#Weltweitwichtig ist eine bessere gesundheitliche Versorgung für Alle: Was angesichts der alles beherrschenden Pandemie derzeit völlig aus dem Blick gerät, sind die vielen weiteren dringlichen Baustellen globaler Gesundheit.
Die Zeit heilt alle Wunden – leider kann dieses verlockende Sprichwort einem Realitäts-Check kaum standhalten. Genesungsprozesse mögen zwar tatsächlich Zeit erfordern, doch allein durch geduldiges Aussitzen lässt sich das Corona-Virus ebenso wenig stoppen wie die Verbreitung anderer schwerer Infektionskrankheiten. Im Gegenteil: Seit Beginn der Pandemie machen immer neu entstehende Mutationen auf beängstigende Weise deutlich, unter welchem immensen Zeit- und Handlungsdruck die Weltgemeinschaft steht. Es gilt eine bessere, barrierefreie Gesundheitsversorgung für alle Menschen zu verwirklichen, wenn man den verhängnisvollen Kreislauf zunehmend resistenter Virus-Varianten und ihrer Kollateralschäden endlich durchbrechen möchte, der vor allem wieder die ohnehin Benachteiligten am stärksten trifft.
Während in Europa bald schon die Hälfte der Bevölkerung über einen kompletten Impfschutz zumindest gegen die bislang bekannten Corona-Mutationen verfügt, sind es auf dem afrikanischen Kontinent gerade einmal etwas über ein Prozent. Und das, obwohl das Virus dort derzeit weit heftiger wütet als bei uns. Doch von der Erkenntnis, dass auch hier Eile geboten ist, scheinen bei weitem noch nicht alle politischen Entscheidungsträger_innen überzeugt zu sein – nicht zuletzt auch hierzulande. Viel wird gegenwärtig über das Für und Wider des Patentschutzes auf Impfstoffe gestritten. Egal wie man dazu im Grundsatz steht – Fakt ist: Wir haben für diese Debatte keine Zeit!
Um Corona wirksam einzudämmen, sind entschlossenes und pragmatisches Handeln sowie weltweite Solidarität aller Akteure gefragt. Produktionskapazitäten müssen so schnell wie nur irgend möglich ausgeweitet, Impfstoffe wirklich allen Menschen inklusiv zugänglich gemacht werden, gerade auch in entlegenen und oftmals vernachlässigten Regionen des globalen Südens. Alles was dem im Weg steht, muss konsequent abgeräumt werden, auch Barrieren hinsichtlich Lizenzvergaben oder Technologietransfer. Wir besiegen Corona nur weltweit – oder gar nicht. Das wiederholt der scheidende Bundesentwicklungsminister Gerd Müller mantraartig, und er hat damit vollkommen Recht.
Weitere dringliche Baustellen globaler Gesundheit
Was angesichts der alles beherrschenden Pandemie derzeit leider völlig aus dem Blick gerät, sind die vielen weiteren dringlichen Baustellen globaler Gesundheit. Infektionskrankheiten wie HIV / Aids, Tuberkulose und Malaria, aber auch die Gruppe so genannter vernachlässigter Tropenkrankheiten (NTDs) sind wieder auf dem Vormarsch –breiten sich aus, behindern, entstellen und töten. Etablierte Bekämpfungsprogramme wurden pandemiebedingt unterbrochen und ausgebremst, jüngste Fortschritte bei der Eindämmung dieser armutsassoziierten Erkrankungen zunichtegemacht.
Erschwerend hinzu kommt große Unsicherheit bezüglich der weiteren Finanzierung von Infektionsschutz- und Rehabilitations-Programmen. Ausgerechnet die britische Regierung – über lange Jahre eine Vorreiterin bei der Förderung globaler Gesundheit – hat jüngst drastische Kürzungen ihrer Entwicklungshilfe-Zahlungen angekündigt. So müssen sich beispielsweise NTD-Bekämpfungsprogramme auf um 90 Prozent geringere Zahlungen aus Großbritannien einstellen. Laut WHO bedrohen diese Einschnitte mehrere Millionen Menschenleben.
Die künftige deutsche Regierung wird schon kurz nach der Bundestagswahl im Herbst Gelegenheit bekommen, auf internationaler Bühne ein starkes Zeichen gegen diesen Trend zu setzen. 2022 übernimmt sie die Präsidentschaft der G7-Staaten. Die globale Bewältigung der Corona-Pandemie und eine flächendeckende Verbesserung gesundheitlicher Versorgung für Alle dürften dabei als Top-Themen weiterhin gesetzt sein.
Erwartungen an das künftige WHO-Daten-Hub in Berlin
Neben Investitionen in eine nachhaltige Stärkung der WHO sowie in die Umsetzung von SDG 3 bedarf es einer weltweiten Fortentwicklung statistischer Kapazitäten zur Erfassung von Krankheiten und ihrer Ausbreitung. Denn auch dieses eklatante Defizit hat die Pandemie offengelegt: Fehlende Daten, diffuse Lagebilder und vage Schätzungen sind keine geeignete Basis für wirksame Pandemieprävention oder Stärkung von Gesundheitssystemen.
An das neue WHO Global Hub for Pandemic and Epidemic Intelligence, das noch im laufenden Jahr in Berlin eröffnen soll, knüpfen sich insofern einige Erwartungen – nicht zuletzt hinsichtlich einer belastbareren, besser aufgeschlüsselten und transparenteren Aufarbeitung weltweiter Gesundheitsdaten. Immerhin 30 Millionen Euro sollen allein aus Bundesmitteln jährlich zur Finanzierung des WHO-Hubs bereitgestellt werden.
Wünschenswert wäre, dass das neue Hub auch dabei helfen kann, ein besseres Verständnis für bislang noch weitegehend unterbelichtete Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Erkrankungen zu gewinnen. In der Vergangenheit waren die meisten Interventionen im Wesentlichen auf einzelne Krankheiten fokussiert und haben dabei überschneidende Krankheitslasten und gemeinsame Interventionsmöglichkeiten zu wenig in den Blick genommen.
Globale Gesundheit auch parlamentarisch aufwerten
Die nachhaltige Stärkung globaler Gesundheit muss zu einem zentralen Anliegen der künftigen Bundesregierung werden. Sie kann dabei auf eine bereits im vergangenen Oktober verabschiedete ressortübergreifende Strategie aufbauen, die einen überzeugenden Kompass für das Regierungshandeln der kommenden Jahre darstellt – orientiert an einem ganzheitlichen, menschenrechtsbasierten Verständnis von Gesundheit. Was dieser Strategie zu globaler Gesundheit allerdings bislang fehlt, ist die Festlegung konkreter Umsetzungsschritte, die Definition von Zielvorgaben und Überprüfungsmechanismen.
Als Grundlage für ein unabhängiges Monitoring sollte die Regierung dem Bundestag künftig einen Jahresbericht zu globaler Gesundheit vorlegen. Das Parlament ist der richtige Ort, um die Gesundheitsstrategie mit Leben zu füllen. In der auslaufenden Legislaturperiode hat der Unterausschuss Globale Gesundheit das Thema wiederholt auf die Tagesordnung gehoben und wichtige Impulse für interdisziplinäre Zusammenarbeit und kohärentes Regierungshandeln gesetzt. Nicht nur seine Wiedereinsetzung, sondern auch eine Aufwertung oder Ausweitung des Gremiums sollten darum in Betracht gezogen werden, zumal das eine stärker ressortübergreifende Arbeitsweise ermöglichen würde. Vermehrte öffentliche Sitzungen und Anhörungen wären darüber hinaus ein Garant für kontinuierlichere zivilgesellschaftliche Teilhabe. In der globalen Gesundheitspolitik darf die Förderung partizipativer, gemeindenaher Ansätze nicht zu kurz kommen.
Dieser Artikel ist Teil unserer Themenreihe zur Bundestagswahl 2021, in der wir unsere Erwartungen für die kommende Legislaturperiode formulieren. Die Blogserie basiert auf unserem aktuellen Positionspapier Was jetzt #WeltWeitWichtig ist – Erwartungen an die Parteien zur Bundestagswahl 2021. Darin fordern wir die Parteien, die zukünftigen Abgeordneten und die kommende Bundesregierung auf, ihre Prioritäten auf eine nachhaltige Politik zu richten, die alle mitnimmt!
Lesen Sie mehr dazu unter www.weltweitwichtig.de.
Jan-Thilo Klimisch | VENRO / Christoffel-Blindenmission Deutschland |