nachhaltige Entwicklung“ angenommen.

Was muss sich ändern?

Eine universelle menschliche Entwicklung sei laut HDR grundsätzlich möglich. Der Report gibt im Wesentlichen drei Empfehlungen:

  • Die Analyse der menschlichen Entwicklung muss sich ändern. Soziale Gerechtigkeit und kollektive Freiheiten müssen stärker berücksichtigt werden. Dazu müssen die Daten zur Bewertung von Entwicklung neu ausgerichtet werden. Die Orientierung an Durchschnittswerten lässt die Variationen in den Lebenswirklichkeiten vieler Menschen unberücksichtigt.
  • Es bestehen verschiedene Politikoptionen zur Erreichung einer inklusiven Entwicklung. Dazu gehören insbesondere Maßnahmen zur Herstellung der Geschlechtergerechtigkeit, Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz und Maßnahmen, die sich speziell an marginalisierte Gruppen richten. Es ist jedoch erforderlich, diese Politiken auch kohärent umzusetzen.
  • Um die Globalisierung fairer zu gestalten, müssen globale Institutionen reformiert werden und ein faires multilaterales System etabliert werden. Dazu gehört unter anderem fairer Handel, Regulierung der Märkte (insbesondere der Finanzmärkte), ein fairer Rahmen für Migration, eine erhöhte Legitimität multilateraler Organisationen sowie eine stärkere Partizipation der globalen Zivilgesellschaft.

Fazit

Insgesamt enthält der HDR wenig neue Erkenntnisse, aber orientiert sich erstmals am Prinzip „niemanden zurücklassen“ der Agenda 2030. Er liefert eine gute Analyse der bestehenden Ungleichheiten in der menschlichen Entwicklung und macht auf wichtige Handlungsfelder aufmerksam. Die Schlussfolgerungen und Politikempfehlungen decken sich größtenteils mit lange bestehenden Forderungen der Zivilgesellschaft. Auffällig ist jedoch, dass der Bericht zwar Probleme und Lösungsmöglichkeiten analysiert, jedoch keine Verantwortlichkeiten thematisiert. Das Wer?, Wann?, Wie? und Wo? der Umsetzung der Maßnahmen für eine inklusive, nachhaltige Entwicklung bleibt offen.