Vergangenen Freitag ging das erste virtuelle High-level Political Forum zur Überprüfung der Agenda 2030 zu Ende. Die Interimssprecher_innen unserer AG Agenda 2030, Mira Ballmaier und Dr. Jürgen Focke, ziehen aus zivilgesellschaftlicher Sicht eine ernüchterte Bilanz.
Aufgrund der Corona-Pandemie fand das diesjährige Format des High-level Poltical Forums der Vereinten Nationen (HLPF) zum ersten Mal in rein virtueller Form statt. Vom 7. bis 17. Juli versammelte sich die internationale Staatengemeinschaft unter dem Motto „Building Back Better“ daher vor dem eigenen Bildschirm, um adäquate Antworten auf die Corona-Krise zu finden und bei der Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele nicht noch weiter zurückzufallen.
Durch das digitale Format bot sich dieses Jahr die Chance, das HLPF tatsächlich an Menschen auszurichten und bestehende Ungleichheiten in Bezug auf finanzielle und personelle Ressourcen, Reisebestimmungen, Barrierefreiheit oder Geographie zu überwinden und Formate zu entwickeln, die ressourcenschonend bei künftigen Sitzungen der Vereinten Nationen genutzt werden können. War dies insbesondere für kleinere NGO aus dem Globalen Süden in der Vergangenheit oft ein Spagat, konnte man plötzlich aus dem eigenen Wohnzimmer am HLPF teilnehmen. Das freut auch den ökologischen Fußabdruck des Events.
Dies, so scheint es nach Ende der zehntägigen offiziellen Sessions und Side-Events, ist allerdings der einzige Grund zur Freude.
Keine politische Beteiligung an Side-Events
Denn das HLPF 2020 hat es nicht geschafft, Politik und Zivilgesellschaft an einen Tisch zu bringen. Stattdessen gab es offizielle Sessions, die man zwar im Live-Stream über UN-TV verfolgen konnte; doch die oft bereits im Vorfeld aufgenommenen Statements sowie ebenfalls vorher aufgenommenen Antworten auf mögliche Rückfragen erstickten den Dialog mit anderen Stakeholdern mitunter schon im Keim. So verzichtete beispielsweise Deutschland aufgrund des vorgegebenen Prozederes auf eine geplante Kommentierung des Voluntary National Report (VNR) Marokkos zu deren Fortschritten in der Umsetzung der Agenda 2030.
Abseits dieser Themenblöcke vermisste man oft jegliche hochrangige politische Beteiligung bei den zahlreich angebotenen Side-Events, die nur selten in einem Zusammenhang mit den am Sitzungstag behandelten Schwerpunktthemen standen. So führten die „Seiten-Veranstaltungen“ eher ein Nischendasein, obwohl die Themen häufig näher an den tatsächlichen Herausforderungen der Agenda 2030 waren, als die feingeschliffenen Reden der Politik. Das virtuelle HLPF hat dadurch eine Parallelstruktur gefestigt, deren Entstehung sich bereits in den letzten Jahren abgezeichnet hat. Doch ohne einen gemeinsamen Ort des Geschehens, ohne die Möglichkeit zu kritischen Rückfragen an politische Entscheidungsträger_innen, ohne vertiefte Gespräche bei einer Tasse Kaffee nach der Veranstaltung, ohne sichtbare Rechenschaftspflicht fühlte sich die vormalige Distanz nun an wie Einsamkeit.
Deutsche Delegation überraschend profillos
Ebenfalls bezeichnend für das eingeschränkte Engagement der Mitgliedsstaaten beim diesjährigen HLPF war, dass die Ministererklärung nicht wie geplant verabschiedet werden konnte. Deutliche Worte der Kritik fand dazu auch die Präsidentin des Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC), Mona Juul.
Auch die deutsche Delegation hat diesem Gefühl nicht entscheidend entgegengewirkt, in dem Schwerpunkte und ihre Zielsetzung für das diesjährige HLPF weitestgehend unbekannt blieben. Dies hat negativ überrascht. Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, in dem Deutschland den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat übernommen hatte und durch eine koordinierte Vorgehensweise das eigene Profil unter Beweis hätte stellen können. Hier wurde eine Chance vertan.
Schon die nationale Vorbereitungskonferenz war aufgrund der Pandemie in ihrem erst zweiten Jahr alternativlos abgesagt worden. Insbesondere mit Blick auf den 2021 geplanten deutschen Voluntary National Report darf das nicht zur Gewohnheit werden. Um die Agenda 2030 in, mit und durch Deutschland wirkungsvoll umzusetzen und die gegebenen Versprechen nicht in Schall und Rauch aufgehen zu lassen, muss die Zusammenarbeit und Transparenz gegenüber der Zivilgesellschaft deutlich erhöht werden.
Zivilgesellschaft muss 2021 besser eingebunden werden
Bereits vor Covid-19 befand sich das HLPF in einem größeren Überprüfungsprozess. Diesen gilt es im Lichte der diesjährigen Erkenntnisse noch einmal kritisch zu hinterfragen und entsprechend nachzusteuern. Die reine Möglichkeit, an einer Veranstaltung teilzunehmen oder zuzuhören, sind keine Formen wirkungsvoller Partizipation und schränken zivilgesellschaftliche Handlungsspielräume mehr ein, als sie ihnen nutzen. Sie sollten daher die reine Ausnahme bleiben und nicht als partizipativ getarnt dazu genutzt werden, unbequemen Rückfragen aus dem Weg zu gehen.
Mit Blick auf das HLPF 2021 muss es nun darum gehen, die Sitzungen mit allen Stakeholdern gemeinsam künftig besser vorzubereiten, diese zu koordinieren, und dort, wo die Zivilgesellschaft ihre Stärken hat, diese besser in die Prozesse mit einzubinden.
Mira Ballmaier / Dr. Jürgen Focke | VENRO / Christoffel-Blindenmission / HelpAge Deutschland |