Als 1995 die Weltaktionsplattform von Peking mit viel Weitsicht beschlossen wurde, war unsere Autorin vor Ort dabei. Drei Jahrzehnte später ist die Euphorie verflogen – höchste Zeit, die Verpflichtungen endlich einzulösen!
Dreißig Jahre ist es nun her, dass in Peking die Weltaktionsplattform beschlossen und unter dem Beifall von Nichtregierungsorganisationen und Regierungen als Sonnenstrahl für eine bessere Zukunft von Gleichberechtigung und Gleichstellung der Geschlechter beurteilt wurde. Ich durfte 1995 wie 37.000 weitere NRO-Vertreter_innen und Tausende von Regierungsvertreter_innen in Chinas Hauptstadt dabei sein. Euphorisch stimmte selbst Hillary Clinton damals in die Losung ein: Frauenrechte sind Menschenrechte.
Heute können wir diesen Leitsatz zwar immer noch proklamieren, aber immer weniger umsetzen – denken wir nur an die vielen Femizide, an die Aussperrung von Frauen von Bildung und Gesundheit sowie von politischen und wirtschaftlichen Rechte, oder auch an ihre Abdrängung in prekäre Arbeitsverhältnisse und in Armut.
Versprechen wurden nicht umgesetzt
Der jüngste Ungleichheitsbericht von Oxfam ist ein flammender Appell an die Weltgemeinschaft, endlich im Sinne von Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit sowie Geschlechtergleichstellung zu handeln. Geschlechtergerechtigkeit bleibt trotz aller Versprechen auf globalen Konferenzen, UN-Jahrestagungen sowie europäischen und internationalen Gipfeln ein „unerledigtes“, jedoch merkwürdigerweise stets populäres Thema, ohne dass sich die politischen, wirtschaftlichen oder sozialen und gesellschaftlichen Machtverhältnisse verändern. Mit der Wahl des amerikanischen Präsidenten und der Zelebrierung der Plutokratie weltweit haben sich die Gleichstellungsperspektiven nochmals massiv verschlechtert.
Die weltweite Gleichstellungsbilanz offenbart: Die Aktionsplattform von Peking wird nicht umgesetzt. Die Geschlechterlücke ist immer noch bei 31,6 Prozent und kann frühestens im Jahre 2158 geschlossen werden (Global Gender Gap Report 2024). Peking 1995 hatte hingegen mehr und schnellere Geschlechtergerechtigkeit versprochen.
Die UN-Frauenrechtskommission muss die Regierungen eindringlich auffordern, ihre Verpflichtungen endlich einzulösen. Sie tut dies auch mit viel Beifall Jahr für Jahr. Doch nur zehn Staaten sind auf dem richtigen Weg, ihre Gleichstellungsversprechen einzulösen – vor allem Island, die anderen nordischen Staaten, aber auch Deutschland.
Aktionsplattform muss Maßstab bleiben
Richtigerweise hat es seit Peking keine weitere Weltfrauenkonferenz gegeben. Denn wiederholt haben die Regierungen bestätigt, dass es eben diese Beschlüsse der Aktionsplattform von 1995 sind, die gleichstellungspolitische Richtschnur bleiben sollen. Hingegen würde eine neue Weltfrauenkonferenz angesichts der politischen Entwicklungen nur Alibicharakter mit gleichstellungspolitisch zweifelhaften Wegmarken bedeuten.
Auch die damalige UN-Generalsekretärin der Weltfrauenkonferenz, Gertrud Mongella, die tansanische Generalsekretärin für die Peking-Konferenz und ich waren uns völlig einig: die Beschlüsse von Peking dürfen nicht aufgeweicht werden. Das ist auch glücklicherweise bis heute die Haltung der UN-Frauenrechtskommission, die vom 10. bis 21. März 2025 in Berlin tagt, um die Fortschrittsberichte der UN-Regierungen zu sichten und neue Vorschläge zur Förderung der Gleichstellung in der Welt zu entwickeln. Genau das ist bitter nötig. Die Aktionsplattform von Peking muss Maßstab bleiben, wie einige Beispiele zeigen:
Politische Gleichberechtigung: Es gibt immer weniger weibliche Staats- und Regierungsoberhäupter und nur 26,7 Prozent der Abgeordneten sind Frauen. Parität als Konzept gibt es nur in wenigen Ländern, inzwischen auch in diversen Staaten in Lateinamerika und Afrika. Es sollten über die Frauenkommission politische Paritätsgesetze für alle Länder vorgeschlagen werden – auch im Einklang mit der UN-Frauenrechtskonvention.
Wirtschaftliche Gleichberechtigung: Immer noch verdienen Frauen weniger als 20 Prozent der Männerlöhne, sind weltweit überproportional in prekären Berufen beschäftigt und stellen erst (aber immerhin) knapp 30 Prozent des weltweiten Führungspersonals. Nach wie vor haben aber nur 15 Prozent aller Frauen in Entwicklungsländern einen Landtitel, obwohl – wie bereits vor 30 Jahren – die Frauen vor allem in landwirtschaftlichen Aktivitäten beschäftigt sind.
Gewalt gegen Frauen, Sicherheit von Frauen: Jede dritte Frau weltweit wird in ihrem Leben Opfer von körperlicher Gewalt. Femizide haben weltweit zugenommen, nicht aber durch Regierungen ermöglichte Schutzräume für Frauen. Das Recht auf reproduktive Gesundheit und Selbstbestimmung nimmt ab, gleichzeitig wird das Leben für viele Frauen auf der Erde gefährlicher.
Zentral für globale Entwicklung: Geschlechtergerechtigkeit!
Die Erkenntnisse über Bildungs- und Gesundheitsrisiken von Frauen und marginalisierten Gruppen unterstreichen die aktuelle globale Situation, in der Geschlechtergerechtigkeit angesichts autoritärer Regime oder wachsender Plutokratien zunehmend vernachlässigt wird. Diese Ausgangslage ist neu für die UN-Debatten um Geschlechtergerechtigkeit, vor allem im Rahmen der jährlichen Frauenrechtskommission mit ihren vielen Delegierten aus UN-Staaten und ihren vielen Zusatzveranstaltungen zu brennenden Gleichstellungsfragen im Umfeld der UN-Konferenz. Sie waren bisher ein wichtiger Beitrag für gleichstellungspolitische Fortschritte und forderten auch eine geschlechtergerechte Entwicklungspolitik.
Nach wie vor halte ich Geschlechtergerechtigkeit global für einen Schlüssel für die bessere Weltentwicklung, ähnlich wie die Menschenrechtserklärung, die UN-Charta oder die Menschenrechtkonventionen. Aber auch Frauenrechtlerinnen wie Olympe de Gouges, Mary Wollstonecraft, Flora Tristan, Malala Yousafzai und die heutige mexikanische Präsidentin Claudia Scheibaum betonen und betonen dies immer wieder.
2025 darf kein Jahr werden, in dem Frauenrechte und Geschlechtergerechtigkeit abgebaut oder zurückentwickelt werden. Aber die Macht der Plutokraten wächst, Entwicklungsländer sind höher verschuldet denn je, Gewalt und autokratische Regierungen erstarken weltweit. Armut trifft mehr denn je Frauen. Internationale Solidarität verabschiedet sich, wie am Beispiel der Streichung von USAID und den Kürzungen von Entwicklungszusammenarbeit und Humanitärer Hilfe weltweit deutlich wird.
Es bedarf mehr denn je einer vernetzten Zivilgesellschaft
Internationalen Ereignissen wie der UN-Frauenrechtskommission wird eine neue globale Verantwortung zuteil: Sie müssen unmissverständlich die internationale Solidarität einfordern und die wertvolle Arbeit aller Nichtregierungsorganisationen neben der jeweils wichtigen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit im Interesse der Frauen hervorheben. Nicht einzelne Staatschefs oder Milliardäre dürfen entscheiden, welcher Mensch eine Menschenwürde hat. Wir haben sie alle. Die Menschenrechte von Frauen sind jedoch besonders bedroht. Deswegen müssen gerade heute die Werte und Beschlüsse der UN-Weltfrauenkonferenz aus dem Jahr 1995 Leitlinien bleiben und weiterentwickelt werden.
30 Jahre nach Peking gibt es Handlungsbedarf. Sicherlich ist die feministische Entwicklungspolitik ein Baustein für wichtige Fortschritte – wenn sie denn weitergeführt wird. Aber selbst das reicht nicht. Die Weitsicht der Aktionsplattform nimmt alle in die Pflicht, trotz aller Widerstände die gegenseitigen internationalen Verpflichtungen nicht nur im nationalen Kontext zu betrachten, sondern die globale Verantwortung gemeinsam anzunehmen. Regierungen tun sich schwer, weil sie zu schnell Kompromisse schmieden müssen. Deswegen bedarf es mehr denn je der Zivilgesellschaft, international vernetzt, um die internationale Solidarität durchzusetzen und dabei die Menschenrechte und Geschlechtergerechtigkeit international zu beschleunigen. Wir haben keine Zeit zu verlieren!
Professor Dr.h.c. Christa Randzio-Plath ist ehemalige stellvertretende Vorsitzende von VENRO und war langjährige Vorsitzende vom Marie-Schlei-Verein.
Christa Randzio-Plath | ![]() |
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