Wie schon 2015 koordinieren VENRO und das Forum Umwelt und Entwicklung in diesem Jahr den zivilgesellschaftliche Begleitprozess zur deutschen G7-Präsidentschaft. Auf dem Civil7-Gipfel am 4. und 5. Mai werden die Empfehlungen der C7 offiziell an die G7-Präsidentschaft übergeben. Nicht immer fand der Dialog zwischen Zivilgesellschaft und G7 auf diese institutionalisierte Weise statt. Jürgen Maier, Geschäftsführer des Forum Umwelt und Entwicklung, ist schon seit vielen Jahren im C7-Prozess engagiert und blickt aus persönlicher Sicht darauf zurück, wie sich der Dialog zwischen der G7 und Zivilgesellschaft im Lauf der Jahrzehnte entwickelt hat.
»Civil7« – das klingt heute fast schon wie ein integraler Bestandteil des G7-Prozesses, und in gewisser Weise ist es auch so: prozedural hat sich das Einbeziehen sogenannter »Outreach-Gruppen« in eine G7-Präsidentschaft heute weitestgehend etabliert. Mit der einen Ausnahme: Unter US-Präsidentschaften fällt dieser Outreach-Prozess regelmäßig aus. Wie groß der Einfluss der C7 inhaltlich auf die real stattfindende Politik ist, ist allerdings eine andere Frage.
Das war aber nicht immer so, ganz im Gegenteil. Die G7 begannen als eine informelle Runde von 6 westlichen Staats- und Regierungschefs 1976, die auf Initiative von Bundeskanzler Helmut Schmidt und des französischen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing unter dem Eindruck einer Öl- und Wirtschaftskrise zu mehr politischer Koordination führen sollte. Das waren Arbeitstreffen ohne Pomp und Fanfaren, die erst in den 1980er Jahren größere Dimensionen annahmen. »Weltwirtschaftsgipfel« nannte man diese Treffen damals, und angesichts des Anteils der nunmehr um Kanada erweiterten Gruppe von sieben westlichen Wirtschaftsmächten an der Weltwirtschaft war das zwar damals schon anmaßend, aber eine gewisse faktische Grundlage hatte dieser Titel durchaus. Der erste dieser größer angelegten »Weltwirtschaftsgipfel« in der Bundesrepublik fand 1985 in Bonn statt und löste damals ein breites Bündnis von Gegnern dieser Veranstaltung aus. Die Alternativbewegung, Solidaritätsinitiativen mit der »Dritten Welt«, die Friedensbewegung und andere, auch die Partei Die Grünen – die Bezeichnungen »Zivilgesellschaft« oder »Nichtregierungsorganisation« waren damals nicht üblich. Sie organisierten einen Gegengipfel mit Tribunal-Charakter und eine Großdemonstration unter dem Motto »Über allen Gipfel ist Unruh – Für eine Welt ohne Ausbeutung, Unterdrückung und Intervention«.
»Bonn gleicht dieser Tage einem Heerlager. Der Weltwirtschaftsgipfel Mitte nächster Woche wirft seine sicherheitspolitischen Schatten voraus. Friedensbewegte und Mitglieder von Dritte-Welt-Gruppen mobilisieren zum Tribunal und zu einer Großdemo. Nun herrscht im gastgebenden Bundesland Nordrhein-Westfalen Wahlkampf, und der dort regierenden SPD käme nichts ungelegener als „Randale“ vor den Kameras der Weltöffentlichkeit. Die CDU nun, so hört man, will die Gelegenheit nutzen, jeden Demonstranten zum Antiamerikaner zu stempeln, und je heftiger es brodelt, desto wirksamer für ihre Kampagne.« taz, 25.4.1985
In den 1990er-Jahren stiegen sowohl Aufmerksamkeit als auch Gegenmobilisierungen
Sieben Jahre später war es wieder soweit, diesmal in München. Das Alternativbündnis gegen den nunmehr nur noch »Wirtschaftsgipfel« genannten Gipfel war von Anfang an von starken politischen Spannungen geprägt, die die Vorbereitungen für die geplanten Aktionen – vor allem Demonstration und Gegenkongress – stark behinderte. Schließlich gab es zwei Alternativkongresse, einen mehr national sowie ein mehr international ausgerichtetes »The Other Economic Summit«, welches ich damals organisierte. Auch damals war an einen Dialog mit den Regierungen nicht zu denken, weder planten die Gipfel-Gegner dies, noch wäre die Regierung darauf eingegangen.
1998 war Russland aufgenommen worden, die G7 waren nun die G8, und die erste deutsche G8-Präsidentschaft war 1999. Der Kölner Gipfel stand ganz im Zeichen der Schuldenkrise vieler Länder des Südens und es gab erstmals eine Demonstration und einen Alternativkongress, die sich nicht gegen den Gipfel per se gerichtet waren, sondern für einen umfassenden Schuldenerlass für den Süden eintrat, übrigens durchaus mit einigem Erfolg. Dies war die Geburtsstunde des Erlassjahr-Bündnisses. Im Vorfeld kam es auch zum ersten Mal zu einem offiziellen Gespräch des Sherpas – des offiziellen G8-Beauftragten des Bundeskanzlers – mit Delegationen der Gipfel-Kritiker. Diese Treffen waren noch stark geprägt von gegenseitigem Misstrauen und in der Zusammensetzung weit weniger organisiert.
Die Gipfel der 1990er-Jahre nahmen immer größere Dimensionen an und dementsprechend stiegen Aufmerksamkeit sowie Gegenmobilisierungen. Diese waren dann geprägt von teilweise massiven Auseinandersetzungen und regelrechten „Straßenschlachten“. Der traurige Höhepunkt war der Gipfel in Genua 2001, bei dem es zu exzessiver Polizeigewalt gegen die Proteste kam, mit einem von der Polizei erschossenen Todesopfer, vielen Schwerverletzten und in Polizeigewahrsam Misshandelten. 16 hohe Polizeibeamte wurden deshalb später zu Haftstrafen verurteilt. Seitdem gibt es eine große Tendenz, die Gipfel nicht mehr in großen Städten, sondern in abgelegenen Örtlichkeiten zu veranstalten.
2006 wurde die Zivilgesellschaft erstmals umfassend beteiligt
Ein Umbruch war die erste russische G8-Präsidentschaft 2006. Der Gipfel in St.Petersburg selbst verlief zwar störungsfrei in dem Sinne, dass es dort nicht zu größeren Gegenmobilisierungen kommen konnte, da diese unterbunden wurden, aber Präsident Putin erkannte durchaus das Potenzial einer umfassenden Beteiligung der nunmehr begrifflich durchaus etablierten »Zivilgesellschaft«. In nie dagewesenem Umfang dialogisierte die russische Regierung mit dieser Zivilgesellschaft, es gab dutzendweise öffentliche Beratungstreffen, an denen auch ein breites Spektrum russischer Gruppen und Organisationen teilnahm. Ein nationales und internationales »Advisory Committee« für die russische G8-Präsidentschaft wurden etabliert, letzterem gehörte auch der Verfasser an. Erstmals stellten sich alle Sherpas dem öffentlichen Dialog in einer »Civil G8«-Konferenz vor einem Publikum von 300 Leuten in Moskau, zu der dutzendweise internationale NGO-Vertreter auf Kosten der russischen Regierung eingeflogen wurden. Zum Höhepunkt lud Putin zu einer dreistündigen Diskussion mit 25 Vertretern der internationalen NGO-Welt, live im TV übertragen.
Angesichts der neuen russischen Partizipationsstandards traten das Forum Umwelt und Entwicklung und VENRO an die deutsche Regierung in Sachen nachfolgender deutscher G8-Präsidentschaft im Jahr 2007 heran. Gegen den Wunsch, nicht hinter Russland zurückzufallen, ließ sich wenig einwenden und der deutsche Sherpa Bernd Pfaffenbach sagte ein vergleichbares Programm zu. Der deutsche Gipfel im weiträumig abgeriegelten Heiligendamm an der Ostsee war allerdings in verschiedener Hinsicht ein Balanceakt. Für die Regierung, die mit US-Präsident George Bush eine Einigung zur Klimapolitik erzielen wollte, nachdem dieser seinen Ausstieg aus dem Kyoto-Protokoll verkündet hatte, aber auch für die NGOs und die Alternativbewegung. Es gab nämlich nicht nur eine Demo und einen Gegengipfel in Rostock, sondern erstmals auch einen C8-Prozess, der aber nicht von allen Gipfelgegnern goutiert wurde. Es bedurfte vieler Gespräche, um sicherzustellen, dass man sich nicht gegenseitig alle möglichen schlimmen Dinge vorwarf, weil man so böse Dinge tat wie etwa einerseits mit den Regierungen reden oder andererseits mit ganz furchtbaren Linksradikalen und Autonomen gemeinsam demonstrieren. Der C8-Summit fand dann aber räumlich und zeitlich weit weg vom Gipfel-Ort statt, nämlich in der Bonner Beethovenhalle, und hatte ein Programmelement »Dialog mit den Sherpas«. Gerüchtehalber sollte es im autonomen Spektrum eine Demo gegen die C8-Konferenz vor der Beethovenhalle geben. Sicherheitshalber meldete ich gleich noch eine kleine Demonstration vor der Beethovenhalle selbst an, um dies zu verhindern…
Soweit war die Bundesregierung bereit, das russische C8-Programm nachzuvollziehen, aber zu einem Dialog mit der Bundeskanzlerin reichte es nicht. Das wurde abgelehnt. Die nachfolgende japanische G8-Präsidentschaft 2008 übernahm dieses Programm 1:1, danach erlahmte der neue Partizipationseifer der G8 allerdings rasch wieder.
C20-Gipfel 2017 dient als Vorbild für den diesjährigen C7-Prozess
Bei der nächsten deutschen Präsidentschaft 2015, nunmehr wieder G7, knüpften VENRO und das Forum Umwelt und Entwicklung wieder an 2007 an und stießen beim Kanzleramt auf Offenheit. Zu einer erneuten öffentlichen Runde mit den Sherpas war man nicht bereit, aber zu einem C7-Summit samt Podiumsgespräch mit Kanzlerin Merkel. Der G7-Gipfel fand auf Schloss Elmau in den bayerischen Alpen statt, sodass der C7-Summit passenderweise in der bayerischen Landesvertretung in Berlin stattfand. In München gab es im Vorfeld des Gipfels eine Demonstration und einen Alternativgipfel, aber die Unterschiede zu 2007 oder gar zu München 1992 waren unübersehbar. Auch die Demo und der Alternativgipfel waren vom NGO-Spektrum dominiert, von einer grundsätzlich kritischen oder gar konfrontativen Haltung zu den Regierungen war nicht mehr viel zu sehen.
Einen internationalen C7-Prozess im Vorfeld gab es 2015 allerdings nicht. Es war komplett ein vom Forum Umwelt und Entwicklung und VENRO gemeinsam organisierter Prozess der deutschen NGOs, plus ein paar dazu geladenen internationalen Gästen. Gänzlich anders verlief der C20-Prozess zwei Jahre später, mit einem internationalen Steering Committee, Arbeitsgruppen usw. und einer weitgehenden Beteiligung internationaler NGO-Netzwerke. Der C20-Summit in Hamburg, erneut mit einem Podiumsgespräch mit Kanzlerin Merkel, war eine weitaus internationalere Veranstaltung, und das an Merkel übergebene C20-Kommuniqué ein wirklich international getragenes Statement. Der C7-Prozess 2022 orientiert sich viel stärker an diesem Vorbild als am C7-Prozess 2015.
Jürgen Maier ist Geschäftsführer des Forum Umwelt und Entwicklung.
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