Politik

Das Ringen um die Krisenreserve im Bundeshaushalt 2023

Sitzung des Haushaltsausschusses im Paul-Löbe-Haus

Mit dem Ende der parlamentarischen Sommerpause beginnen die Verhandlungen über den Bundeshaushalt 2023. Eine zentrale Rolle spielt dabei die sogenannte Krisenreserve in Höhe von fünf Milliarden Euro. Was es damit auf sich hat, erläutert Lukas Goltermann.

Zunächst einmal offenbart der Haushalt 2023 eine Hiobsbotschaft für die Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe: beide Bereiche sollen im Vergleich zum laufenden Jahr deutlich gekürzt werden. Bei den Geldern der Entwicklungszusammenarbeit um 18 Prozent und bei der humanitären Hilfe sogar um 26 Prozent gegenüber dem laufenden Jahr. Eine Besonderheit im Haushaltsentwurf für 2023 ist die sogenannte „Krisenreserve“ bei der Allgemeinen Finanzverwaltung (Einzelplan 60) in Höhe von fünf Milliarden Euro, die zur Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie und des Krieges in der Ukraine genutzt werden kann.

Was ist das Ziel der Krisenreserve?

Die Bundesregierung möchte mit der Krisenreserve zwei Ziele erfüllen. Zum einen soll gespart werden. Trotz sich immer weiter zuspitzender globaler Krisen möchte die Bundesregierung ab dem kommenden Jahr die Schuldenbremse wieder einhalten. Dies ist nur mit Einsparungen zu erreichen, – zumal stark gestiegene Verteidigungsausgaben den Haushalt belasten. Diese Einsparungen machen sich deutlich in den Etats für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe bemerkbar. Zum anderen sollen mit der Krisenreserve Finanzmittel bereitgestellt werden, um den globalen Folgen der Corona-Pandemie und des Krieges in der Ukraine zu begegnen. Die Bundesregierung scheint gewissermaßen in diesen Haushaltsverhandlungen den Plan zu verfolgen, zwei Schritte zurück und einen nach vorne zu gehen – so werden die Kürzungen bei der Entwicklungspolitik und der humanitären Hilfe weniger sichtbar.

Ist die „Krisenreserve“ ausreichend?

Angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage halten wir es bei VENRO für dringlich geboten, die gesamte Summe von fünf Milliarden Euro für Ausgaben in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe, Krisenprävention und -bewältigung einzusetzen. Fünf gute Argumente dafür hat unser Vorstandsmitglied Michael Herbst in seinem Kommentar zum Haushalt angeführt. Zudem dürfen die Mittel für das BMZ und die humanitäre Hilfe für die kommenden Jahre nicht absinken, damit Deutschland einen effektiven und fairen Beitrag zur Bewältigung globaler Krisen und für die Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung leistet. Jedoch ist im Kabinettsbeschluss festgehalten, dass das BMZ und das Auswärtige Amt, das die humanitäre Hilfe finanziert, „vorrangig“, aber nicht exklusiv Zugriff auf die Krisenreserve haben. Der Ausgang der Haushaltsverhandlungen ist also völlig offen.

Was ist der Einzelplan 60?

Im Einzelplan 60 „Allgemeine Finanzverwaltung“ werden Ausgaben hinterlegt, die nicht eindeutig einem Ressort zugeordnet werden können, sowie die Wirtschaftspläne der sieben Sondervermögen. Wenn einzelne Ministerien Mittel aus dem Einzelplan 60 bekommen möchten – „zur Deckung überplanmäßiger Ausgaben“, wie es im Fachjargon heißt –, müssen sie diese beim Bundesfinanzminister beantragen und genau aufzeigen, wofür sie diese Gelder einsetzen möchten.

Was ist das Problem der Krisenreserve?

Es ist richtig und wichtig, dass die Bundesregierung angesichts mehrerer globaler Krisen unter denen hunderte Millionen von Menschen in ärmeren Ländern leiden, internationale Solidarität zeigt. Die Haushaltspolitik der Krisenreserve ist jedoch aus mehreren Gründen problematisch:

1. Der Verhandlungsprozess des Haushalts ist intransparenter.

Das Parlament hat die Budgethoheit. Die Abgeordneten verhandeln und entscheiden über die Finanzierung der Arbeit der Bundesregierung. Dafür müssen sie jedoch im Rahmen der Haushaltsverhandlungen wissen, wofür die Haushaltsmittel eingesetzt werden. Durch die fünf Milliarden Euro starke Krisenreserve wird ein beträchtlicher Teil der Mittel für Entwicklungspolitik und humanitären Hilfe innerhalb der Exekutive verhandelt. So bleibt es für die Abgeordneten und die Öffentlichkeit zunächst unklar, welche Ministerien für welche Zwecke Zugriff auf diese Mittel haben werden und ob die geplanten Kürzungen, zum Beispiel bei der humanitären Hilfe im Ausland um 700 Millionen Euro (bei Hinzurechnung des Ergänzungshaushaltes), tatsächlich eintreten werden oder nicht. Die Verhandlungen über die Krisenreserve müssen deshalb dringend transparent gemacht werden und die Krisenreserve zur Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses aufgelöst werden. Die Gelder sollten für alle sichtbar auf die jeweiligen Haushaltstitel aufgeteilt werden.

2. Der Begriff Krisenreserve ist irreführend.

Es handelt sich nicht um eine Reserve im eigentlichen Sinn, die im Fall einer Krise genutzt werden kann. Vielmehr sind es Gelder, von denen bereits jetzt klar ist, wo sie gebraucht und schnellstmöglich eingesetzt werden müssen. Im Etatentwurf des BMZ und beim AA sind deshalb auch strategische Kürzungen zu erkennen. Es wurde an Stellen gekürzt, wo eine anschließende Auffüllung mit Mitteln aus der Krisenreserve wahrscheinlich ist – etwa beim Haushaltstitel für Krisenbewältigung, Wiederaufbau und Infrastruktur (minus 650 Millionen Euro), bei der Sonderinitiative Eine Welt ohne Hunger (minus 250 Millionen Euro) oder, wie oben erwähnt, bei der humanitären Hilfe. Aus diesen Titeln werden zentrale Maßnahmen zur Bewältigung der sich zuspitzenden Ernährungskrise bereitgestellt.

3. Die Beiträge zivilgesellschaftlicher Organisationen zu einer gerechten und nachhaltigen Entwicklung müssen stärker berücksichtigt werden.

Die Erfahrung über die Verhandlung der letzten Krisenreserve im Frühjahr 2022 im Ergänzungshaushalt hat gezeigt, dass die großen Barmittelsummen vorrangig zwischen den großen Playern der staatlichen und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit verteilt werden. Gerade einmal 2,5 Prozent des Ergänzungshaushaltes wurde anschließend über zivilgesellschaftliche Titel umgesetzt. Dabei leisten gerade zivilgesellschaftliche Organisationen wichtige Beiträge zur Abmilderung und Bewältigung globaler Krisen. Dieses Engagement muss gestärkt werden. Die Partner_innen der deutschen NRO haben direkte Zugänge zu den Betroffenen und leisten wichtige, schnelle und unbürokratische Hilfe etwa bei der Ernährungssicherheit, bei der Bewältigung der Corona-Folgen, bei der Krisenprävention und vielem mehr. Sie dürfen bei den Verhandlungen über den Einsatz der Krisenreserve nicht vergessen werden.

4. Ein kurzfristiger Geldregen ist nicht nachhaltig.

Nach dem Ende der Verhandlungen um die Gelder der Krisenreserve werden plötzlich große Finanzmittel für einige Bereiche der Entwicklungspolitik und humanitären Hilfe verfügbar. Um Gelder so wirksam und nachhaltig wie möglich einzusetzen, braucht es Planbarkeit. Dem Einsatz von Entwicklungsgeldern gehen häufig Monate und zum Teil mehrjährige Planungsprozesse voraus. Diese Planungsprozesse werden durch Kürzungen im Etat des BMZ und dem anschließenden zurückspülen von Mitteln durch die Krisenreserve torpediert. Zumal unklar bleibt, wie es nach 2023 weitergehen wird. Die Bundesregierung sollte entwicklungspolitisch umsichtiger vorgehen. Die Planbarkeit lässt sich durch ein verlässlicheres hohes Finanzierungniveau von Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe deutlich verbessern. Dazu gehört auch die Bereitstellung von mehr Verpflichtungsermächtigungen, um mehrjährige Finanzierungen von Projekten zu ermöglichen.

Der Entwurf für den Haushalt 2023 wurde vom Kabinett bereits Anfang Juli vorgestellt. Für unsere Mitglieder haben wir eine Analyse des Haushaltsentwurfes erstellt, die Sie unter folgendem Link herunterladen können. Eine titelscharfe Übersicht unserer haushaltspolitischen Forderungen können Sie in unserer Stellungnahme zum Bundeshaushalt 2023 finden.