Politik

„Unangemessener Druck auf Spenderinnen und Spender ist und bleibt inakzeptabel“

Im Interview spricht Burkhard Wilke vom Deutsches Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) über Veränderungen und Trends in der Spendenwerbung und erklärt, warum Fundraiser_innen und Filmschaffende insbesondere das Thema Ethik in Spendenvideos berücksichtigen sollten.

Frage: Sie haben zusammen mit VENRO die Handreichung „Ethik in Spendenvideos“ entwickelt. Laufen bewegte Bilder in der Spendenwerbung eher Gefahr, über das Ziel hinaus zu schießen? 

Burkhard Wilke: Nein. Nach unserer Erfahrung sind überzogene Darstellungen weniger ein Charakteristikum bestimmter Werbeformen als vielmehr bestimmter Organisationen, die kurzfristigen Werbeerfolg für wichtiger halten als den mittel- und langfristigen Aufbau von Spendenbereitschaft und Spendervertrauen. Wir haben uns bei der Vorbereitung der neuen gemeinsamen Handreichung von VENRO und DZI wirklich sehr viele verschiedene Spendenvideos angesehen – die meisten waren informativ und zugleich auf eine packende Weise emotional und sind eben nicht übers Ziel hinausgeschossen. Allerdings gab es vor drei, vier Jahren eine Phase, in der von einzelnen, durchaus profilierten Fundraiser_innen das Argument vertreten wurde, dass die Öffentlichkeit durch die vielen drastischen Videos, die inzwischen – etwa in Katastrophenfällen – über soziale Netzwerke verbreitet werden, quasi „abgehärtet“ sei und eine drastischere Bildsprache auch in Spendenvideos akzeptieren würde. Sogar von einem „Paradigmenwechsel“ war da die Rede. Ich fand es beeindruckend, dass diese Auffassung dann in der gemeinsam von DZI und VENRO gebildeten Arbeitsgruppe mit PR-Fachleuten aus ca. zwölf NRO nahezu einhellig zurückgewiesen wurde. Unangemessener Druck auf Spenderinnen und Spender ist und bleibt inakzeptabel – sei es in Spendenvideos, Mailings, bei Face-to-Face-Werbung oder anderen Fundraisingmethoden.

Was sind Ihre wichtigsten Empfehlungen an die Fundraiser_innen und Filmemacher_innen?

Sie sollten die tatsächliche Arbeit ihrer NRO in den Mittelpunkt eines Spendenvideos stellen; und sie sollten wissen, dass sie authentische, emotionalisierende Bilder, Texte oder Töne durchaus gezielt einsetzen dürfen, solange der zurückhaltende Tenor insgesamt überwiegt. Unangemessener Druck entsteht in Spendenvideos und auch in Spendenmailings meist nicht durch ein einzelnes Gestaltungselement an sich. Problematisch sind vielmehr der übertrieben häufige Einsatz in ein und demselben Video und die Kombination mit anderen emotionalisierenden Instrumenten – also zum Beispiel eine Großaufnahme eines sichtbar kranken Kindes, verstärkt durch eine dramatisch klingende Hintergrundmusik und zusätzlich einen betont traurigen Tonfall des Sprechers im „Off“.

Wie hat sich die Spendenwerbung in den letzten Jahren verändert? Welche Trends beobachten Sie?

Erstens ist die Spendenwerbung vielfältiger geworden. Die Hilfswerke probieren viele neue Varianten aus, um in Zeiten abnehmender Spenderbindung sowie weiter zunehmender Anzahl von Spendensammler_innen neue Zugänge zu den Spenderinnen und Spendern zu finden und zu etablieren. Dazu gehören zum Beispiel persönliche Spendenaktionen, Social Shopping oder soziale Netzwerke.
Zweitens wird die Spendenwerbung regionaler. Während auf der einen Seite große, national und international aufgestellte NRO mit professionellen Methoden gute Erfolge erzielen, erfahren auf deren anderen Seite gerade kleinere NRO mit Aktionen in ihrem unmittelbaren regionalen Umfeld zunehmend gute Resonanz. Sie punkten mit Regionalität, Authentizität und persönlicher Ansprechbarkeit.

Welche Rolle spielen hier die Sozialen Medien als Kommunikationskanal?

Eine Präsenz in den Sozialen Medien ist für die meisten größeren NRO inzwischen normal, gehört also gewissermaßen zu ihrem „kommunikativen Grundrauschen“. Aber nur einzelnen gelingt es bisher, über diese Kanäle wirklich substantiell Förder_innen hinzu zu gewinnen. Extrem wichtig wäre es meines Erachtens, wenn die in den Sozialen Netzwerken schon aktiven NRO dies nicht nur als Einbahnstraße betrachten würden – also als Weg, auf dem neue Spender_innen zu ihnen gelangen. Vielmehr sollten sie in der Gegenrichtung ihre zivilgesellschaftliche Verantwortung viel stärker als bisher wahrnehmen. Das heißt, sie können und sollten sich in die brisanten Debatten zum Beispiel zur Situation der Geflüchteten in Deutschland auf Twitter und Facebook aktiv einschalten. Wenn ihnen das mutig gelingt, könnte sich dies im Gegenzug längerfristig sogar positiv auf ihr Fundraising auswirken.

Sind die klassischen Spendenbriefe per Post bereits komplett von Mailings, Social Media und Spendenvideos im Internet abgelöst?

Nein, bisher bestätigen ja alle Umfragen, dass der klassische Spendenbrief nach wie vor das wichtigste Fundraising-Instrument ist. Aber mittel- und langfristig wird seine Bedeutung wohl deutlich abnehmen, zugunsten einer größeren Vielfalt der Fundraising-Instrumente.

Wie verändert sich aus Ihrer Wahrnehmung die Kommunikation darüber, was mit den Spendengeldern gemacht wird?

Im Vergleich zur Situation vor zehn, fünfzehn Jahren liegen ja wirklich Welten zwischen den heutigen Jahresberichten und Websites größerer Spendenorganisationen. Die freiwillig praktizierte finanzielle Transparenz – früher die absolute Ausnahme – ist für seriöse, größere und sehr große Hilfswerke heute eine Selbstverständlichkeit. Sie können und sollten aber noch weiter dazulernen, insbesondere was eine verständliche Darstellung der Wirkungen ihrer Arbeit angeht. Nicht so große Fortschritte gibt es bei der Transparenz der Spendenverwendung hingegen bei vielen mittelgroßen und kleinen Organisationen. Dass die Initiative Transparente Zivilgesellschaft (ITZ), zu deren Trägern sowohl das DZI als auch VENRO gehören, fast acht Jahre nach ihrer Gründung bisher „nur“ knapp 1.000 Unterzeichner hat, ist nicht zufriedenstellend. Hier wollen wir gemeinsam mit Transparency International Deutschland, als Initiator der ITZ, und den übrigen Mitgliedsverbänden im ITZ-Trägerkreis zukünftig ein stärkeres Wachstum erzielen. Denn insgesamt wird die Transparenz der Mittelverwendung und ihrer Wirkungen zukünftig für die Glaubwürdigkeit der zivilgesellschaftlichen Organisationen ganz sicher weiter an Bedeutung gewinnen.


Die vom DZI und VENRO verfasste Handreichung „Ethik in Spendenvideos“ finden Sie hier zum Download.