Politik

Shrinking Spaces: Warum wir Zivilgesellschaft weltweit stärken müssen

Protestaktion vor dem Brandenburger Tor, um für das Problem von Shrinking Space zu sensibilisieren.

Eine unabhängige Zivilgesellschaft ist für Demokratie, Frieden und Entwicklung unabdingbar. Dennoch werden zivilgesellschaftliche Handlungsräume weltweit immer weiter eingeschränkt. Um diesem zunehmenden Phänomen der „Shrinking Spaces“ entgegenzutreten, haben wir vier konkrete Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung und den Bundestag formuliert.

Zivilgesellschaftliche Organisationen kämpfen weltweit auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene dafür, dass ihre Gesellschaften nachhaltiger, demokratischer und gerechter werden. Sie setzen sich unter anderem für Frauenrechte, gegen Umweltverschmutzung und Menschenrechtsverletzungen oder Korruption ein und unterstützen marginalisierte Gruppen. Die Herausforderungen, denen sich die Menschen mit ihrem Engagement stellen, sind an vielen Orten in den letzten Jahren größer geworden. Der Krieg in der Ukraine zeigt, wie wichtig eine unabhängige Zivilgesellschaft für die Bewältigung von Krisen, für Demokratie, Frieden und Entwicklung ist. Wenn Meinungs-, Presse-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit über Jahre hinweg immer weiter eingeschränkt werden, schrumpft der Handlungsraum von zivilgesellschaftlichen Akteur_innen und sozialen Bewegungen, um als Korrektiv zu populistischem und autoritärem Regierungshandeln zu wirken. Dieses Korrektiv ist beispielsweise in Russland durch langjährige Repressionen zivilgesellschaftlicher Organisationen aktuell nicht mehr vorhanden. Die eingeschränkten Handlungsräume sind keine Einzelfälle, sondern ein weltweit zunehmendes Phänomen, das international als „Shrinking Space“ bezeichnet wird. Es ist ein Symptom der weltweiten Demokratiekrise, die sich in der Abkehr von gelebten demokratischen Werten und der Zunahme autokratischer Regierungen äußert.

Massive Einschränkung von Freiheitsrechten in sechs von zehn Staaten weltweit

Zivilgesellschaftliches Engagement ist in der Mehrzahl der Länder weltweit unter Druck, Tendenz steigend. Laut dem Atlas der Zivilgesellschaft 2022 leben nicht einmal zwölf Prozent der Weltbevölkerung in Staaten, in denen Menschen weitgehend ungehindert ihre Meinung sagen, sich versammeln und gegen Missstände protestieren können. In 116 von 196 Staaten werden bürgerliche und politische Grundrechte massiv eingeschränkt. Den weltweit zunehmenden Einschränkungen der Zivilgesellschaft infolge eines sich ausweitenden Autoritarismus sollte die Bundesregierung deshalb aktiv entgegentreten.

Der Koalitionsvertrag ist eine gute Basis

Die Bundesregierung bringt in ihrem Koalitionsvertrag zivilgesellschaftlichem Engagement weltweit eine hohe Wertschätzung entgegen. Sie will zum Schutz dieses Engagements beitragen, Menschenrechte und Demokratie weltweit fördern und ihre Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen stärken. Wir zeigen nachfolgend vier zentrale Handlungsfelder für die Bundesregierung und den Bundestag auf, um die im Koalitionsvertrag genannten Ziele bis 2025 zu erreichen. Die konkreten Empfehlungen können Sie in der Stellungnahme nachlesen, die von der Arbeitsgruppe Stärkung zivilgesellschaftlicher Handlungsräume entwickelt wurde.

Vier Handlungsfelder zur Stärkung von Zivilgesellschaft

1. Zivilgesellschaft – weltweit – schützen und stärken

Wenn zivilgesellschaftliche Organisationen sich gegen Korruption, für eine bessere Regierungsführung, für Umweltschutz, Frieden, Menschenrechte und für soziale Gerechtigkeit einsetzen, ist das vielen Regierungen und Mächtigen ein Dorn im Auge. Das erfahren viele unserer Mitglieder und ihre Partnerorganisationen. Restriktive Gesetze und bürokratische Anforderungen lähmen ihre Arbeit. Dort, wo politische und wirtschaftliche Macht auf dem Spiel stehen, gehen Regierungen immer häufiger besonders hart gegen die Zivilgesellschaft vor. Die Ausgrenzung oder Unterdrückung wird oft verstärkt, wenn patriarchale und andere Machtstrukturen, die den Einschränkungen zugrunde liegen, von Aktivist_innen angeprangert werden. Immer mehr zivilgesellschaftliche Vertreter_innen müssen ihre wichtige Arbeit in ihren Heimatländern einstellen oder sogar ins Exil gehen.

Shrinking Spaces ist auch im digitalen Raum ein relevantes Thema. Die Digitalisierung bietet zivilgesellschaftlichen Akteur_innen die Chance, sich über Grenzen hinweg zu vernetzen und gemeinsam Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen zu entwickeln. Menschenrechte werden aber auch im Internet bedroht. Diffamierung und Verfolgung, Überwachung und Zensur im digitalen Raum schränken das Recht auf Privatsphäre sowie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zivilgesellschaftlicher Akteur_innen massiv ein. Sie verstärken die Repression, die Zivilgesellschaft im analogen Raum erfährt. Besonders Frauen und LGBTIQ+-Personen sind von Hass und Diffamierung betroffen, wenn sie sich öffentlich äußern.

In immer mehr Ländern erschweren Regierungen massiv die Finanzierung von unabhängiger, zivilgesellschaftlicher Arbeit. Der Erhalt von finanziellen Mitteln von Geber_innen aus dem Ausland wird häufig mit dem Verweis auf internationale Vorgaben der Terrorabwehr und Geldwäsche, durch unverhältnismäßige Registrierungsverfahren oder Kontrollen behindert oder sogar unmöglich gemacht. Dadurch wird vor allem die Arbeit vieler Menschenrechtsorganisationen und Basisorganisationen massiv eingeschränkt. Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Clément Nyaletsossi Voule, betont, dass der Zugang zu finanziellen Ressourcen, einschließlich einer Finanzierung aus dem Ausland, ein grundlegender Teil des Rechts auf Vereinigungsfreiheit nach internationalem Recht ist.

2. Schutz von Menschenrechtsverteidiger_innen verbessern

Menschenrechtsverteidiger_innen geben denjenigen eine Stimme, die sonst kein Gehör finden. Sie treten dort für demokratische Prinzipien, Gleichberechtigung und Inklusion ein, wo diese Werte missachtet werden. Durch Machtmissbrauch, Straflosigkeit und mangelnder Durchsetzung ihrer Rechte wird das Leben dieser Personen, ihrer Familien und der Menschen, für die sie sich einsetzen, gefährdet. Laut der Organisation Frontline Defenders wurden im Jahr 2021 weltweit 358 Menschenrechtsverteidiger_innen ermordet. Öffentliche Schmähkampagnen, persönliche Drohungen und rechtliche Einschränkungen, willkürliche Verhaftungen bis hin zu physischer, sexualisierter und psychischer Gewalt sind nur einige der üblichen Repressalien gegen Menschenrechtsverteidiger_innen. Insbesondere Aktivist_innen, die sich für Frauen- und LGBTIQ+-Rechte, für andere marginalisierte Gruppen oder Umweltschutz und Landrechte stark machen, sind gefährdet.

3. Teilhabe von Zivilgesellschaft fördern

Zivilgesellschaftliche Organisationen sind ein wichtiges Bindeglied zwischen Bevölkerung und politischen Entscheidungsträger_innen und stärken so demokratische Prozesse. Vor allem die Einbindung vulnerabler und marginalisierter Gruppen spielt eine wichtige Rolle, um bei politischen Entscheidungen alle mitzunehmen.

Um zivilgesellschaftliche Handlungsräume und Menschenrechte zu schützen, sollte die Bundesregierung im Sinne der im Koalitionsvertrag beschriebenen „neuen Kultur der Zusammenarbeit“ insbesondere bei Maßnahmen und Entscheidungen, die Einfluss auf Menschenrechte und zivilgesellschaftliche Handlungsräume haben, zivilgesellschaftliche Akteur_innen strategisch einbeziehen. Wirkungsvolle Beteiligung setzt auf unterschiedlichen Ebenen an. Sie beinhaltet beispielsweise, einen Austausch auf Augenhöhe zu führen, ein breites Spektrum zivilgesellschaftlicher Akteur_innen rechtzeitig einzubeziehen und die Ergebnisse mit ihnen zu teilen.

4. Einen politischen Do-No-Harm-Ansatz zur Vermeidung negativer Auswirkungen auf zivilgesellschaftliche Handlungsräume entwickeln

Die Bundesregierung muss die Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf andere Länder und deren Gesellschaften verstärkt in den Blick nehmen. Politikfelder wie Handel, Außenwirtschaftsförderung, Migration oder militärische Sicherheit dürfen Menschenrechte und zivilgesellschaftliches Engagement in anderen Staaten nicht beeinträchtigen oder ihnen gar schaden. Auch internationale Antiterrormaßnahmen, an denen Deutschland beteiligt ist, begünstigen in vielen Ländern eine repressive Gesetzgebung und eine Überregulierung des NRO-Sektors.

Antiterrormaßnahmen werden von einigen Regierungen auch als Vorwand genutzt, um zivilgesellschaftliche Freiheiten gezielt einzuschränken. Diese behindern den Zugang humanitärer Organisationen zur notleidenden Bevölkerung, wenn diese Regionen von Akteur_innen kontrolliert werden, die als terroristische Gruppen eingestuft werden. Im Rahmen von sicherheitspolitischen Kooperationen der Bundesregierung, insbesondere in der gemeinsamen Terrorabwehr und Migrationspolitik, wird zudem immer wieder berichtet, dass deutsche Sicherheitsinstitutionen mit Sicherheitskräften zusammenarbeiten, die die Menschenrechte missachten.

Auch bei großen Infrastrukturprojekten kommt es häufig zur Bedrohung von und Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger_innen. Exportkontrollen erfassen zudem längst noch nicht alle Güter, die sich negativ auf Menschenrechte oder den zivilgesellschaftlichen Handlungsraum auswirken, wie etwa biometrische Überwachungstechnologien.


Unsere Stellungnahme “Zivilgesellschaftliche Handlungsräume weltweit stärken – Empfehlungen an die Bundesregierung und den Bundestag” finden Sie hier zum Download.