Politik

Studie zu den Auswirkungen von Terrorismusbekämpfung zeigt: Zivilgesellschaft wird systematisch eingeschränkt

Während Indiens Premierminister Modi in New York vorgibt, die Welt mit Yoga zu einen, belegt eine neue Studie der UN-Sonderberichterstatterin weltweit massive Einschränkungen gegen Zivilgesellschaft und Menschenrechtsverletzungen unter dem Deckmantel von globaler Terrorismusbekämpfung. Was sind die Empfehlungen aus der nun vorgestellten Studie und wie passt die neue Globale Anti-Terrorismus-Strategie der UN dazu?

Der 21. Juni 2023 begann in New York frühmorgens mit einer Yoga-Session auf der Rasenfläche des Geländes der Vereinten Nationen (UN), angeführt von Indiens Premierminister Narendra Modi. Das Event wurde von über 1.000 Gästen besucht – darunter Diplomat_innen zahlreicher Staaten: der Präsident der UN-Generalversammlung Csaba Kőrösi, der New Yorker Bürgermeister Eric Adams und der Schauspieler Richard Gere. Modi sprach von der vereinigenden Spiritualität und Universalität von Yoga: „Yoga means to unite.“ Hingegen untergräbt nach Ansicht von Menschenrechtsorganisationen seine hindu-nationalistische Politik im eigenen Land die Rechte von religiösen Minderheiten, besonders von Muslim_innen. Auch gegen kritische Zivilgesellschaft und Andersdenkende wird hart vorgegangen, oftmals unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung.[1][2]

Diese kritische Zivilgesellschaft protestierte auch vor dem UN-Gebäude und hat sich unter anderem in der Civil Society Coalition on Human Rights and Counter-Terrorism zusammengeschlossen, um einen besseren Schutz von Menschenrechten und zivilgesellschaftlichen Handlungsräumen bei der Terrorismusbekämpfung sicherzustellen. Während der zum dritten Mal stattfindenden Counter-Terrorism Week in New York kamen Vertreter_innen von zivilgesellschaftlichen Organisationen aus aller Welt zu einem Side-Event zusammen. In diesem Rahmen stellte Fionnuala Ní Aoláin, Sonderberichterstatterin zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Bekämpfung des Terrorismus, zusammen mit Vertreter_innen der Zivilgesellschaft die neue ‚Global Study on the Impact of Counter-Terrorism Measures on Civil Society & Civic Space‘ vor. Sowohl die deutsche Regierung als auch die Friedrich-Ebert-Stiftung in New York haben die Studie finanziell unterstützt.

Studie legt Repressionen gegen Zivilgesellschaft offen

Kernaussage der Studie ist, dass auf der ganzen Welt unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung Menschenrechtsverletzungen und Repressionen gegen die Zivilgesellschaft begangen werden. Insgesamt kommt die Studie, deren partizipative Datenerhebung und umfangreiche Forschungsergebnisse von Veranstaltungsteilnehmenden als großer Mehrwert gelobt wurden, zu folgenden Ergebnissen:

  1. Zivilgesellschaftliche Akteur_innen in sämtlichen Regionen der Welt erleben einen komplexen und sich gegenseitig verstärkenden Missbrauch von Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung. Dabei unterstreicht die Studie die mehrdimensionalen Folgen des Missbrauchs von Terrorismusbekämpfung in Form eines „Spielbuchs”, unter anderem durch gerichtliche oder administrative Maßnahmen, Sanktionen oder andere Beschränkungen der Finanzierung, sowie die gefährliche Anwendung neuer Technologien wie Spionagesoftware und Drohnen.[3]
  2. Während es regionale Unterschiede gibt, ist die Vielzahl der beschriebenen Maßnahmen konsistent und konstant. Darüber hinaus sind bestimmte Merkmale der Terrorismusbekämpfung regional konzentriert, was oft auf regionale Partnerschaften, Geberbeziehungen und multilaterale technische Hilfe und Kapazitätsaufbau zurückzuführen ist.
  3. (Vermeintliche) Terrorismusbekämpfung verleitet Staaten oftmals dazu, von rechtsstaatlichen Verfahrensprinzipien wie zum Beispiel einem ordnungsgemäßen Gerichtsverfahren abzuweichen. Straflosigkeit und Repressalien sind in diesem Zusammenhang weit verbreitet.
  4. Der Missbrauch von Terrorismusbekämpfung hat nachweislich diskriminierende Aspekte, insbesondere gegen religiöse, ethnische und kulturelle Minderheiten, Frauen, Mädchen und LGBTQIA+, sowie indigene Gemeinschaften.
  5. Die Überwachung und Bewertung sowie die unabhängige Kontrolle von Menschenrechtsverletzungen, die im Namen der Bekämpfung von Terrorismus oder gewalttätigem Extremismus begangen werden, sind nach wie vor mangelhaft.

Die 122-seitige Studie geht detailliert auf die obigen Aspekte ein und schließt mit Empfehlungen für die UN und ihre Mitgliedstaaten, regionale Organisationen, den Privatsektor und für die Zivilgesellschaft ab.

Welche Erkenntnisse ergeben sich aus der Studie für deutsche NRO?

Auch für deutsche Nichtregierungsorganisationen (NRO) hält die Studie relevante Empfehlungen parat: Es wird gefordert, kooperative und inklusive Beziehungen auf lokaler, nationaler, regionaler und internationaler Ebene mit staatlichen sowie nicht staatlichen Akteur_innen fortzusetzen. Zudem sollen die Mechanismen der Menschenrechtsvertragsorgane und die UN-Sonderverfahren weitergeführt werden. Dabei stehen auch gezielte Anstrengungen im Vordergrund, Grassroots-Organisationen beim Zugang zu Ressourcen und politischen Räumen zu unterstützen. Außerdem soll sich die Zivilgesellschaft besser vor Spionageprogrammen schützen, indem sie in digitale Sicherheit investiert, technische Kapazitäten aufbaut und den Wissenstransfer innerhalb und über nationale, regionale und globale Schnittstellen hinweg sicherstellt.

Neue UN-Anti-Terror-Strategie weist weiterhin Mängel auf

Am 22. Juni wurde auch die neue Globale Anti-Terror-Strategie der UN verabschiedet. Trotz der eindeutigen Faktenlage der zivilgesellschaftlichen Studie konnten sich die UN-Mitgliedstaaten nicht darauf einigen, die unabdingbare Rolle von Zivilgesellschaft für friedvollere, resilientere und sicherere Gesellschaften oder Gender- Mainstreaming sowie die explizite Rolle von Frauen und Mädchen stärker in der Strategie zu verankern. Ebenso fehlt eindeutigere Sprache und die Erklärung dass Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismusfinanzierung[4] und der Einsatz neuer Technologien im Einklang mit Menschenrechten stehen müssen.

Wie bisher enthält die Strategie einen Verweis auf einschlägige internationale Standards; indirekt ist die FATF – eine zwischenstaatliche Institution zur Bekämpfung von Terrorismusfinanzierung – so zwar erfasst, aber ein direkter Bezug fehlt weiterhin. Daher zeigten sich zivilgesellschaftliche Vertreter_innen in New York mit der überarbeiteten Strategie insgesamt unzufrieden. Immerhin wurde eine Referenz aufgenommen, die die Rolle von zivilgesellschaftlichen Organisationen unterstreicht, die von Frauen geleitet werden. Außerdem gibt es weitere Verweise zur Notwendigkeit von Präventionsarbeit auf der Ebene von lokalen Gemeinschaften sowie der Anwendung des „humanitarian carve-out“, der bedeutet, dass legitime humanitäre Arbeit vom UN-Sanktionsregime ausgenommen ist. Es bleibt zu hoffen, dass sich letzteres positiv auf die gängigen Praktiken von autoritären Staaten auswirkt, Konten von missliebigen NRO einzufrieren.

[1] Siehe hierzu auch den VENRO-Blogartikel von Lukas Goltermann „Terrorismusbekämpfung zur Einschränkung von Zivilgesellschaft?“ (2022)

[2] Siehe auch die Studie „The Impact of International Counter-Terrorism on Civil Society Organisations“ von Brot für die Welt von 2017, die einen Überblick über die Auswirkungen der Terrorismusbekämpfung auf zivilgesellschaftliche Organisationen liefert.

[3] Siehe hierzu auch Kapitel 3 der Studie: The Playbook for Misuse (S. 55ff.).

[4] Siehe hierzu auch den VENRO-Blogbeitrag von Katharina Stahlecker zur Financial Action Taskforce (FATF) „Prävention von Terrorismusfinanzierung – Welche Rolle spielen NRO bei der Prüfung Deutschlands?“ (2020)


Der_die Autor_in arbeitet bei einer VENRO-Mitgliedsorganisation zur Stärkung von Zivilgesellschaft.