Politik

Generalversammlung der UN-Städteorganisation: Ein Beitrag zu inklusivem Multilateralismus?

UN-Habitat Exekutivdirektorin Maimunah Mohd Sharif bei einer politischen Stellungnahme am ersten Konferenztag

Vom 5. bis 9. Juni 2023 tagte in Kenias Hauptstadt Nairobi zum zweiten Mal die Generalversammlung von UN-Habitat, die zurzeit wichtigste internationale Politikkonferenz der Organisation der Vereinten Nationen (UN) für nachhaltige Stadt- und Siedlungsentwicklung. Über 3.400 Teilnehmer_innen, darunter fast 90 (stellvertretende) Minister_innen, nahmen vor Ort und über 2.000 weitere online teil. Neben thematischen Schwerpunkten vom Recht auf Wohnen über die Klimakrise bis hin zur sozialen Stadtgestaltung war auch die multilaterale Zusammenarbeit Gegenstand der Debatten.

UN-Habitat begleitet, fördert und berät verschiedene Stadtentwicklungsprogramme in aller Welt und gibt den internationalen Orientierungsrahmen für Stadtpolitik vor. Bei ihrem Eingangsstatement unterstrich die Exekutivdirektorin von UN-Habitat, Maimunah Mohd Sharif, was wohl für alle der 17 globalen Entwicklungsziele (SDGs) der Agenda 2030 gleichermaßen zutrifft: „The only way we can achieve […] transformative impact on the ground is not to go it alone but to embrace multilateral action.” Ob Armutsbekämpfung, Geschlechtergerechtigkeit oder Klimamaßnahmen: Eine Vielzahl der SDGs hängt davon ab, ob wir unsere Städte inklusiv, sicher, resilient und nachhaltig gestalten (SDG 11). Dabei sind lokale und regionale Regierungen auf die Koordination der internationalen Staatengemeinschaft angewiesen. Dementsprechend fand die Generalversammlung unter der Überschrift „Eine nachhaltige urbane Zukunft durch Multilateralismus: Erreichung der SDGs in Zeiten globaler Krisen“ statt.

Im Jahr 2016 hatte sich die internationale Gemeinschaft im Rahmen der Habitat III Konferenz in Quito, Ecuador, auf den globalen Fahrplan für nachhaltige Stadtentwicklung, die Neue Urbane Agenda, geeinigt. Danach riefen die Vereinten Nationen 2018 die Generalversammlung zur Stadtentwicklung ins Leben. Sie ist das zentrale Steuerungsorgan von UN-Habitat.

Die Funktion der Generalversammlung der UN-Städteorganisation

Die Hintergründe für die ‚Ernennung‘ der Generalversammlung waren folgende:

  1. Der gesellschaftliche Megatrend: Aktuell lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, bis 2050 werden es voraussichtlich über zwei Drittel sein. 90 Prozent des Städtewachstums sind in Asien und Afrika zu erwarten. Dieser Trend stellt eine große Herausforderung dar. Sieben Jahre vor der Zielsetzung für das Jahr 2030 ist die internationale Staatengemeinschaft auf dem Weg, ihre unter SDG 11 festgehaltenen Zielen und Indikatoren zu verfehlen. Gleichzeitig besitzt die Verstädterung enormes Potenzial, die wachsenden Siedlungen sozial und ökologisch nachhaltig zu gestalten.
  2. Die daraus resultierende Hebelwirkung von Städten für eine nachhaltige Entwicklung – so hängt die Erreichung einer Vielzahl der SDGs von einer sozial und ökologisch nachhaltigen Stadtgestaltung und der Umsetzung durch lokal-städtische Akteure ab.
  3. Die dementsprechende Dringlichkeit einer wirksameren internationalen Zusammenarbeit, Finanzierung und Strategiebildung, um die Chancen von Urbanisierung zu nutzen und ihren Herausforderungen zu begegnen.

Auf der ersten Generalversammlung, die im Jahr 2019 ebenfalls in Nairobi, dem Stammsitz von UN-Habitat, stattgefunden hatte, war die Funktionsweise der Assembly festgelegt worden. Inhaltliche Debatten spielten eine eher sekundäre Rolle. Kernelemente der sogenannten Rules of Procedure der Assembly bilden deren vierjährige Taktung, die Teilnahme von Regierungsvertreter_innen aller Mitgliedsstaaten der UN (universal governmental membership) sowie die Möglichkeiten der Einflussnahme relevanter nicht-staatliche Interessensträger_innen (stakeholder).

Bei der diesjährigen zweiten Auflage kam inhaltlichen Debatten ein größeres Gewicht zu. Regierungen und nicht-staatliche Akteure berieten sich fünf Tage lang in verschiedenen Formaten zu fünf Schwerpunktthemen: Zugang für alle zu angemessenem Wohnraum, städtische Klimaaktion, Erholung von städtischen Krisen, Lokalisierung der SDGs sowie Prosperität und städtische Finanzierung. Darüber hinaus war die Ausgestaltung der internationalen Zusammenarbeit zwischen den staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (als Träger_innen des Multilateralismus‘) Gegenstand intensiver Debatten.

Beschlüsse zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit, Klimakrise und für sozial-inklusive Städte

Diese Schwerpunkte finden sich auch in den zehn auf der Generalversammlung verabschiedeten Beschlüssen (Resolutionen) wieder. Angesichts der steigenden Anzahl von Menschen, denen das Recht auf angemessenen Wohnraum verwehrt wird, wurde die Bildung einer zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe zur Erarbeitung konkreter Maßnahmen beschlossen; ein besonderer Schwerpunkt soll auf der Bekämpfung von Wohnungslosigkeit und der Transformation informeller Siedlungen liegen. Andere Beschlüsse befassen sich mit der Verknüpfung zwischen urbaner Regierungsführung und der Klimakrise, Biodiversität oder der Notwendigkeit, technologischen Fortschritt sozial-inklusiv zu gestalten und somit menschliche Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen (people-centered smart cities). Schließlich unterstreichen die Beschlüsse die wichtige Rolle lokaler Akteure bei Umsetzungs-, Planungs- und Berichterstattungsprozessen (Lokalisierung der SDGs).

Stadtentwicklung muss Menschenrechte achten!

Die Misereor-Partnerorganisationen Habitat International Coalition (HIC)Housing and Land Rights Network (HLRN) und Global Platform for the Right to the City (GPR2C) brachten sich aktiv in die Debatten ein und setzten dabei ihre eigenen Akzente. Gemeinsam mit kommunalen, akademischen und zivilgesellschaftlichen Partnern richteten sie zwei von insgesamt etwa 40 Side Events aus – von denen kaum eines unter ausschließlich zivilgesellschaftlicher Federführung bewilligt worden war. Angesichts anhaltender Vertreibungen, die nicht selten im Namen der ‚Stadterneuerung‘ (durch Bau neuer Straßen, Wohngebäude, Infrastruktur) durchgeführt werden, betonten sie die staatliche Verantwortung für die Umsetzung eines menschenrechtebasierten Ansatzes in der Stadtentwicklung. Dieser beinhalte, die Wohn- und Landrechte informeller Siedler_innen zu achten und Siedlungspläne und -politiken unter effektiver (meaningful) Beteiligung der betroffenen Wohnbevölkerung zu erarbeiten (co-production/social production of housing).

In einer Resolution mit anderen nicht-staatlichen Interessensträger_innen, darunter auch Misereor, forderten sie zudem die rasche Einrichtung eines Regelwerkes (Engagement Mechanism) zur Einflussnahme nicht-staatlicher Akteure auf die Generalversammlung. Nach aktueller Planung von UN-Habitat soll dieser Mechanismus erst 2025 und somit fünf Jahre vor der Zielsetzung der SDGs eingesetzt werden – vorausgesetzt, der Exekutivausschuss der UN-Organisation hat ihn bis dahin ausgearbeitet. Misereor-Partner HLRN sieht das kritisch: „Wir können nicht länger auf UN-Habitat warten, um einen Multi-Stakeholder-Mechanismus zu bekommen“.

Ausblick auf eine inklusive und nachhaltige Stadtentwicklung

Festzuhalten bleibt, dass die Generalversammlung von UN-Habitat bereits fünf Jahre nach ihrer Gründung zu einem vielversprechenden Politikforum geworden ist. Die dort diskutierten Themen gehören ohne Zweifel zu den Schlüsselthemen nachhaltiger Stadtentwicklung. Die Relevanz dieses noch sehr jungen Steuerungsorgans dürfte jedoch nicht unwesentlich davon abhängen, wie wirksam künftig auch nicht-staatliche Akteure ihre Anliegen (u.a. Stärkung der sozialen Funktion von- sowie Recht auf Land und Wohnen) in die zwischenstaatlichen Verhandlungen einbringen können.

UN-Habitat hat die Forderungen früherer Resolutionen nach der Ausarbeitung eines Engagement-Mechanismus‘ für nicht-staatliche Akteure allerdings bislang nicht erfüllt. Im Rahmen eines solchen Mechanismus wären nicht zuletzt ein erhöhter Anteil von Side Events unter zivilgesellschaftlicher Federführung sowie reduzierte Teilnahmebarrieren für lokale Nichtregierungsorganisationen zu diskutieren. Diese, darunter auch kenianische Partnerorganisationen von Misereor, hatten in diesem Jahr kaum Zugang oder fanden ihn lediglich über ‚Umwege‘.

Denn in Anbetracht des weltweiten Globalisierungstrends und der Hebelwirkung von Städten für nachhaltige Entwicklung ist inklusiver Multilateralismus und die Beteiligung der organisierten Zivilgesellschaft entscheidend, um die sozialen und ökologischen Krisen unserer Zeit bewältigen zu können. Oder, wie Maimunah Mohd Sharif es bei ihrem Eingangsstatement der Generalversammlung durch ein Suaheli-Sprichwort formulierte: „Unity is strength, division is weakness“ (umoja ni nguvu). Wie stark das Interesse am Zusammenhalt seitens des Exekutivausschusses von UN-Habitat wirklich ist, wird sich auch an der Dauer der Ausarbeitung eines effektiven Engagement Mechanism ablesen lassen.

Dieser Artikel basiert auf einem Blog-Eintrag unserer Mitgliedsorganisation Misereor: Zweite Generalversammlung der VN-Städteorganisation: Ein Beitrag zu inklusiver internationaler Zusammenarbeit?


Eva Dick arbeitet als Referentin für Städtische Entwicklung in der Abteilung Afrika und Naher Osten für Misereor. Kai Klause arbeitet als Referent für Städtische Transformation in der Abteilung Politik und Globale Zukunftsfragen für Misereor.