Es war ein Novum vorletzte Woche bei den Vereinten Nationen in New York: Gleich drei hochrangige Konferenzen zu zentralen Themen globaler Gesundheit fanden dort in der Auftaktwoche der diesjährigen UN-Generalversammlung statt. Eine derartige Konzentration von Gesundheitsthemen hatte es am East River zuvor noch nicht gegeben. Die Absicht dahinter lag auf der Hand: Nach der Corona-Erfahrung der letzten Jahre sollte weltweit verbesserte Zusammenarbeit zu globaler Gesundheit angeschoben werden, auch um Reflexe nationalstaatlicher Alleingänge und Abschottung wie zu Beginn der COVID19-Pandemie künftig zu reduzieren. Bedauerlicherweise jedoch ist dieses Kalkül nicht aufgegangen. Nicht zuletzt der Beitrag der Bundesregierung blieb in New York leider klar hinter den Erwartungen zurück, berichtet VENRO-Gesundheitssprecher Jan-Thilo Klimisch, der die Ereignisse vor Ort beobachtet hat.
Es wäre mehr drin gewesen für die deutsche Bundesregierung. Die Vorzeichen standen eigentlich gut. Noch im Mai hatte es bei der Weltgesundheitsversammlung zurecht viel Lob für die Führungsrolle Deutschlands hinsichtlich der Stärkung und besseren finanziellen Ausstattung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gegeben. Bundesgesundheitsminister Lauterbach betonte damals in Genf, wie wichtig ihm die gesundheitsbezogenen High-Level Meetings im September in New York seien. Bei allen drei Anlässen – der hochrangigen Konferenz zu Pandemievorsorge und -bekämpfung am 20.9., der zu allgemeiner Gesundheitsversorgung / Universal Health Coverage am 21.9. und der zu Tuberkulose-Bekämpfung am 22.9. – wolle er persönlich mitwirken, kündigte der Minister an und erntete dafür Applaus, auch von Seiten der bei VENRO zusammengeschlossenen Fach-NROs.
Sehr irritiert waren wir dann allerdings, dass die Bundesregierung im 50sten Jahr ihrer UN-Mitgliedschaft einen neuen Negativ-Standard setzte und keine zivilgesellschaftliche Einbindung in ihre New Yorker Delegation ermöglichte – weder zum SDG-Halbzeitgipfel noch zu den anschließenden hochrangigen Gesundheits-Meetings. Kurz vor Abreise cancelte dann auch noch der Bundesgesundheitsminister selbst seine komplette Teilnahme vor Ort. Zur Begründung hieß es, er müsse seine Pläne zur Krankenhausreform persönlich im Bundestag verteidigen. Egal, ob innenpolitisch nachvollziehbar oder nicht, für den deutschen Einfluss bei den drei wegweisenden Meetings am Hauptsitz der Vereinten Nationen war Lauterbachs Absage definitiv wenig hilfreich.
Besonders ärgerlich dürfte sie für Bundesentwicklungsministerin Schulze gewesen sein. Bei den interministeriellen Abstimmungen im Vorfeld der High-Level Meetings hatte sie Interesse daran signalisieren lassen, zumindest bei der Konferenz zu Universal Health Coverage für Deutschland sprechen zu dürfen. Da Lauterbach aber von seinem Vorgriffs-Recht Gebrauch machte, verplante sich die Ministerin schließlich anderweitig. Zur zentralen Bedeutung allgemeiner Gesundheitsversorgung sprachen so in New York weder Lauterbach noch Schulze. Verfügbar für das deutsche Statement war am Ende lediglich AA-Staatsminister Lindner, der allerdings gezwungen war, seinen Redebeitrag zu Protokoll zu geben. Denn die meisten anderen Staaten hatten höherrangige Redner_innen aufgeboten – eher peinlich, angesichts des deutschen Führungsanspruchs in globaler Gesundheit.
Ungewöhnlich fiel auch die Prioritätensetzung in der begleitenden Kommunikation von Minister Lauterbach zu den Ereignissen in New York aus. Anstatt sich zu den Themen der High-Level Meetings zu Wort zu melden, postete er per Social Media Beiträge über gute Stimmung und schlechtes Bier bei einem seiner Abendtermine und echauffierte sich über Badezimmerspiegel mit integrierter Fernsehübertragung in einem seiner Hotelzimmer. In die USA reiste er während der laufenden High Level-Meetings schließlich doch noch. Sein Ziel waren jedoch nicht die Vereinten Nationen, sondern die renommierte Harvard-Universität, um dort seinen Doktorvater zu treffen und eine Vorlesung zu halten zu „Elevating Global Health: The Momentum of the UN High-Level Meetings 2023“.
Ob es dieses besondere Momentum bei den drei hochrangigen Gesundheits-Konferenzen in New York dieses Jahr nun tatsächlich hätte geben können, ist angesichts der gegenwärtig verfahrenen geopolitischen Ausgangslage sicher fraglich. Eine Staatengruppe um Russland, Belarus, Kuba, Nordkorea und Syrien hatte sogar im letzten Moment angekündigt, sich gemeinsamen politischen Abschlusserklärungen gänzlich widersetzen zu wollen. Doch auch wenn diese Drohung am Ende nicht zum Tragen kam, blieben die Ergebnisse der drei High-Level Meetings weit hinter den ursprünglichen Erwartungen zurück, die etwa auch VENRO im Vorfeld formuliert hatte.
Mit gutem Willen kann man es als historisch bezeichnen, dass erstmalig auf Ebene der Vereinten Nationen eine gemeinsame Erklärung zu Pandemie-Prävention und -Bekämpfung ausgehandelt wurde. Erfreulich sind zudem der stärkere Fokus auf Basisgesundheitsversorgung (Primary Health Care) und auf lokale, gemeindenahe Ansätze. Auch die explizitere und konsequentere Berücksichtigung der Gesundheitsbedarfe einiger besonders vulnerabler Gruppen, wie älterer Menschen sowie von Menschen mit Behinderungen, ist zu loben.
Demgegenüber tun sich in den Abschlusserklärungen allerdings auch eklatante Lücken auf, etwa was die Einbeziehung von LGBTQIA+, das Thema sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte sowie die Beachtung überschneidender Krankheitslasten betrifft. Die nur knappe Erwähnung armutsassoziierter und vernachlässigter Tropenkrankheiten (NTDs) enttäuscht ebenfalls und wird deren Dimension zur Verwirklichung von allgemeiner Gesundheitsversorgung keinesfalls gerecht. Für alle drei hochrangigen Gesundheit-Meetings gilt: Die verabschiedeten Texte fallen zu lang, zu unkonkret und zu unverbindlich aus. Statt Rückenwind für globale Gesundheit wurde in New York leider allenfalls ein laues Lüftchen generiert.
Wie nun weiter? Nur wenige Tage nach den UN High-Level Meetings luden Minister Lauterbach und Ministerin Schulze gemeinsam zu einer internationalen Tagung nach Berlin ein, unter dem Titel „Pandemics – no time for neglect“. Das Event erwies sich als ein geschickter Schachzug, um der New Yorker Ernüchterung neue Impulse entgegenzusetzen. Dieses Mal waren beide Fachminister zugegen und meldeten sich auch ausführlich zu Wort. Ministerin Schulze hatte dabei einen starken Auftritt und konnte auf die neue Kernthemenstrategie Gesundheit, Soziale Sicherung, Bevölkerungspolitik ihres Hauses verweisen, an deren Entstehung auch VENRO intensiv beteiligt war. Minister Lauterbach verfehlte mit seinen interessanten Ausführungen zu Long-COVID zwar etwas das eigentliche Thema der Konferenz, insgesamt aber ist dem Urteil einer Podiumsteilnehmerin des Pandemic Action Network zuzustimmen: „So einen Spirit und solche Diskussionen hätte man sich in der Vorwoche bei den Vereinten Nationen gewünscht.“
Auch an den diesjährigen World Health Summit in Berlin vom 15.-17. Oktober knüpfen sich in dieser Hinsicht nun einige Hoffnungen. Zumindest zeichnet sich ab, dass die Organisatoren erfreuliche Fortschritte mit Blick auf bessere Einbindung zivilgesellschaftlicher Stimmen auch aus dem Globalen Süden machen. Der World Health Summit steht 2023 unter dem Motto „A Defining Year for Global Health Action“. In New York ist man diesem Anspruch zuletzt nicht gerecht geworden. Bleibt zu hoffen, dass es dann in Berlin und vor allem bei der WHO in Genf in den nächsten Monaten wieder besser klappt. Ob die laufende Aushandlung eines internationalen Pandemievertrages 2024 tatsächlich zu einem erfolgreichen Abschluss kommt, ist gegenwärtig noch alles andere als gewiss.
Jan-Thilo Klimisch | VENRO / Christoffel-Blindenmission Deutschland |