Über ein Jahr hatte die Bundesregierung über die Neuauflage der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie beraten. Zwei Wochen nach der Verabschiedung im Kabinett haben wir uns die Strategie genau angeschaut und kommen zu einer ambivalenten Bewertung.
Die Bundesregierung hat am 11. Januar 2017 die Neuauflage der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie verabschiedet. Nach eigener Aussage soll die Strategie das Instrument Deutschlands zur Umsetzung der Agenda 2030 sein. Damit hat sich die Regierung viel vorgenommen – unsere Erwartungen sind entsprechend hoch.
Bereits in der Konsultationsphase im Sommer 2016 haben wir uns intensiv beteiligt und – teilweise in Kooperation mit anderen Netzwerken und Dachverbänden – insgesamt acht Stellungnahmen und Kommentierungen abgeben. Nun haben wir uns die 257-Seiten-Strategie im Detail angeschaut und sehen zwei Seiten der Medaille.
Was ist positiv?
Die Strategie orientiert sich an den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) und kann damit der deutschen Öffentlichkeit und anderen Staaten ein wichtiges Signal senden.
Außerdem kündigt die Bundesregierung an, mit dem Forum Nachhaltigkeit eine Plattform für Dialog zu installieren. Zudem möchte sie die Zivilgesellschaft „systematisch und transparent an Vor- und Nachbereitung der Sitzungen des Staatssekretärsausschusses“[1] beteiligen. Hierfür hatten wir uns wiederholt eingesetzt.
Wir werden uns wie angekündigt aktiv beteiligen und die Perspektive der Zivilgesellschaft im globalen Süden einspeisen. Nun sind wir gespannt, wie genau die Beteiligung umgesetzt wird. Genaueres ist in der für Februar geplanten Stellungnahme zu lesen, die wir mit weiteren Netzwerken und Dachverbänden aus den Bereichen Soziales, Umwelt, Frieden und Transparenz herausgeben werden.
Darüber hinaus ist es erfreulich, dass die Bundesregierung an mehreren Stellen in der Strategie unsere Verbesserungsvorschläge aufgegriffen hat. Einige Beispiele dazu:
- Künftig sollen Ressortkoordinator_innen für nachhaltige Entwicklung für mehr Kohärenz sorgen.
- Das Prinzip niemanden zurücklassen ist ausdrücklich verankert. Daten zu Personen (wie nach Geschlecht, Alter, Behinderung, Migration) sollen aufgeschlüsselt werden.
- Die Bundesregierung bekennt sich zu ihrer internationalen Verantwortung und strebt an, soziale Ungleichheit zu reduzieren. Dies ist in den Managementregeln festgelegt.
Die Kehrseite der Medaille
Wir sehen zwei zentrale Schwachstellen an der Nachhaltigkeitsstrategie.
Punkt 1: Selbst wenn alle in der Strategie festgelegten Ziele bis 2030 erreicht würden, wäre das nicht genug, um die SDG in und durch Deutschland umzusetzen. Es ist zwar durchaus zu begrüßen, dass neue und zum Teil recht anspruchsvolle Ziele in die Strategie aufgenommen wurden – noch immer zu wenige beziehen sich jedoch auf die Auswirkungen von deutscher Politik auf andere Länder. Wie kann es etwa sein, dass in zentralen Bereichen deutscher Entwicklungspolitik – wie z.B. Armut, Ernährung und Gesundheit – keine globalen Ziele festgelegt werden?
In anderen Bereichen wirken die Ziele und Indikatoren schwach oder verfehlen gänzlich die Vorgaben. Dies zeigen die folgenden Beispiele:
- Im Bereich Armut und soziale Ungleichheit ist der Indikator geeignet, das Ziel aber zu schwach gewählt. Es erscheint mutlos, den „Anteil der Personen, die erheblich materiell depriviert sind, bis 2020 deutlich unter EU-28 Wert“ halten zu wollen, zumal dies bereits heute der Fall ist.
- Auf dem Gebiet Frieden und Sicherheit fehlt ein schlagkräftiger Indikator, wie etwa die jährliche Reduzierung der deutschen Rüstungsexporte weltweit.
- Im Falle der zukunftsfähigen Energieversorgung wird der Kohleausstieg nur angedeutet. Konkrete Zeitziele gibt es nicht.
- Die Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels (als Anteil der öffentlichen Entwicklungsausgaben am Bruttonationaleinkommen) wird auf das Jahr 2030 verschoben. Eigentlich sollte dieses bis 2020 umgesetzt werden.
- Bei den globalen Lieferketten ist die Auswahl des Indikators nicht nachvollziehbar. Die Anzahl der am Textilbündnis beteiligten Firmen ist kein geeignetes Kriterium für Fortschritte bei der Schaffung menschenwürdiger Arbeit weltweit.
Punkt 2: Wiederholt haben wir darauf hingewiesen, dass die größte Hürde für nachhaltige Entwicklung die nicht nachhaltige Wirtschaftsweise ist. Dennoch hält die Bundesregierung auch in der Nachhaltigkeitsstrategie am derzeitigen wachstumsbasierten Wirtschaftsmodell fest. In der Konsequenz nimmt sie in Kauf, dass sich soziale und ökologische Missstände in Deutschland und im globalen Süden verschärfen.
Fazit
Trotz dieser Kritikpunkte ist die Nachhaltigkeitsstrategie eine gute Grundlage, auf der aufgebaut werden kann – wenn denn die Bundesregierung bereit ist, an den entscheidenden Stellschrauben zu drehen. Der Erfolg wird maßgeblich von der Umsetzung und Weiterentwicklung abhängen. Insofern begrüßen wir, dass bereits im kommenden Jahr Ziele überarbeitet und Indikatoren ergänzt werden sollen.
[1] Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, Neuauflage 2016, S. 45
Weiterführende Links
Bernd Bornhorst, Vorstandsvorsitzender von VENRO, hat sich in einem Beitrag für das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik ebenfalls mit der Nachhaltigkeitsstrategie auseinandergesetzt. Seine Einschätzung finden Sie hier.
Weitere Informationen zur Nachhaltigkeitsstrategie bei VENRO erhalten Sie auf unserer Themenseite Agenda 2030.
Anke Scheid | VENRO |