Der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) soll laut Haushaltsentwurf der Bundesregierung in diesem Jahr um 1,6 Milliarden Euro geringer ausfallen als im vergangenen Jahr und von 12,43 Milliarden Euro auf 10,85 Milliarden Euro sinken. Die Kürzungen könnten zu kaum einem schlechteren Zeitpunkt kommen.
Mehr als 40 Millionen Menschen werden in diesem Jahr allein aufgrund steigender Nahrungsmittelpreise zusätzlich von extremer Armut betroffen sein, schätzt das Center für Global Development. Zusätzlich entfaltet sich am Horn von Afrika nach einer anhaltenden Dürre eine weitere menschliche Katastrophe. Da weder die Corona-Pandemie noch ihre Folgen bewältigt sind, steht die Entwicklungszusammenarbeit vor einer Mehrfachkrise. Zivilgesellschaftliche Organisationen stehen zusätzlich vor der Herausforderung, dass ihre Handlungsräume in einer wachsenden Zahl von Ländern eingeschränkt werden – zuletzt erhöhten etwa die Regierungen in Indien und Nicaragua den Druck auf die Zivilgesellschaft und verbieten vielen Nichtregierungsorganisationen (NRO) die Weiterarbeit.
Vor dem Krieg in der Ukraine hatte VENRO berechnet, dass für die Legislaturperiode 31,2 Milliarden Euro für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe fehlen, um wichtige Zielmarken etwa bei der Bekämpfung des Klimawandels, bei der Ernährungssicherung oder der internationalen Gesundheitsversorgung zu erreichen. Wir setzen uns deshalb dafür ein, die Gelder für Entwicklungszusammenarbeit mindestens auf dem Level des Vorjahres zu halten.
Massive Kürzungen bei der Krisenbewältigung und Übergangshilfe geplant
Die gute Nachricht vorweg: In einigen wichtigen zivilgesellschaftlichen Fördertiteln wurden Kürzungen, die im ersten Regierungsentwurf des Haushalts angekündigt wurden, zurückgenommen. So etwa bei der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit, beim Zivilen Friedensdienst und dem Austausch- und Freiwilligendienst. Diese Titel sollen dem Regierungsentwurf zufolge auf dem Stand vom Vorjahr bleiben. Die entwicklungspolitische Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen im In- und Ausland auszuweiten und zu stärken, wie es im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, ist damit allerdings nicht möglich. Hier erwarten wir von der Bundesregierung in den folgenden Jahren mehr Anstrengungen, um dieses Ziel zu erfüllen.
Gleichzeit sieht der Haushaltsentwurf Kürzungen vor, die die zivilgesellschaftliche Arbeit enorm erschweren würden. Am stärksten ist der Titel Krisenbewältigung und Wiederaufbau, Infrastruktur (Übergangshilfe) betroffen. Hier wurde massiv gekürzt: um 40 Prozent auf 500 Millionen Euro. Dabei dürfte besonders dieser Haushaltstitel wichtig sein, um die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine zu bewältigen. Im letzten Jahr ging ein großer Teil dieser Gelder an das Welternährungsprogramm (WFP), an das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) und zahlreiche humanitäre NRO. Diese Organisationen werden dieses Jahr mindestens genauso viele Gelder brauchen, um die humanitäre Katastrophe in der Ukraine abzumildern und mit den globalen Folgen des Krieges fertig zu werden. Durch die steigenden Nahrungsmittel- und Energiekosten stürzen Millionen von Menschen in Ländern des globalen Südens in extreme Armut.
Ebenfalls von Kürzungen betroffen sind die beiden wichtigsten Fördertitel für die Auslandsarbeit von NRO: der Titel für langfristige Vorhaben der Zivilgesellschaft in den am wenigsten entwickelten Ländern (LDC) und der Titel Private Träger, aus denen zivilgesellschaftliche Entwicklungsprojekte finanziert werden. Im Titel Private Träger stehen im Haushaltsentwurf für 2022 17 Millionen Euro weniger bereit als im Vorjahr, während der Titel für die Vorhaben in den am wenigsten entwickelten Ländern leicht um drei Millionen Euro erhöht wurde. In beiden Titeln wurden die Verpflichtungsermächtigungen (VE) enorm gekürzt. Dies sind Gelder, die für zukünftige Haushaltsjahre bewilligt werden dürfen. Je weniger es davon gibt, desto weniger mehrjährige Projekte können bewilligt werden. Beide Titel hatten im letzten Jahr zusammengerechnet ein langfristiges Projektvolumen in Höhe von 280 Millionen Euro. Im neuen Haushaltsentwurf wurde dieses um 144 Millionen Euro, also um mehr als die Hälfte, gekürzt. Besonders eklatant ist der Rückgang für die Vorhaben in den am wenigsten entwickelten Ländern. Sollte diese Kürzung bestehen bleiben, wird es schwierig sein, in den kommenden Jahren neue langfristige zivilgesellschaftliche Vorhaben in diesen Ländern zu ermöglichen.
Leider wurde auch die Förderung der Sozialstrukturträger-Organisationen, darunter die Arbeiterwohlfahrt und das Deutsche Rote Kreuz, im aktuellen Haushaltsentwurf vernachlässigt. Obwohl im Zuge der Reform des Titels weitere Trägerorganisationen aufgenommen wurden und sich dadurch der Kreis der umsetzenden Organisationen von acht auf zwölf Organisationen erhöht hat, hat es seit mehreren Jahren keine Aufstockung des Titels gegeben. Der aktuelle Haushaltsentwurf sieht sogar eine Kürzung der Mittel um eine Million Euro auf 60 Millionen Euro vor. Der Ausweitung des Trägerkreises müssten eigentlich steigende finanzielle Mittel einschließlich einer angemessenen Erhöhung der Mittel für langfristige Projekte folgen.
Ergänzungshaushalt muss globale Folgen des Kriegs in der Ukraine einkalkulieren
Der Haushaltsentwurf wird nun im Parlament beraten. Gleichzeitig will die Bundesregierung noch einen Ergänzungshaushalt einbringen, der den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine begegnen soll. Da dieser Krieg in der Kornkammer Europas über die Grenzen Europas hinaus schwere Folgen hat, setzen wir uns dafür ein, dass die entwicklungspolitischen Folgen in diesem Ergänzungshaushalt berücksichtigt werden müssen. Gleichzeitig ist für uns zentral, die finanzielle Unterstützung für die zivilgesellschaftliche Entwicklungszusammenarbeit zu stärken. Dazu führen wir Gespräche mit dem BMZ und mit Mitgliedern des Deutschen Bundestages.
Verabschiedet wird der Haushalt voraussichtlich im Juni. Dann steht schon der nächste Haushaltsentwurf für 2023 vor der Tür.
VENRO-Analyse des Entwurfs für den Haushalt 2022 der Ampel-Koalition (PDF)
VENRO-Studie: „Ist Deutschlands Beitrag zur Finanzierung von Entwicklungszusammenarbeit und Humanitärer Hilfe ausreichend?“ (PDF)
Eine zweiseitige Zusammenfassung der Studie finden Sie in unserem Standpunkt (PDF)
Lukas Goltermann | VENRO |