Politik

Die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie braucht mehr „Wumms“

Titelbild der DNS

Die überarbeitete deutsche Nachhaltigkeitsstrategie enthält viele gute Absichten, es fehlt aber an konkreten und umsetzbaren Inhalten. Mira Ballmaier und Dr. Jürgen Focke, Sprecher_innen unserer AG Agenda 2030, haben die Änderungen analysiert und sowohl Schwachstellen als auch positive Neuerungen identifiziert.

Die Bundesregierung hat eine aktualisierte Fassung der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (DNS) veröffentlicht und damit ein neues Kapitel in der nationalen Nachhaltigkeitsarchitektur aufgeschlagen. Die Aktualisierung soll Ausgangspunkt für die zwingend notwendige Stärkung der Nachhaltigkeitspolitik sein, die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Nachhaltigkeitsziele minimieren und nicht zuletzt das Land widerstandsfähiger gegenüber zukünftigen Krisen machen.

Bei der DNS handelt es sich um ein sogenanntes „living document“, das seit 2002 in einem vierjährigen Zyklus fortgeschrieben wird. Sie weiterzuentwickeln, wird auch in Zukunft eine Daueraufgabe bleiben. In der aktuellen Fassung sind einige Impulse der Zivilgesellschaft aufgegriffen worden, die wir positiv bewerten. Aber welche Wirkungen können wir von dieser neuen Version nun tatsächlich erwarten? Papier ist geduldig, sagt man. Wir befürchten, dass dies auch auf die DNS zutrifft. Sie bleibt zu vage und zu unverbindlich, um die notwenige Wucht für den sozial-ökologischen Wandel zu entfalten. VENRO hatte im Zuge der Weiterentwicklung gefordert, die DNS globaler auszurichten, die Politik kohärenter zu gestalten, das bestehende Wirtschaftsmodell gerechter zu gestalten und den Anspruch, niemanden zurückzulassen, stärker zu berücksichtigen. Nach wie vor sehen wir bei diesen vier Punkten den größten Handlungsbedarf:

In der aktuellen Version der DNS sind zwar deutlich mehr globale Bezüge vorhanden, zum Beispiel durch den Fokus auf weltweite Pandemiebekämpfung, den interdisziplinären One-Health-Ansatz, Bildung für nachhaltige Entwicklung oder internationale Wertschöpfungsketten. Diese Handlungsfelder stehen jedoch nach wie vor für sich und werden nicht konsequent in allen Maßnahmen mitgedacht.

Eine zentrale Errungenschaft der neuen DNS sind übergeordnete Transformationsbereiche, wie Soziale Gerechtigkeit oder Klimaschutz, mit denen die Wechselwirkungen zwischen den Zielen der Agenda in den Blick genommen werden. Maßnahmen in diesen Bereichen sollen künftig eine hervorgehobene Rolle in der Nachhaltigkeitspolitik spielen. Leider sind die Transformationsbereiche aber primär Nachhaltigkeitszielen zugeordnet, die Veränderungen in Deutschland anstreben. So bleiben zum Beispiel die klimapolitische Verantwortung Deutschlands gegenüber dem globalen Süden oder die wachsenden Ungleichheiten zwischen Ländern infolge der Corona-Krise weitgehend ausgeklammert.

Neu in der überarbeiteten DNS sind zudem zwei internationale Indikatoren. Sie beziehen sich auf die globale Pandemieprävention und -reaktion und den weltweiten Bodenschutz. Das sind Schritte in die richtige Richtung. Zentrale Ziele wie Beendigung der Armut, Bildung oder Reduzierung von Ungleichheiten bleiben aber ausschließlich mit nationalen Indikatoren hinterlegt. Die globalen Herausforderungen der Problemfelder werden so nicht angemessen berücksichtigt.

Mit Blick auf eine kohärente Politikgestaltung gibt es ebenfalls sinnvolle Neuerungen. So müssen die Ressorts in Zukunft einen gemeinsamen Bericht über den Stand der Zielerreichung sowie geplante Maßnahmen zugunsten derjenigen Indikatoren erstellen, deren Ziele voraussichtlich nicht erreicht werden (Off-track-Indikatoren). Das soll geschehen, sobald das statistische Bundesamt seinen Indikatorenbericht veröffentlicht hat. Auch hier fehlt jedoch die konkrete Folgenplanung. Was passiert, wenn nach dem gemeinsamen Bericht zunächst nichts mehr passiert? Der von uns unterstützte Vorschlag eines Nachhaltigkeits-TÜVs fand leider keinen Eingang in die DNS. Ebenso ist die Beteiligung des Parlaments oder die Aufwertung des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung (PBnE) vage gehalten. Die von vielen Seiten vorgeschlagene Implementierung eines oder einer hochrangigen Bundesbeauftragten für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie findet keine Erwähnung, womit eine weitere Chance verpasst wird, eine wirkkräftige Person zu benennen, die die DNS sowohl in Deutschland als auch international vorantreibt.

Der DNS liegt nach wie vor das Paradigma des Wirtschaftswachstums zugrunde. Initiativen zur Abkehr von diesem einseitigen Modell bewegen sich vor allem im Bereich der Absichtserklärungen. Einzelne Maßnahmen nehmen Themen wie die Sorgfaltspflicht von Unternehmen und eine nachhaltige Finanzpolitik in den Blick. Es fehlt jedoch die transformative Dynamik, die notwendig wäre, um wirklich etwas zu bewegen.

Der Anspruch, niemanden zurückzulassen und die Belange benachteiligter Personengruppen stärker zu berücksichtigen, wird an vielen Stellen innerhalb der DNS formuliert, doch langjährige Schlüsselforderungen wie die Verbesserung der Datenlage werden nicht weiter vertieft. So wird es auch künftig keine Aufschlüsselung der Daten nach Faktoren wie Alter, Geschlecht oder Behinderung geben.

Unzureichende Beteiligung der Zivilgesellschaft bei der Berichterstattung

Die neue DNS soll nun auch Grundlage sein für den zweiten freiwilligen Bericht Deutschlands zur Umsetzung der Agenda 2030 beim Hochrangigen Politischen Forum für Nachhaltige Entwicklung (HLPF) der Vereinten Nationen. In der DNS kündigt die Bundesregierung an, die Zivilgesellschaft eng in die Erstellung des Berichts einzubinden. Für eine angemessene Beteiligung braucht es jedoch mehr Transparenz und größere Beteiligungszeitfenster, denn das HLPF findet bereits im Juli statt und bislang liegt uns noch immer keine konkrete Planung bzw. kein zeitlicher Ablauf vor. Gemeinsam mit weiteren Organisationen des Netzwerks Agenda 2030 hat VENRO deshalb die Erwartungen an den Prozess formuliert.

Mehr Mut und Verbindlichkeit sind erforderlich

Insgesamt bleiben mit Blick auf die Überarbeitung der DNS gemischte Gefühle. Viele Punkte, die wir für zentral erachten, haben Eingang in die DNS gefunden. Wir brauchen aber mehr politischen Mut und Verbindlichkeit, um die Transformation hervorzurufen, die wir – nicht nur zur Zielerreichung der Agenda 2030 – benötigen. Insbesondere die Verknüpfung zwischen den einzelnen Zielen und die konsequente Betrachtung der globalen Auswirkungen der deutschen Politik bleiben hinter unseren Erwartungen zurück. Eine reine Nennung von Buzzwörtern kann die Transformation nicht hervorrufen.

Letztlich bleibt die DNS so nur ein gedrucktes Stück Papier, das die Frage offenlässt, wie die Strategie mit Leben befüllt werden soll. Die einschlägigen Reports der OECD, von Bertelsmann oder der UN bescheinigen Deutschland bei der Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele nicht „on track“ zu sein. Das kann auch nicht dadurch kaschiert werden, dass Deutschland laut EUROSTAT derzeit den fünften Platz unter 163 Staaten bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele belegt.

Die neue DNS enthält viele gute Absichten, es fehlt aber an konkreten, messbaren, realistischen und umsetzbaren Inhalten, kurz gesagt: Es fehlt der „Wumms“!