Politik

Zivilgesellschaft braucht Rechtssicherheit

Anders als in vielen Ländern der Erde ist der Handlungsraum für Zivilgesellschaft in Deutschland noch offen. Demokratien sind aber nicht erst dann in Gefahr, wenn autoritäre Regime die Macht übernehmen. VENRO beobachtet die Entwicklungen auch hierzulande mit Sorge und setzt sich für eine Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts ein.

Vor dem Hintergrund des Mordes an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und anderer Angriffe auf kommunale Amtsträger hat Bundesaußenminister Heiko Maas in der vergangenen Woche zu einem Donnerstag der Demokratie aufgerufen. Er forderte: „Kein Millimeter mehr den Feinden der Freiheit! Demokratie muss wehrhaft sein. Wehren wir den Anfängen – gemeinsam, jeden Tag und überall.“ Schon im Jahr 2007 bestimmte die Generalversammlung der Vereinten Nationen den 15. September zum Internationalen Tag der Demokratie, um in Erinnerung zu rufen, dass Demokratie nicht selbstverständlich ist. Beim Blick über unsere Grenzen zeigt sich dies sehr deutlich.

Weltweit nehmen Beeinträchtigungen zu – auch in der EU

Die jeweilige Zivilgesellschaft nimmt für die demokratische Entwicklung ihrer Länder eine zentrale Rolle ein. Weltweit setzen sich viele Initiativen, Aktivist_innen und soziale Bewegungen dafür ein, dass ihre Gesellschaften demokratischer und gerechter werden. Menschen, die sonst wenig Gehör finden –  wie Kinder oder Minderheiten –  sowie von Ausgrenzung Betroffenen verleihen sie eine Stimme.

Diese Stimme wird jedoch zunehmend diskreditiert, unterdrückt oder ganz zum Schweigen gebracht. Die Arbeit der Partnerorganisationen deutscher Nichtregierungsorganisationen (NRO), die sich für Menschenrechte, Umweltschutz oder Soziale Gerechtigkeit einsetzen, wird häufig dann von staatlichen Stellen behindert oder verboten, wenn ihre Arbeit politisch unbequem ist. Der Monitor des globalen Netzwerks CIVICUS bezeichnet den Handlungsraum der Zivilgesellschaft in über der Hälfte aller Staaten als beschränkt, unterdrückt oder geschlossen.

Auch in Europa, das bisher als Bollwerk der Demokratie galt, zeigen sich solche Tendenzen. Ein aktuelles Beispiel war die Festnahme der Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete in Italien, die in akuter Notlage mit Dutzenden geflüchteten Menschen in den Hafen von Lampedusa eingelaufen war. Doch Italien ist kein Einzelfall: In zwölf der 28 EU-Staaten gibt es Beeinträchtigungen der Arbeit von Journalisten, Menschenrechtsaktivist_innen oder NRO. In einem EU-Land ist der Handlungsraum mittlerweile sogar als „beschränkt“ zu bezeichnen: Ungarn. Ein 2018 verabschiedetes Gesetz kriminalisiert Anwält_innen oder NGOs, die in der Flüchtlingshilfe tätig sind. Es machen sich schon diejenigen strafbar, die Informationsmaterialien zum Asylrecht anfertigen oder verbreiten. Die Repressionen werden begleitet von öffentlichen Diffamierungen von Vertreter_innen der Regierungspartei. Zielscheibe wurde z.B. die Open Society Foundation und ihr Gründer George Soros. Als Konsequenz hat die Stiftung inzwischen ihren regionalen Hauptsitz von Budapest nach Berlin verlegt.  

Die Erosion demokratischer Werte ist ein schleichender Prozess

In Deutschland hingegen ist der Handlungsraum für Zivilgesellschaft immer noch offen. Demokratien sind aber nicht erst dann in Gefahr, wenn autoritäre Regime die Macht übernehmen. Die Erosion demokratischer Werte ist ein schleichender Prozess. NRO-kritische Anfragen im Bundestag haben im letzten Jahr zugenommen. Dabei hat sich neben der AFD vor allem die FDP hervorgetan. Bemerkenswert ist auch der CDU-Parteitagsbeschluss vom 8. Dezember 2018, die Gemeinnützigkeit der Deutschen Umwelthilfe überprüfen zu lassen und das Verbandsklagerecht einzuschränken.

Zuletzt hat das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Gemeinnützigkeit von attac vom 10. Januar 2019 bei entwicklungspolitischen und humanitären NRO sowie vielen anderen gemeinnützigen Organisationen für Unsicherheit gesorgt. Das Urteil bestätigt die Aberkennung der Gemeinnützigkeit von attac durch das Finanzamt Frankfurt und hebt ein vorheriges Urteil des Finanzgerichts Kassel auf.

In seinem Urteil definiert der BFH enge Grenzen der politischen Einmischung im Hinblick auf die Gemeinnützigkeit: Demnach ist das Verfolgen politischer Forderungen nur dann als mit der Gemeinnützigkeit vereinbar, wenn dies der Verfolgung eines konkreten gemeinnützigen Zweckes dient (definiert in § 52 Abs. 2 AO), etwa dem Umweltschutz oder der Entwicklungszusammenarbeit. Entwicklungspolitische und humanitäre NRO, die sich zu Themen wie Steuergerechtigkeit, Menschenrechte oder Handelspolitik äußern, sind angesichts gleichzeitig lauter werdender NRO-feindlicher Äußerungen aus der Politik verunsichert. Denn das Urteil bedeutet zum einen, dass Organisationen, die sich für ihre Satzungszwecke ausschließlich oder überwiegend politisch betätigen, einen Verlust der Gemeinnützigkeit riskieren. Zum anderen können tagespolitische Äußerungen, die nicht offensichtlich im Zusammenhang mit den Satzungszwecken stehen, ebenfalls zu einem Verlust der Gemeinnützigkeit führen. Neben der Gefahr einer restriktiven Handhabung der Finanzverwaltung kann allein die Verunsicherung in Bezug auf die Rechtslage zu einer Selbstzensur gemeinnütziger Organisationen in ihren Tätigkeiten und Äußerungen zu tagespolitischen Themen führen.

Rechtssicherheit muss das Ziel sein

Wir erwarten von der Bundesregierung und den Abgeordneten des Deutschen Bundestages, nicht nur einen Beitrag zum Schutz und zur Förderung zivilgesellschaftlicher Freiräume im Ausland zu leisten, wie es die Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart haben (sich „entschlossen gegen die zunehmende und gezielte Einschränkung von Zivilgesellschaft zu wenden“), sondern auch beim Schutz zivilgesellschaftlicher Freiräume in Deutschland eine Vorbildfunktion einzunehmen.

Vor diesem Hintergrund setzt sich VENRO für eine Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts ein. Ziel muss es sein, Rechtssicherheit für entwicklungspolitische und humanitäre Organisationen zu schaffen, die sich an tagespolitischen Diskussionen oder Prozessen der politischen Willensbildung beteiligen. Wir setzen uns für eine Erweiterung der Liste gemeinnütziger Zwecke in Paragraf 52 der Abgabenordnung sowie eine Klarstellung im Anwendungserlass ein, dass Beiträge zur politischen Willensbildung für den Status der Gemeinnützigkeit unschädlich sind.