Politik

“Ich befürchte, dass das Coronavirus viele Länder relativ ungeschützt treffen wird”

Die Vorsitzende des Unterausschusses Globale Gesundheit im Deutschen Bundestag, Heike Baehrens, warnt im Interview vor den Auswirkungen des Coronavirus auf Afrika und sieht Entwicklungs- und humanitäre Organisationen bei der Krisenbewältigung in einer wichtigen Brückenfunktion.

Frau Baehrens, das Coronavirus breitet sich zunehmend auch in Afrika aus. Immer mehr Länder melden erste Fälle. Mit welchen Auswirkungen rechnen Sie, wenn sich das Virus in afrikanischen Ländern weiter verbreitet?

Die Ausbreitung des Virus auf dem afrikanischen Kontinent verfolge ich mit großer Sorge. Die meisten Staaten haben nur schwache Gesundheitssysteme, in denen es an vielem und insbesondere an gut ausgebildeten Gesundheitsfachkräften mangelt. Die Menschen in diesen Ländern sind schon von anderen Infektionskrankheiten wie Tuberkulose oder Malaria bedroht und leiden auch zunehmend an nicht-übertragbarer Krankheiten. Vor diesem Hintergrund befürchte ich, dass das Coronavirus diese Länder relativ ungeschützt treffen wird. Alle Bestrebungen, eine funktionierende und flächendeckende Gesundheitsversorgung für die breite Bevölkerung aufzubauen, könnten um Jahre zurückgeworfen werden: vermutlich eine Entwicklung, die wieder besonders vulnerable Gruppen wie Frauen, Kinder oder Menschen mit Behinderung treffen würde.

Infolge der Ebola-Epidemie vor sechs Jahren starben in Afrika 11.000 Menschen. Sind die afrikanischen Gesundheitssysteme heute besser gerüstet?

Vielleicht besser, aber nicht gut genug. Seit der ersten Ebola-Epidemie in Westafrika hat sich zwar eine Menge getan – nicht zuletzt auch dank der Arbeit Ihrer Mitgliedsorganisationen. Ich denke aber, dass es noch weit größerer Anstrengungen bedarf, um das Gesundheitsziel 3 der Vereinten Nationen auch nur ansatzweise zu erreichen. Hierfür braucht es dauerhaft einen größeren politischen Willen aller Beteiligten, der örtlichen Regierungen sowie der internationalen Gemeinschaft. Darum sehe ich die aktuellen Pläne des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Gesundheit als Ziel der bilateralen Bemühungen zu streichen, äußerst kritisch. Ich kann nur hoffen, dass die jetzige weltweite Gesundheitskrise ein Einsehen in dieser Frage bewirkt.

Welche Maßnahmen sollte Deutschland auf internationaler Ebene vorantreiben, um der Ausbreitung des Coronavirus wirksam zu begegnen?

Das Wichtigste ist im Moment, die Ausbreitung des Virus hierzulande zu verlangsamen, um auch die Übertragung in andere Regionen zu vermeiden. Darum haben wir sofort die Weltgesundheitsorganisation (WHO) strukturell und finanziell gestärkt.

Wesentlich erscheint mir aber auch, das jetzt gewonnene Erfahrungswissen und Forschungs-Knowhow weltweit auszutauschen. Und sollte sich das Virus auf dem afrikanischen Kontinent ausweiten, müssen auch die afrikanischen Länder von den jetzt aufgestockten Produktionskapazitäten (z.B. Diagnostika oder Schutzausrüstung) profitieren können. Ich stelle mir vor, dass diese Solidarität über die Partnerschaft der Europäischen- und Afrikanischen Union (EU-AU) organisiert werden könnte. Auch der WHO als enger beratender Partner der afrikanischen Staaten kommt eine besondere Verantwortung zu.

Auf allen Ebenen der bilateralen Zusammenarbeit können und müssen möglichst viel Fachwissen und Finanzkraft in den Aufbau belastbarer Gesundheitssysteme fließen. Das ist gut für die Bekämpfung der Corona-Pandemie und gut im Hinblick auf die übrigen Gesundheitsthemen.

Wie können und sollten Entwicklungs- und humanitäre Organisationen bei der Krisenbewältigung eingebunden werden?

Die Mitarbeitenden von Entwicklungs- und humanitären Organisationen leisten Vorbildliches und haben schon jetzt eine wichtige Brückenfunktion. Sie können die hierzulande gemachten Erfahrungen und das Knowhow auf die jeweilige Situation in den Ländern, in denen sie tätig sind, übertragen.

In der letzten Krisensitzung mit dem Bundesgesundheitsministerium habe ich aber auch darauf aufmerksam gemacht, wie viel Fachwissen und Kapazitäten die hierzulande tätigen Mitarbeitenden in die Bewältigung der aktuellen Krise einbringen können. Ihre Stimme gibt wichtige Anregungen, wo es auch in unserem Versorgungssystem einzelne Lücken gibt.


Heike Baehrens ist Abgeordnete des Deutschen Bundestages und Vorsitzende des Unterausschusses Globale Gesundheit.