Politik

“Gerade jetzt müssen wir in humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit investieren”

Axel Berger, Geschäftsführender Direktor des SDSN Germany

Die Vielzahl globaler Krisen hat zur Folge, dass wir seit zwei Jahren Rückschritte bei der Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele beobachten müssen, erklärt Axel Berger, Geschäftsführender Direktor des Sustainable Development Solutions Network. Um aktuelle und präventiv zukünftige Krisen zu vermeiden, müsse die Bundesregierung die Entwicklungsbudgets auf deutscher und europäischer Ebene ausbauen. 

Bei den Etats für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit stehen Kürzungen in Milliardenhöhe im Raum. Warum ist jetzt keine Zeit für Kürzungen?

Wir stehen vor der Herausforderung, Länder dabei zu unterstützen, eine Vielzahl von sich überlappender Krisen zu bewältigen: Auf die Finanzkrisen vor gut zehn Jahren folgte die Covid-19-Pandemie, die wiederum von den Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine überlagert und verstärkt wird. Die Zinsanstiege und hohe Inflation haben negative Folgen für viele Länder niedrigen und mittleren Einkommens. Wir beobachten in vielen dieser Länder gefährlich hohe Schuldenstände, die zu einer Verringerung des fiskalischen Spielraums von Regierungen führen, in Entwicklung zu investieren. Die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und Düngemitteln für deren Anbau ist gefährdet. Dies alles hat zur Folge, dass wir seit zwei Jahren Rückschritte bei der Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele beobachten müssen. Gerade jetzt muss man also in humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit investieren, um aktuelle und präventiv zukünftige Krisen zu vermeiden.

Wie schätzen Sie die Gefahr ein, dass Deutschlands Engagement für eine nachhaltige Entwicklung und die Umsetzung der Agenda 2030 durch die neue Aufrüstungspolitik ins Hintertreffen gerät?

Was die Agenda 2030 anbelangt, befinden wir uns zwar in der Halbzeit, leider aber noch nicht auf halbem Wege zu ihrer Umsetzung. Mit dem SDG-Gipfel im September dieses Jahres und dem Summit of the Future im nächsten Jahr stehen zwei wichtige Konferenzen an, die für eine beschleunigte Umsetzung der Agenda 2030 genutzt werden müssen. Hocheinkommensländer wie Deutschland müssen hierbei eine Führungsrolle übernehmen. Positiv zu bewerten ist, dass Deutschland zusammen mit Namibia die Verhandlungsführung für den Summit of the Future übernommen hat. Auch der Einsatz für eine Reform der Weltbank, die verstärkt die Bereitstellung globaler öffentlicher Güter finanzieren soll, ist hier zu betonen. Gleichzeitig gilt es, die Entwicklungsbudgets auf deutscher und europäischer Ebene auszubauen. Es ist richtig, dass zusätzlich zur Militärhilfe schon jetzt in den nachhaltigen Aufbau der Ukraine investiert wird. Folgerichtig ist es dann aber auch, dass dies nicht zu Lasten der Unterstützung anderer Länder geht.

Die Ampelparteien haben sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe eins zu eins wie die Ausgaben für Verteidigung steigen sollen. Wie bewerten Sie diese Koppelung?

Wir haben natürlich einen großen Nachholbedarf, was die Ausstattung der Bundeswehr und ihrer Fähigkeiten zur Landesverteidigung und internationalen Krisenbewältigung anbelangt. Gleiches gilt aber auch für die Fähigkeiten Deutschlands zur zivilen Friedensförderung. Zu nennen wäre hier das Vorhalten von qualifiziertem Personal und Kapazitäten für Konfliktmediation, Versöhnungsarbeit nach Konflikten oder Polizeimissionen. In diesen Bereichen ist Deutschland zu schwach aufgestellt. Darüber hinaus muss es aber auch um die gerechte Ausgestaltung globaler Strukturen in Bereichen der Klima-, Finanz- oder Handelspolitik gehen. Diese haben einen entscheidenden Einfluss auf die Verteilung von Wohlstand innerhalb von Gesellschaften und zwischen Ländern und können helfen, präventiv Konflikte zu vermeiden.

Was erwarten Sie von der Bundesregierung in den anstehenden Haushaltsverhandlungen?

Im wohlverstandenen Eigeninteresse sollte die Bundesregierung nicht nur nachhaltige Entwicklung in Deutschland fördern, sondern auch zusammen mit Partnern auf europäischer und internationaler Ebene in Entwicklung und Nachhaltigkeit in Ländern niedrigen und mittleren Einkommens investieren. Dies erfordert natürlich die Bereitstellung von mehr Finanzmitteln, aber eben auch den Einsatz für die Reform von internationalen Finanzierungssystemen.


Axel Berger ist Geschäftsführender Direktor des Sustainable Development Solutions Networks (SDSN) Germany und ist stellvertretender Direktor des German Institute of Development and Sustainability (IDOS).