Politik

Neue AG Shrinking Space: “Wir wollen Gegenstrategien entwickeln”

Autokratische Regierungen instrumentalisieren die Corona-Pandemie, um ihren politischen Einfluss zu verstärken. Menschenrechtsexpertin Christine Meissler warnt im Interview vor der bewussten Einschränkung von zivilgesellschaftlichen Freiheiten und erklärt, wie die neue VENRO-Arbeitsgruppe Shrinking Space Handlungsräume von NRO stärken möchte.

Frau Meissler, Sie haben die Gründung der AG Shrinking Space mitinitiiert. Inwiefern beeinflussen schrumpfende Handlungsräume die Arbeit der Mitglieder von VENRO und ihre Partnerorganisationen?

Von den Einschränkungen und Repressionen sind vor allem die Partnerorganisationen von VENRO-Mitgliedern betroffen. Schrumpfende Handlungsräume klingt sehr abstrakt. Aber für viele Partner bedeutet das einschneidende Beschränkungen ihrer Arbeit durch Überwachung, bürokratische Überregulierung und Schikanen, öffentliche Beleidigung und Stigmatisierung, eingeschränkte Finanzierungsmöglichkeiten oder gesperrte Projektkonten, Arbeitsverbote und sehr häufig auch die persönliche Bedrohung und Gefährdung. Besonderer Gefahr ausgesetzt sind Menschenrechtsverteidiger_innen. Sie werden oftmals bedroht, verhaftet oder sogar ermordet. Das hat weitreichende Folgen – nicht nur für Partner und ihre Zielgruppen. In Ländern, in denen es keine unabhängigen zivilgesellschaftlichen Akteure gibt, die die Rechte von Benachteiligten einfordern, die öffentliche Politik kritisieren und die Regierung zur Rechenschaft ziehen, ist die Wahrscheinlichkeit besonders hoch, dass ohnehin benachteiligte Gruppen und Minderheiten in ihrer Entwicklung abgehängt werden.

Wenn unsere Partner nicht mehr arbeiten können, sind VENRO-Mitglieder in ihrer Förderarbeit betroffen. Aber auch gemeinsame Lobbyarbeit kann negativ beeinflusst werden.

Wie sehr hat die Corona-Pandemie den Druck auf die Zivilgesellschaft verschärft?

Lockdowns, Abstandsregeln und Versammlungsverbote erschweren es für uns und unsere Partner, sich zu organisieren, sich für andere bei politischen Entscheidungen einzusetzen und gemeinsam auf die Straße zu gehen. Und durch die wirtschaftlichen Folgen der Krise sind auch finanzielle Schwierigkeiten absehbar. Dazu kommt, dass die Corona-Pandemie genutzt wird, um Menschenrechte und zivilgesellschaftliche Freiheiten bewusst einzuschränken und Kritiker_innen zum Schweigen zu bringen. Autokratische Regierungen instrumentalisieren weltweit die Krise, um ihren politischen Einfluss zu verstärken. Sie ermöglichen exzessive und unverhältnismäßige Gewaltanwendung durch Sicherheitskräfte, verletzen die Meinungs- und Pressefreiheit, indem sie Zensur einführen und weiten die staatliche Überwachung aus. Die Maßnahmen gegen die Pandemie treffen viele Menschenrechtsverteidiger_innen besonders hart: Allein in Kolumbien wurden 2020 bis zum Mai bereits 115 von ihnen umgebracht. Es passiert nun vieles im Verborgenen, weil zivilgesellschaftliche Akteure nicht vor Ort sein können, Kommunikation erschwert wird, die Transparenz abnimmt und Partizipationsmöglichkeiten wegfallen. Gesetze werden in vielen Fällen nun ohne Einflussnahme schnell entschieden. Und die Risiken für Umweltzerstörungen, Abholzungen und Landnahmen nehmen zu. Aber es zeigt sich wieder einmal, dass in Zeiten von humanitären Krisen zivilgesellschaftliche Organisationen mit ihren lokalen Kenntnissen und Netzwerken besonders gut gefährdete Gemeinschaften unterstützen können. Und es entstehen neue Formen des Engagements.

Mit welchen Schwerpunkten will sich die AG Shrinking Space nach ihrer Gründung zuerst befassen?

Es gab bereits in den letzten Jahren einen informellen Kreis von Vertreter_innen aus Mitgliedsorganisationen, die zu dem Thema gearbeitet haben. Dieser Kreis hat sich sehr für die AG eingesetzt und auch schon Ende 2019 Schwerpunkte identifiziert: Wir wollen v.a. einen Austausch zu Gegenstrategien ermöglichen, aber auch gemeinsame Advocacyarbeit machen. Wir hatten zu beiden Punkten bereits einige Inhalte identifiziert – aber in kurzer Zeit hat sich viel verändert. Es macht daher Sinn, inhaltliche Punkte in diesen zwei Bereichen zu diskutieren und anzupassen.

 

Christine Meissler ist VENRO-Mandatsträgerin für das Thema Shrinking Space und Referentin für den Schutz der Zivilgesellschaft bei unserer Mitgliedsorganisation Brot für die Welt.


Mitgliedsorganisationen, die an einer Mitarbeit in der AG Shrinking Space interessiert sind, können sich per Mail an sekretariat@venro.org anmelden.