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Konferenz zur Zukunft von Zivilgesellschaft: Auch NRO müssen sich verändern

Die indische Aktivist_in Abhina Aher auf der Bond-Konferenz 2019

Auf der Konferenz des britischen Dachverbands Bond in London diskutierten über Tausend Teilnehmende über Herausforderungen des globalen Wandels für die NRO-Gemeinschaft. Vier Schwerpunkte standen aus Sicht von VENRO besonders im Vordergrund.

„We have become the elite, that is being challenged all around the world“, sagt der kenianische Menschenrechtsaktivist Maina Kiai und fordert die Gemeinschaft der Nichtregierungsorganisationen (NRO) auf, sich kritisch zu hinterfragen, sich herauszufordern und zu verändern.

Damit traf er den Nerv der diesjährigen Konferenz von Bond, dem Dachverband der britischen Entwicklungsorganisationen. Unter dem Motto Uniting to drive global change (dt. Gemeinsam den globalen Wandel vorantreiben) kamen über 1.100 Vertreter_innen britischer und internationaler NRO und anderer entwicklungspolitischer Akteur_innen in London zusammen, um zwei Tage lang intensiv über die Zukunftsfragen des NRO-Sektors zu diskutieren.

Inmitten von Brexit-Chaos, Anti-Hilfe-Narrativen und dem Skandal um sexualisierte Gewalt und Ausbeutung sah sich die britische Zivilgesellschaft bereits in den letzten Jahren in Bedrängnis – wie die VENRO-Referent_innen Lili Krause und Lukas Goltermann von vergangenen Konferenzen berichteten. In diesem Jahr stand die Erkenntnis im Vordergrund, dass NRO sich angesichts dieser neuen Herausforderungen auch selbst verändern müssen.

Die Themenvielfalt in den zahlreichen Sessions und Paneldiskussionen war sehr breit und reichte von Finanzierungsfragen über die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele bis zum Thema Safeguarding, sodass die Konferenz viele Highlights hatte und sehr ergebnis- und lehrreich war. Vier Erkenntnisse möchte ich im Folgenden näher darstellen.

1. Safeguarding: Einiges erreicht, aber noch viel zu tun

Anfang 2018 haben uns die Vorfälle sexualisierter Gewalt und Ausbeutung in entwicklungspolitischen und humanitären Organisationen schockiert und betroffen gemacht. Die britischen NRO standen dabei im Fokus des Skandals und der medialen Aufmerksamkeit. Weltweit ging daraufhin ein Weckruf durch die NRO-Community, das Thema Safeguarding beschäftigt den Sektor seither intensiv. Die Konferenz widmete sich daher den zahlreichen Veränderungsprozessen, die im letzten Jahr angestoßen wurden, um den Schutz vor sexualisierter Gewalt und Ausbeutung zu verbessern. Es wurden Richtlinien überarbeitet, Prozesse und Strukturen neu gestaltet, Verpflichtungen formuliert und es fand und findet ein intensiver Praxisaustausch zur Prävention von sexualisierter Gewalt und mit ihrem Umgang statt. Viel sei erreicht worden, bestätigte auch die britische Ministerin für internationale Entwicklung, Penny Mordaunt, in ihrer Rede zum Abschluss des ersten Konferenztages.

In den zwei Sessions zu Safeguarding waren sich die Teilnehmenden einig: Wir haben das Problem erkannt und bereits erste Schritte unternommen, um aufzuzeigen, was zu tun ist. Nun geht es um die Umsetzung. Hier muss noch viel mehr passieren, um das Thema ‚Schutz vor sexualisierter Gewalt und Ausbeutung‘ in den Organisationen zu verankern. Eine große Herausforderung dabei ist, dass die Ursachen für sexualisierte Gewalt und Ausbeutung auch in den Machtstrukturen und der Organisationskultur liegen. Diese zu ändern ist schwierig, unbequem und nur durch langfristiges Umdenken möglich. Es brauche eine ehrliche und offene Debatte und ein uneingeschränktes Bekenntnis der Führungskräfte, hob Hannah Clare, Verantwortliche für Safeguarding beim Norwegian Refugee Council in der Session hervor. NRO müssten gegenüber den Menschen, mit denen sie arbeiten, Verantwortung übernehmen. Das heißt: Neben der Ownership at the top müssten sie für jeden und jede zugängliche Hinweisgebersysteme schaffen, einen verlässlichen und vertrauensvollen Umgang mit Hinweisen sicherstellen und die Vorfällen transparent aufarbeiten. Die Sicherheit und der Schutz der Betroffenen und der Hinweisgeber_innen müssten dabei immer an oberster Stelle stehen.

Anwesende Praktiker_innen betonen ebenfalls, wie wichtig es sei, von Seiten der Geberinstitutionen und von Seiten der Organisationen ausreichende Ressourcen für Safeguarding zur Verfügung zu stellen. Gemeinsames Lernen innerhalb, aber auch zwischen Organisationen, spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Hier können Plattformen wie Bond und VENRO die Organisationen mit Angeboten unterstützen.

2. Inklusion, Diversität, Gleichberechtigung: Die eigenen Werte innerhalb der Organisation leben

Die Debatte um sexualisierte Gewalt und Ausbeutung zeigt, dass NRO daran arbeiten müssen, die eigenen Werte zu leben – in der Arbeit mit Partnern und Zielgruppen und innerhalb der Organisationen selbst.

“I was not born in the wrong body, I was born in the wrong society”, sagte die indische Transaktivist_in Abheena bei ihrer Eröffnungsrede. Was aber bedeutet Inklusion und Diversität? Wie leben wir diese Werte? Welche Rolle spielt Führung dabei? Diese und andere Fragen wurden im Verlauf der Konferenz aus verschiedenen Blickwinkeln diskutiert. Eine Erkenntnis dieser Diskussion war, dass auch viele NRO noch weit davon entfernt sind, wirklich diverse und inklusive Organisationen zu sein. Während beispielsweise Frauen mit rund 70 Prozent im britischen NRO-Sektor überrepräsentiert sind, liegt der Frauenanteil auf Vorstands- und Geschäftsführungsebene nur bei knapp 30 Prozent. Für Deutschland sehen die Zahlen ähnlich aus. „Organisationen müssen erkennen, dass Diversität eine Chance ist und uns alle weiterbringt“, sagte ein Konferenzteilnehmer. NRO sollten dementsprechend Einstellungspraktiken, Führungsstile, aber auch ihre Außendarstellung überdenken. Wer ist beispielsweise auf der Webseite vertreten? Wer spricht auf Veranstaltungen?

3. #Shiftthepower: Zivilgesellschaft im Globalen Süden stärken

Auf der Konferenz wurde intensiv darüber diskutiert, wie wichtig das Wissen der lokalen Communities und Organisationen ist und wie wichtig es ist, dass sie Einfluss auf Entscheidungen nehmen.

Die Wertschöpfungsketten in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit seien zu lang, lautete die Diagnose von Barbara Nöst von der Zambian Governance Foundation. So bliebe lokalen Organisationen am Ende der Kette nicht viel Raum. „Die wachsenden bürokratischen Anforderungen von Geberorganisationen, Logframes, Reporting etc. lähmen lokale NRO.“ Problematisch sei auch, dass internationale NRO immer häufiger mit lokalen Organisationen um Finanzierungen, etwa durch Unternehmen oder Stiftungen, konkurrierten.

Der Ansatz der Community philantrophy liefert eine mögliche Lösung. Hinter dieser Community verbergen sich Organisationen im Globalen Süden, die auf lokalen Entscheidungs- und Unterstützungsstrukturen basieren und sich (ganz oder größtenteils) durch lokale Spenden finanzieren. In einer Zeit, in der die Ungleichheit wächst, Populismus lauter wird und Menschen den Zugang zueinander verlieren, setzen Organisationen wie die Kenya Community Development Foundation oder der Tewa-Nepal Women’s Fund auf starke Gemeinschaften im Globalen Süden. Das Ziel ist es, Menschen im Globalen Süden für den Wandel zu mobilisieren und tatsächlich zu beteiligen. So sollen nachhaltige lokale Strukturen geschaffen werden.

Zivilgesellschaft im Globalen Süden braucht mehr denn je eine eigene Stimme, um gegenüber Regierungen und Geberinstitutionen die Erfüllung lokaler Bedürfnisse einzufordern. Hierbei können internationale NRO Menschen im Globalen Süden unterstützen, ihre Stimme selbst zu erheben. „We cannot start or continue speaking for people. People can speak for themselves“, forderte Maina Kiai.

4. Neue Ansätze für die Kommunikation durch positive und authentische Geschichten

Zivilgesellschaft in Großbritannien – aber auch weltweit – ist zunehmend mit Anfeindungen, Einschränkungen und einem politischen Klima konfrontiert, das von Populisten dominiert wird. Was können NRO dem entgegensetzen? Wie können neue, positive Narrative entwickelt und verbreitet werden? Wie können Menschen für den gesellschaftlichen Wandel gewonnen werden? Diese Fragen beschäftigte viele der Konferenzteilnehmer.

Narrative seien entscheidend, wenn wir Gesellschaften transformieren wollen, so Nicky Hawkins, Kampagnenmanagerin vom Frameworks Institute, in einer der Konferenzsessions. Sie hat sich in ihrer Arbeit mit Framing beschäftigt. Insbesondere in der politischen Kommunikation werden Frames benutzt, um in den Köpfen der Menschen Bilder zu verankern und die öffentliche Debatte zu beeinflussen. Rechtspopulist_innen nutzen diese Methode sehr erfolgreich. Um ihren Frames und Narrativen zu begegnen und eigene zu etablieren, müssen NRO neue Strategien entwickeln. Thomas Coombes von Amnesty International berichtete, wie seine Organisation Hope-based Communications als neue Kommunikationsstrategie erprobt. Dahinter steht die Idee, dass mithilfe positiver Bilder – Hoffnung statt Angst, Held_innen statt Opfern – mehr Menschen für den gesellschaftlichen Wandel mobilisieren werden können. Dies bedeutet im Kern, sich mit folgenden Fragen auseinanderzusetzen: Wie sieht die Welt aus, die wir uns wünschen und für die wir kämpfen? Welche Lösungen bieten wir den Menschen, die orientierungslos und voller Sorge in die Zukunft blicken?

Zum Abschluss der Konferenz erinnerte die Autorin Sisonke Msimang in einer inspirierenden Rede daran, wie wichtig es ist, authentische Geschichten zu erzählen und so Stereotype aufzubrechen. Sie kritisierte, dass Geschichten im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit zu häufig einseitige Bilder erzeugen und dass Menschen des Globalen Südens nur zu Wort kommen, wenn sie bestätigen, was internationale NRO, Geberinstitutionen und Spender_innen hören möchten. Menschen sollten den Raum bekommen, ihre eigenen, echten Geschichten zu erzählen, so die Autorin. „Viele dieser Geschichten werden den Erwartungen nicht entsprechen – aber sie werden berühren, überraschen und haben das Potential, die Welt zu verändern.“

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Auf der Konferenz wurden insgesamt viele wichtige, kritische Fragen aufgeworfen. Sie bieten sicherlich auch der deutschen NRO-Community spannenden Diskussionsstoff. Mehr Informationen zu der Konferenz finden Sie hier.