Immer wieder stehen Nichtregierungsorganisationen vor dem Problem, dass Banken dringend benötigte Finanzmittel nicht in die vorgesehenen Projektländer transferieren. Mitunter stehen ganze Projekte vor dem Abbruch, weil Auslandsüberweisungen nicht oder nur verzögert vor Ort ankommen. Bei Gesprächen zwischen Regierung, Banken und NRO wurden nun mögliche Lösungsansätze erörtert.
Herr L. ist ein höflicher, engagierter Mensch. Doch er ist tief beunruhigt. Denn seit mehreren Wochen kommt das Geld eines staatlich geförderten Projektes nicht vor Ort an. Überweisungen kommen ohne brauchbare Informationen zurück, obwohl die Kontonummer stimmt und es auch in der Vergangenheit zu keinen Komplikationen kam. Nun müssen Planungen verworfen werden, Gehälter können nicht gezahlt werden. Das ganze Vorhaben steht vor dem Abbruch.
Dies will Herr L., Geschäftsführer einer VENRO-Mitgliedsorganisation, nicht hinnehmen. Alle Beteiligten stehen schließlich voller Energie und Tatendrang in den Startlöchern. Die Enttäuschung eines Projektabbruches wäre fatal – auch finanziell, weil Rückzahlungen drohen würden. Einige Mittel sind bereits ausgegeben und Verträge wurden geschlossen, die es zu erfüllen gilt.
Das Problem, vor dem Herr L. steht, ist kein Einzelfall.
Allein im letzten Jahr konnte VENRO über 60 Fälle dokumentieren, in denen Auslandsüberweisungen nicht oder nur verzögert vor Ort ankamen. Der Hintergrund ist einfach gesprochen: Manchen Banken sind die Zahlungsflüsse von Nichtregierungsorganisationen, die im Ausland arbeiten, suspekt oder die Überprüfung schlichtweg zu teuer. Denn es kommt häufig zu plötzlichen Anstiegen in den Überweisungsmengen (wenn etwa ein neues Projekt startet) und dann auch noch in Regionen, in denen es Konflikte, sanktionierte Personen oder sogar terroristische Gruppen gibt. Die Angst, in einer solchen Situation in Mithaftung gezogen zu werden, ist den Banken dann zu groß. Das Resultat: Lieber die Finger davonlassen, obwohl es sich um völlig legitime Unterstützung von Nothilfe oder nachhaltigen Entwicklungsprojekten handelt.
Auf der Suche nach Lösungswegen beteiligt sich seit einiger Zeit auch das Bundesministerium der Finanzen (BMF); einige Banken zeigen ebenfalls Interesse. Und so fanden am 21. März 2024 auf Einladung des BMF Gespräche zwischen Regierung, Banken und NRO statt, um über Probleme und Lösungsmöglichkeiten für Schwierigkeiten von Nichtregierungsorganisationen (NRO) im internationalen Zahlungsverkehr zu sprechen.
Warum engagiert sich die Bundesregierung?
Der Bundesregierung ist daran gelegen, dass Entwicklungsvorhaben und humanitäre Hilfe ungehindert ankommen. Sie finanziert diese Maßnahmen oftmals mit und ist von deren positiven Wirkungen überzeugt. Gleichzeitig kennt das BMF die Vorschriften, Regulierungen und Strafen, die manchen Banken zu schaffen machen. Und das BMF möchte auch nicht, dass Menschen wie Herr L. genötigt werden, alternative Methoden wie private Cash Agents oder Bargeld zu nutzen, um das Geld ins Projektland zu bringen. Denn dann würde das Risiko, dass Gelder versehentlich in den falschen Händen landen, steigen. Die Regulierungs- und Überwachungsanstrengungen der internationalen Finanzströme würden dann einen ungewollten und gegenteiligen Effekt haben. In anderen Ländern, wie den Niederlanden oder Großbritannien, konnten ähnliche Dialogformate bereits zu Verbesserungen beitragen.
Weshalb ist dieser Dialog von entscheidender Bedeutung?
Um dies zu verstehen, müssen wir die Herausforderungen betrachten, denen NRO gegenüberstehen, wenn sie versuchen, die dringend benötigten Mittel in ihre Projektländer zu transferieren. Seit den Anschlägen vom 11. September haben internationale Standards zur Prävention von Terrorismusfinanzierung und Geldwäsche zu einer Verschärfung gesetzlicher und regulatorischer Anforderungen sowie zu einem Ausbau von Überwachungsmechanismen geführt. Diese Maßnahmen haben jedoch in einigen Ländern zu unbeabsichtigten oder auch zu absichtlichen Einschränkungen der zivilgesellschaftlichen Arbeit geführt (sogenannte „Shrinking Spaces“).
Verzögerungen bei Geldtransfers, Unmöglichkeit erfolgreicher Überweisungen und Schwierigkeiten im Spendenwesen sind nur einige der Probleme, denen NRO nun gegenüberstehen. Diese Hindernisse haben weitreichende Auswirkungen: Von der Nichtbezahlung von Personal und Dienstleistungen über die Verzögerung von Hilfsmaßnahmen bis hin zur Gefährdung von Mitarbeitenden vor Ort und sogar der Einstellung von Projekten.
Ein herausragendes Beispiel für diese Schwierigkeiten ist die Syrienhilfe, bei der zwischenzeitlich – laut einer Studie der London School of Economics von 2018 – fast ein Drittel aller Gelder aufgrund von Problemen im Korrespondenzbanksystem in der Schwebe blieben. Der Studie zufolge haben strengere Vorschriften der Financial Action Task Force (FATF), einer zwischenstaatlichen Institution zur Prävention von Geldwäsche, dazu geführt, dass viele NRO auf Bargeldtransfers oder alternative Zahlungsmethoden wie das Hawala-System zurückgreifen müssen, was mit erheblichen Risiken verbunden ist.
Für notwendige Verbesserungen müssen sich alle einbringen
Die Diskussion am 21. März 2024 war daher von entscheidender Bedeutung, um gemeinsam nach Lösungsansätzen zu suchen. Eine zuvor von VENRO erstellte Datenanalyse zeigte, dass Compliance-Anforderungen der Banken und Schwierigkeiten bei Korrespondenz- und Empfängerbanken die Hauptgründe für Überweisungsschwierigkeiten sind. Es wurde deutlich, dass auf allen Ebenen Verbesserungen notwendig sind, insbesondere im Korrespondenzbankensystem, in dem auch deutsche Banken eine entscheidende Rolle spielen.
Mögliche Lösungsansätze wurden ebenfalls erörtert. Dazu gehörten etwa die Vereinfachung und Klarstellung von Compliance-Anforderungen, die Erarbeitung besserer Schemata zur Risikobewertung von NRO, die Einrichtung von Clearingstellen für humanitäre Transaktionen oder eine verbesserte Kommunikation zwischen NRO und Banken. Die Harmonisierung europäischer Ausnahmeregelungen in der Sanktionspolitik wurde ebenfalls als wichtig angesehen, um die humanitäre Arbeit in Krisenkontexten zu unterstützen. Eine verstärkte Kooperation zwischen dem Auswärtigen Amt (AA) und NRO könnte außerdem Ressourcen bündeln und Fortbildungs- sowie Austauschangebote fördern – wie etwa in unserem Online-Seminar „Antiterrorismusmaßnahmen & humanitäre Hilfe – ein Überblick über Sanktionsregime & Gesetzgebungen (VIDEO)“.
Insgesamt war das Treffen am 21. März 2024 ein wichtiger erster Schritt, um das Bewusstsein für die Schwierigkeiten von NRO im Zahlungsverkehr zu schärfen und konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Situation zu erarbeiten. Es wird nicht die eine goldene Lösung des Problems geben. Gerade deshalb ist es wichtig, dass sich alle Beteiligten einbringen. VENRO wird weiterhin aktiv an der Gestaltung dieser Lösungsansätze mitwirken, um sicherzustellen, dass NRO ihre lebenswichtige Arbeit ohne unverhältnismäßige Hindernisse fortsetzen können. Und damit engagierte Menschen wie Herr L., deren Arbeit vor Ort Leben rettet, sich nicht durch Bargeldtransfers oder informelle Zahlungskanäle in Schwierigkeiten oder Gefahr begeben müssen.
Lukas Goltermann | VENRO |