Politik

Was der Koalitionsvertrag bietet – und was fehlt

Am 14. März wird Angela Merkel zum vierten Mal zur Bundeskanzlerin gewählt. VENRO hat die Fortsetzung der Großen Koalition zum Anlass genommen, den nun gültigen Vertrag zwischen Union und SPD zu analysieren und im Hinblick auf die Themen Nachhaltigkeit, Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe zu bewerten.


Inwiefern unsere im Vorfeld der Bundestagswahl und der Koalitionsverhandlungen dargelegten Vorstellungen und Forderungen Eingang in den Koalitionsvertrag der Großen Koalition gefunden haben, lesen Sie ausführlich in unserer aktuellen Stellungnahme.


Wie ist der Koalitionsvertrag aus VENRO-Sicht zu bewerten?

Aus entwicklungspolitischer Perspektive ist zunächst zu begrüßen, dass die Umsetzung der Agenda 2030 und die Förderung nachhaltiger Entwicklung im vorliegenden Vertrag als Maßstab des Regierungshandelns bezeichnet werden. Von einer systematischen Umsetzung in allen Politikfeldern ist jedoch keine Rede. Es reicht nicht, die Förderung nachhaltiger Entwicklung lediglich auf Umwelt-, Außen- und Entwicklungspolitik zu reduzieren – vielmehr sollte und muss die Agenda 2030 als ganzheitliches globales Rahmenwerk für nachhaltige Entwicklung die Richtschnur für das Handeln aller Ressorts sein.

Abschottung und Abschreckung prägen den Bereich der Asyl- und Migrationspolitik – hier setzt die künftige Bundesregierung klar auf eine Begrenzung der Zuwanderung. Trotz des Bekenntnisses zum Grundrecht auf Asyl stehen die im Koalitionsvertrag beabsichtigten Maßnahmen leider in deutlichem Widerspruch zu einem an den universellen Menschenrechten ausgerichteten Umgang mit geflüchteten Menschen und Migrant_innen.

Hervorzuheben ist hingegen das Vorhaben der Koalitionspartner, die Friedensförderung auszubauen. Im Hinblick auf eine Stärkung friedlicher Konfliktbearbeitung fehlt es jedoch an Einbezug und Stärkung lokaler Zivilgesellschaften. Ambivalent zu bewerten sind auch die Vorhaben im Bereich der Rüstungsexporte: So plant die künftige Bundesregierung einerseits eine Verschärfung der bereits bestehenden Rüstungsexportrichtlinien, verpasst es aber andererseits, diesem Thema eine komplett neue, strenger formulierte gesetzliche Grundlage geben zu wollen.

Finanzierung lässt viele Fragen offen

Der Koalitionsvertrag bekennt sich eindeutig zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens, das im Koalitionsvertrag in verschiedenen Kapiteln verankert ist. Die dafür vorgesehenen Maßnahmen werden jedoch nicht ausreichen: Das nationale Klimaschutzziel, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, wird krachend verfehlt. Wie der notwendige Aufwuchs der internationalen Klimafinanzierung realisiert werden soll, bleibt ebenfalls unklar.

Dieser Punkt kommt auch im Hinblick auf die Finanzierung nachhaltiger Entwicklung im Koalitionsvertrag zu kurz: Die darin festgeschriebene (und bereits 1970 von der UN vereinbarte) Zielmarke von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) wird mit den dafür vorgesehenen Mitteln deutlich verfehlt – nach Berechnungen von VENRO wäre eine Erhöhung der ODA-Mittel im Umfang von 17,8 Milliarden Euro bis zum Jahr 2020 erforderlich, um das 0,7 Prozent-Ziel zu erreichen. Darüber hinaus stellt der Koalitionsvertrag eine sachgrundlose 1:1-Verkoppelung zwischen dem Verteidigungsbudget und den ODA-Mitteln her. Die künftige Bundesregierung zeigt insgesamt weder eine Perspektive und schon gar keinen konkreten Zeitplan auf, wie eine Finanzierung nachhaltiger Entwicklung sichergestellt werden kann.

Agenda 2030 ist nicht ausreichend verankert

Während das Thema Geschlechtergerechtigkeit als Grundlage der Entwicklungszusammenarbeit festgeschrieben ist, fehlt die Inklusion von Menschen mit Behinderungen im internationalen Kontext völlig. Bedauerlich ist ebenfalls, dass das Grundprinzip der Agenda 2030, Leave no one behind, im Koalitionsvertrag nicht explizit angesprochen wird.

Positiv zu bewerten ist hingegen, dass im Koalitionsvertrag dem Thema Globale Gesundheit erstmals ein eigener Absatz gewidmet wird. Auch die Überwindung von Hunger und Armut findet Eingang in den Vertrag; die Koalitionäre bekräftigen darin das Vorhaben, 500 Millionen Menschen aus und Mangelernährung zu befreien. Hierfür fehlt jedoch ein zeitlich unterlegter Aktionsplan, in dem sich die Koalitionspartner konkrete Zusagen auferlegen.

Übergreifend lässt sich festhalten, dass viele Aussagen und Zielsetzungen in den für uns relevanten Abschnitten den Positionen und Forderungen von VENRO entsprechen; insgesamt vermissen wir aber eine deutliche Verankerung der Agenda 2030 und der nachhaltigen Entwicklungsziele in allen Kapiteln des Koalitionsvertrags. Wir werden die Schwachpunkte des Vertrags im politischen Dialog weiterhin thematisieren und uns dafür einsetzen, dass das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung bei uns und weltweit ein stärkeres Gewicht in der deutschen Politik bekommt.