Politik

HLPF 2022: Am Ende gibt die Wirtschaft den Ton an

Abschlusssitzung des HLPF 2022 in New York City

Nach dreijähriger Pause fand das Hochrangige Politische Forum zum Umsetzungungsstand der UN-Nachhaltigkeitsziele erstmals wieder in Präsenz statt. Unser Vorstandsmitglied Kayu Orellana war in New York vor Ort und resümiert: Der Titel des diesjährigen HLPF versprach zwar große Ambitionen, die Ergebnisse waren jedoch aus zivilgesellschaftlicher Sicht abermals enttäuschend. 

Nach nunmehr dreijähriger Präsenzpause kamen in New York zwischen dem 5. und 15. Juli 2022 die 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen (UN) und zahlreiche Vertreter_innen von Nichtregierungsorganisationen (NRO) zusammen, um den Fortschritt und Zustand der nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, SDG) auf dem High-level Political Forum (Hochrangiges Politisches Forum, HLPF) zu besprechen.

Ich durfte für VENRO und als Teil der offiziellen Regierungsdelegation Deutschlands an diesem Forum teilnehmen und schildere meine Eindrücke in diesem Beitrag. Wer eine ausführliche Beschreibung des HLPF lesen möchte, der möge sich bitte den Bericht von Jens Martens vom Global Policy Forum Europe e.V. durchlesen. Darin beschreibt er Abläufe und das System der Veranstaltung mit großer Präzision und tiefem Verständnis für die Prozesse.

Um keine Inhalte zu duplizieren, werde ich mich auf die Manöverkritik zum HLPF beschränken und eher die Frage stellen, ob etwas gefehlt hat.

Worum ging es?

„Building back better from the coronavirus disease (COVID19) while advancing the full implementation of the 2030 Agenda for sustainable development”: Unter diesem Titel lief das diesjährige HLPF – und so komplex wie der Titel waren auch die Vorzeichen, unter denen die Konferenz stattfand. Natürlich warf der Krieg in der Ukraine einen enormen Schatten auf die Veranstaltung und die Stimmung unter den Delegierten. Trotzdem versuchte man sich an den Kernthemen der diesjährigen Agenda zu orientieren. Hierfür wurden die SDG 4, 5, 14, 15 und 17 ausgewählt, welche in über 300 Main- und Side-Events von den Teilnehmenden besprochen wurden. Besondere Beachtung sollte man hierbei den freiwilligen Berichten der Staaten (Voluntary National Report, VNR) schenken, da diese zumindest einen gewissen Einblick in den Stand und den Fortschritt der SDG vermitteln würden. In jedem Fall lässt sich festhalten, dass die Formulierung des Veranstaltungsthemas große Ambitionen implizierte.

Erwartungen

Nach drei Jahren Corona-Pause waren die Erwartungen an die Veranstaltungen relativ groß. Entsprechend vollmundig fiel damit auch die Titulierung der Konferenz aus, aber die Präsentationen der Staaten waren in erster Linie von den Errungenschaften geprägt statt von den Defiziten, die weiterhin bestehen. Diese aufzuzeigen war die Rolle, die der Zivilgesellschaft zukam, die als Sammelgruppe (sog. Major Group) den Diskurs durch Redebeiträge kritisch begleitete.

Ich selbst bin eigentlich ohne konkrete Erwartungen nach New York gereist, da das HLPF mehr eine Statusabfrage als ein Format für Beschlüsse ist. In der Vergangenheit waren die Ziele im Bestfall moderat ambitioniert formuliert und von verbindlichen Zusagen weit entfernt.

Ergebnisse

Die Ministererklärung ist das Abschlussdokument der Veranstaltung, hier werden die gemeinsamen Ziele verankert. Positiv ist anzumerken, dass Russland und die Ukraine gemeinsam hinter der Erklärung stehen. Negativ bleibt festzustellen, dass sich das Dokument (nur) vordergründig mit dem Bedauern der Folgen der Pandemie und dem Rückschritt bei der Erreichung der SDG befasst. Das Dokument beinhaltet demnach nur (ausschließlich) Appelle, die Anstrengungen zur Erreichung der SDG und einer globalen Impfgerechtigkeit zu verstärken – kleiner Wink an Deutschland. Entsprechend enttäuscht zeigte sich die Zivilgesellschaft im Nachgang.

Wo war die Privatwirtschaft?

Für mich stellt sich immer die Frage, ob die Staaten, die ja in erster Linie die Adressat_innen der Appelle sind, eigentlich realpolitisch gesehen tatsächlich in der Lage sind, diesen Forderungen im Rahmen der SDG zu entsprechen, wenn die Rolle und der Einfluss der Privatwirtschaft so immens sind, wie es in westlichen Demokratien üblich ist. Der Vertreter eines schweizerischen Wirtschaftsverbandes, der auf dem HLPF anwesend war, hatte es treffend beschrieben: „Die Wirtschaft wird nur mitziehen, wenn es sich rechnet.“ Jetzt könnte man sagen, dass das erfrischend ehrlich ist, aber diese Aussage ist mir persönlich schon sauer aufgestoßen. Ich kann mir bis heute nicht erklären, wie naiv man eigentlich sein kann, nicht zu sehen, dass es an einem zerstörten Planeten voller Krisen und Kriege am Ende nichts mehr zu verdienen gibt.

Trotzalledem muss man festhalten, dass wir ohne die Privatwirtschaft, die entscheidend für die Erreichung der SDG ist, keinen nennenswerten Fortschritt erzielen werden. Vor diesem Hintergrund war die Präsenz und Teilhabe der Unternehmen auf dem HLPF viel zu gering und spielte eine viel zu kleine Rolle. In diesem Zusammenhang stellt sich mir durchaus die Frage, ob diese UN-Formate noch zeitgemäß bzw. zweckdienlich sind.

G7 > UN?

Wie geht es also weiter? Eigentlich sind alle Länder weiterhin sich selbst überlassen, obwohl man – das sollte doch erwähnt werden – im Bereich SDG 17 noch mehr (finanzielle) Kooperation anstrebt, damit die Länder des Südens besser in die Lage versetzt werden, die Ziele zu erreichen. Allerdings bleibt immer der Beigeschmack der mangelhaften Verbindlichkeit und damit geringer Ambition zurück. Die UN muss sich auch die Frage gefallen lassen, ob Formate wie G7 oder G20 mehr erreichen. Zwar wäre das ein dramatisches Signal für den Multilateralismus mit dem globalen Süden, aber zumindest in Fragen der Begrenzung der Co²-Emissionen wären Vorstöße in einem Format der Industrienationen wahrscheinlich richtig und wichtig und erlauben keinen Aufschub.

Abschließendes Fazit

Für mich bleibt die Erkenntnis, dass derartige Formate optimal geeignet sind, um sich und seine Organisationen zu vernetzen. Ich finde es jedoch äußerst bedenklich, dass NRO und Länder des globalen Südens mit ihren Forderungen nach mehr Unterstützung und Ambition aus dem Norden wenig Erfolg haben. Am Ende sind es dann eben doch der Wettbewerb und die Wirtschaft, die im Hintergrund den Ton angeben und auch für Industriestaaten letztendlich der wichtigere Faktor zu sein scheinen.

Aber genau hier setzt auch ein Aspekt an, den ich in New York kennenlernen durfte und der sehr vielversprechend wirkte: Es geht um die Voluntary Local Reviews – die Präsentation des SDG-Fortschritts auf lokaler Ebene, vorgetragen von Vertreter_innen von Städten oder Regionen. Denn es liegt auf der Hand, dass die tatsächliche Umsetzung der meisten SDG tatsächlich dort (vor Ort) gesteuert werden muss, wo es passiert. Und das sind eben nicht die Schreibtische auf Bundesebene, sondern es passiert im Kleinen (Lokalen), in den Stadt- und Kommunalverwaltungen. Ich denke, dass wir in Sachen SDG auch im Grundsatz dieser Ebene eine deutlich größere Bedeutung zukommen lassen sollten – denn hier sind die Ergebnisse und Aktivitäten weitaus konkreter als auf dem Niveau kryptischer Grundsatzdebatten auf Staatenebene.


Kayu Orellana leitet des Berliner Büro unserer Mitgliedsorganisation Help – Hilfe zur Selbsthilfe e.V. und ist Mitglied des VENRO-Vorstands.