Geraldine de Bastion ist Mitbegründerin und Geschäftsführerin der Beratungsagentur Konnektiv mit Erfahrung in der Arbeit mit Aktivist_innen, Regierungen, Startups und NRO auf der ganzen Welt. Im Interview erläutert sie die Herausforderungen der digitalen Transformation für die internationale Zusammenarbeit und Entwicklungsorganisationen mit Fokus auf Afrika.
Sie organisierten letztes Jahr die erste re:publica in Accra, Ghana, mit Teilnehmer_innen und Referent_innen aus ganz Afrika. Welche Themen und Debatten standen dort im Fokus?
Geraldine de Bastion: Das Programm der re:publica Africa wurde partizipativ mit unserem afrikanischen Kurationsteam und den vielen spannenden Einreichungen, die wir im Call for Participation erhalten haben, zusammengestellt. Die Hauptthemen waren:
Access: Zugang zu haben, ist die Basis für jeden Digitalisierungsprozess – Zugang zu Energie, Infrastruktur, Hardware und erschwinglichem Internet. Wir haben zukunftsweisende Konzepte diskutiert, wie man die nicht Angeschlossenen ins Boot holt.
Waste: Wir leben in verschwenderischen Gesellschaften, und obwohl die Digitalisierung den Raum für das immaterielle Wesen schafft, trägt sie auch zum physischen Abfall bei. Welche Auswirkungen das in afrikanischen Ländern hat und wie wir eWaste-Wirtschaftssysteme neu denken können, wurde in diesem Track besprochen.
Female: Die Hälfte der Weltbevölkerung ist weiblich, doch dies spiegelt sich weder in der Anzahl der Frauen wider, die Hardwarelösungen programmieren und erstellen, noch in der Besetzung von Führungspositionen. Bis sich die Rolle der Frauen in den heutigen, zunehmend digitalen Gesellschaften positiv verändert, bleibt noch viel zu tun.
Future: Beim Afro-Futurismus geht es darum, fantastische Ausblicke darauf zu geben, wie die Zukunft aussehen könnte. Er umfasst Technologie nicht nur als Ausgleich, sondern auch als Werkzeug, um eine fortschrittliche künstlerische und kulturelle Agenda voranzutreiben.
Data: Daten, oder besser gesagt unsere Fähigkeit, Daten für den Fortschritt unserer Gesellschaften zu sammeln und zu verarbeiten, ist eines der zentralen Themen unserer Zeit.
Welche Digitalisierungsprojekte in Afrika sind aus Ihrer Sicht besonders vielversprechend, um eine nachhaltige Entwicklung zu befördern?
Aus meiner Sicht sind Digitalisierungsprojekte, die von den Communities selber entwickelt werden, um Entwicklungsprobleme zu lösen, am vielversprechendsten: Hardware- und Softwarevorhaben, die mit lokalen Mitteln und Ressourcen unter Einbeziehung der Nutzer und Zielgruppen entwickelt werden, die in Innovation Hubs und Makerspaces entstehen oder von Communities wie dem AfricaOSH oder dem African Makerspace Netzwerk geteilt und weiter entwickelt werden und als Open-Source-Lösungen adaptierbar und skalierbar sind. Vielversprechend sind außerdem Projekte, die statt auf Trendthemen setzen, grundlegende Probleme angehen – wie Energieversorgung und andere infrastrukturelle Maßnahmen, die das Gemeinwohl fördern und Zugangs- und Verteilungsfragen adressieren.
Wie können und sollten Entwicklungsorganisationen digitale Technologien besser nutzen?
Es gibt lange Ausführungen dazu, wie EZ-Organisationen durch den Einsatz von digitalen Technologien selber transparenter, zugänglicher und offener werden können, von Open Data und Public Money Public Code/Public Knowledge-Ansätzen bis hin zu direkteren Feedback- und öffentlichen Kommunikationsschleifen zu EZ-Vorhaben. Hiervon ist vieles in Deutschland eher theoretisch als praktisch umgesetzt worden. Des Weiteren können EZ-Organisationen digitale Technologien nutzen, um ihren CO2-Fußabdruck zu reduzieren und direkter lokale Partnerorganisationen kennen zu lernen. Vor Corona war es noch üblich, für jedes Kennenlerntreffen eine Reise zu gestalten, jetzt lernt man, dass sich vieles auch über virtuelle Kommunikation machen lässt.
Befindet sich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) mit seiner digitalen Strategie auf dem richtigen Weg?
Aus Sicht der Leiterin einer unabhängigen, internationalen NGO müsste es innerhalb der deutschen EZ ganz andere und neue Möglichkeiten geben, mit innovativen Akteuren aus der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten – ob in Deutschland oder in den Partnerländern. Wir müssen jetzt die Weichen stellen, damit in der datengetriebenen Welt von morgen Länder im globalen Süden nicht nur wie in anderen Sektoren als Rohstoffquellen gelten, sondern eigene Daten verwalten und zum Gemeinwohl ihrer Gesellschaften nutzen können. Wir stehen vor ähnlichen Herausforderungen – daher gilt es mit Partnerländern gemeinsame, demokratische Herangehensweisen zu entwickeln. Neben den bestehenden Strategien des BMZ bedarf es hierfür aus meiner Sicht ein Neudenken von Entwicklungszusammenarbeit im IKT-Sektor.
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