Politik

Ortega-Regierung missbraucht internationale Finanzstandards

Platz der Revolution in Nicaraguas Hauptstadt Managua

In Nicaragua geht die Regierung mit allen Mitteln gegen jegliche Kritik vor, um ihre Macht zu sichern. Bei der Schließung von Nichtregierungsorganisationen (NRO) beruft sich Präsident Daniel Ortega auf internationale Standards zur Prävention von Terrorismusfinanzierung. Während die interamerikanische Menschenrechtskommission und das UN-Hochsekretariat für Menschenrechte das autoritäre Regime in Nicaragua verurteilen, reagiert die internationale Financial Action Task Force (FATF), die für die Standards und deren Umsetzung zuständig ist, bisher nur schleppend auf den massiven Missbrauch ihrer Empfehlungen.

Über 2.100 Nichtregierungsorganisationen hat die nicaraguanische Regierung bereits geschlossen und Mitarbeitende des Landes verwiesen oder zur Flucht veranlasst. Unter ihnen befinden sich nationale und internationale Organisationen aus den Bereichen Soziales, Umwelt, Gesundheit, Bildung und Medien. Derzeit steht besonders die katholische Kirche im Mittelpunkt der Repression. Die Festnahme des Bischofs Rolando Alvarez, nachdem er tagelang in der Kathedrale von Matagalpa eingekesselt worden war, gilt vielen in der Bevölkerung als ein Zeichen, dass die Repression durch das Ortega-Regime nun keine Grenzen mehr kennt. Die von der Regierung Ortega in den letzten Jahren erlassenen Gesetze unterstützen die Logik des Regimes und geben seinem Vorgehen einen rechtsstaatlichen Anstrich.

Sanktionen reichen vom Einfrieren der Konten bis zum Entzug der Registrierung

Um sein Vorgehen zu begründen, beruft sich Ortega unter anderem auf internationale Standards, die zur Prävention von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung aufgestellt wurden. Die dafür zuständige Financial Action Task Force (FATF) setzt sich gemeinsam mit Regionalorganisationen für die weltweite Verbreitung dieser Standards ein und überprüft deren Umsetzung. So richtet die FATF ihre Empfehlung 8 an den Umgang mit Nichtregierungsorganisationen und fordert, dass Staaten ihre Gesetze und Regulierungen so aufstellen, dass das Risiko von Terrorismusfinanzierung bei besonders gefährdeten Organisationen minimiert wird. Die geforderten Sanktionen reichen vom Einfrieren der Konten bis zum Entzug der Registrierung. Außerdem soll kompetenten, staatlichen Autoritäten der Zugang zu den jährlichen Finanzberichten und Geberstrukturen verschafft werden. Gleichzeitig weist die FATF daraufhin, dass die Integrität der Organisationen und ihrer Geldgeber gewahrt werden soll und Maßnahmen fokussiert und verhältnismassig sein sowie auf Basis einer Risikoanalyse erfolgen müssen.

Fadenscheinige Gründe führen zur Schließung von Nichtregierungsorganisationen

Die nicaraguanische Regierung behandelt immer mehr Nichtregierungsorganisationen wie Unterstützer von Terrorismus und hat verschiedene restriktive Gesetze erlassen, mit denen die Vorgaben der FATF angeblich umgesetzt werden sollen. So erließ die Regierung Ortegas im Jahr 2021 ein Gesetz gegen Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und Finanzierung von Waffenlieferungen sowie im April 2022 ein weiteres Gesetz zur Regulierung von Organisationen ohne Gewinnabsichten. Die Nichtregierungsorganisationen werden darin verpflichtet, die Identitäten ihrer Geldgeber_innen und die Verwendung ihrer Einnahmen gegenüber der Regierung offenzulegen und in regelmäßigen Abständen über ihre Arbeit und über Veränderungen in ihren internen Strukturen zu berichten.

Die Vorgabe der FATF, dass legitime Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen nicht eingeschränkt werden dürfen (Immediate Outcome 10.2.) und dass die Maßnahmen einem risikobasierten Ansatz folgen müssen (Recommendation 8), missachtete die Regierung dabei absichtlich. Zusätzlich weitete sie die Definition von „Terrorismus“ längst auf die politische Opposition aus. Über 190 politische Gefangene sitzen unter menschenunwürdigen Bedingungen in Haft. Rund 2.100 Organisationen wurden geschlossen. Die extrem hohe Anzahl ist ein Hinweis darauf, dass es politische Motive für den Entzug ihrer Rechtspersönlichkeit gibt.

Offiziell heißt es in den Amtsblättern, dass die betroffenen Organisationen entweder nicht über Veränderungen beispielsweise in ihren Vorständen berichtet oder ihre Berichte nicht fristgemäß eingereicht hätten. Die Organisationen bezeugen jedoch ein anderes Vorgehen. Die zuständigen Beamt_innen wiesen deren Berichte und Satzungsänderungen unter dem Verweis auf neue Formate, angebliche Fehler in der Darstellung oder andere fadenscheinige Gründe zurück, so die Betroffenen. Dadurch verstrich die jeweilige Frist, um Nachweise einzureichen, und die Regierung konnte den Organisationen mit Verweis auf ihre gesetzlichen Kontroll- und Transparenzpflichten die Rechtspersönlichkeit entziehen.

Sobald der Entzug der Rechtspersönlichkeit veröffentlicht wird, haben die von der Regierung suspendierten Organisationen 72 Stunden Zeit, sich aufzulösen und alle notwendigen Dokumente bei den entsprechenden Ministerien einzureichen. Nach der Schließung droht den rechtlichen Vertreter_innen der Nichtregierungsorganisationen die Gefahr, dass sie jederzeit festgenommen werden könnten. Denn viele Organisationen schaffen es nicht, alle noch ausstehenden Transaktionen und Berichte ihrer jahrelangen Arbeit in den verbleibenden Stunden abzuschließen. Zudem beschlagnahmt der Staat das Eigentum von nationalen und sogar von internationalen Organisationen. So besetzte die Polizei das Büro der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), nachdem Ortega Ende 2021 den Austritt aus dem Staatenverbund angekündigt und ihre Verteter_innen des Landes verwiesen hatte.

Missbrauch der FATF-Standards muss Konsequenzen haben

Nicaragua ist weiterhin auf der sogenannten „grauen Liste“ der Regionalorganisation der FATF (GAFILAT) und steht damit unter intensiver Beobachtung. Jedoch weniger aufgrund menschenrechtlicher oder rechtsstaatlicher Bedenken, sondern vor allem wegen technischer Vorgaben, die sich gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung richten. Zum Missbrauch der FATF-Standards gibt es seitens der Institution bisher keine öffentliche Verlautbarung, jedoch besuchte sie Nicaragua im September 2022. Im Anschluss werden die Vertreter_innen der Mitgliedsstaaten über den Verbleib Nicaraguas auf der grauen Liste entscheiden. Der Besuch der Delegation und die anschließende Entscheidung darüber in der nächsten Sitzung der FATF wird zeigen, ob die fatale rechtsstaatliche und menschenrechtliche Situation im Finanzbereich Konsequenzen für Nicaragua hat. Es wäre im Hinblick auf ähnliche Entwicklungen in einigen anderen Ländern ein sehr wichtiges Zeichen dafür, dass internationale Standardsetzungsinstitutionen den massiven Missbrauch ihrer Standards nicht tolerieren und sanktionieren.

Die Autorin lebt und arbeitet in Zentralamerika und möchte aus Sicherheitsgründen anonym bleiben.