Politik

Neuer AidWatch-Bericht: Die europäische Entwicklungsfinanzierung lässt viel zu wünschen übrig

Der europäische NRO-Dachverband CONCORD hat seinen neuen AidWatch-Bericht 2022 veröffentlicht und darin besonders die europäische Unterstützung bei der Pandemie-Bekämpfung untersucht. Der Bericht zeigt auf, in welchen Bereichen die europäische Entwicklungspolitik besser werden muss. Die kurze Antwort lautet: fast überall.

Seit der rasanten globalen Verbreitung des Corona-Virus im Winter 2019/2020 drehte sich die internationale Zusammenarbeit stark um die Pandemie-Bekämpfung und die Abmilderung der direkten und indirekten Folgen von Gesundheitssystemüberlastungen, Lockdowns, Schulschließungen sowie Reise- und Grundrechtsbeschränkungen. In Uganda zum Beispiel waren die Schulen über fast zwei Jahre hinweg vollständig geschlossen. Insgesamt hat die Pandemie nach Schätzungen der Vereinten Nationen (UN) rund 90 Millionen Menschen in extreme Armut gestürzt und zu einer Steigerung bei der Ungleichverteilung von Einkommen beigetragen.

Tatsächlich wurden die globalen Auswirkungen der Pandemie und ihrer Folgen schnell erkannt und es zeigte sich zunächst ein Anstieg der Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe (im Folgenden auch Official Development Assistance – kurz ODA). Im weiteren Verlauf der Pandemie, so der AidWatch-Report, stellte sich jedoch im Jahr 2021 ein Rückgang der ODA-Ausgaben ein. Stattdessen zeigten die Europäische Union (EU) und ihre Mitgliedstaaten eine deutliche Fokussierung auf die wirtschaftliche Erholung innerhalb Europas. Das oft verkündete Motto eines globalen „Build Back Better“, wonach nachhaltigere, widerstandsfähigere und inklusivere Gesellschaften als Antwort auf die Corona-Krise geschaffen werden sollten, wurde von den EU-Staaten insgesamt eher halbherzig finanziert.

Gemeinschaftlich hat es die EU bisher in keinem Jahr geschafft, ihre selbstgesteckten Ziele bei der Entwicklungsfinanzierung zu erreichen. Lediglich vier Staaten (Luxemburg, Schweden, Deutschland und Dänemark) schafften es im vergangenen Jahr über die selbstgesteckte Marke von mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) für ODA zu kommen. Besonders deutliche Kürzungen bei den Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe gab es in Griechenland (minus 27 Prozent), in Schweden (minus 18 Prozent), in den Niederlanden (minus 10,5% Prozent und in Bulgarien (minus 6,9% Prozent).

Das Spenden überschüssiger Impfstoffe ist keine Entwicklungsfinanzierung

Die EU war einer der Hauptfinanziers der weltweiten Impfbemühungen und lieferte in großem Umfang Impfstoffe an internationale Partner, darunter beispielsweise rund 250 Millionen Dosen an afrikanische Länder bis Ende 2021. Auch beteiligten sich die EU-Mitgliedstaaten mit 2,4 Milliarden Euro an der internationalen Impfallianz COVAX. Allerdings horteten die EU-Mitgliedstaaten dem AidWatch-Bericht nach das 3,5-fache an Impfstoffen, den sie zur Deckung des eigenen Bedarfs brauchten. Die EU gab bereits im August 2021 bekannt, dass sie ihr Impfziel von 70 Prozent erreicht hatte. Der Aufkauf der weltweit verfügbaren Vorräte hat jedoch auch dazu beigetragen, dass einkommensschwächere Länder keine Impfstoffe in ausreichender Zahl erhalten konnten. Letztlich spendeten die EU und ihre Mitgliedstaaten viele ihrer überschüssigen Dosen (teilweise jedoch kurz vor ihrem Ablaufdatum) – was wiederum als ODA-Beiträge (also Entwicklungsgelder) gemeldet und in die offizielle Geberstatistik der OECD eingeflossen ist und vom AidWatch-Bericht stark kritisiert wird.

Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass jeder sechste Euro, den die EU und ihre Mitgliedsstaaten als ODA melden, eigentlich nicht als ODA zählen sollte. Im AidWatch-Bericht werden diese Gelder als „inflated aid“ – also gewissermaßen als aufgeblähte Entwicklungsfinanzierung – bezeichnet. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum hat sich der Anteil der aufgeblähten Entwicklungsfinanzierung erhöht. Neben den Spenden von überschüssigen Impfstoffen zählt der Bericht folgende Kostenkategorien als „inflated aid“: Kosten für Geflüchtete im Inland, Kosten für Studierende aus Entwicklungsländern, Schuldenerlasse sowie Zinszahlungen auf Kredite und Hilfeleistungen, die an den Einkauf von Produkten oder Dienstleistungen aus Geberländern geknüpft sind. Die deutschen ODA-Gelder haben laut AidWatch-Bericht in absoluten Zahlen einen der größten Anteile aufgeblähter Entwicklungsfinanzierung (vgl. Grafik).

Grafik: Ausgewiesene Entwicklungsfinanzierung und tatsächliche Entwicklungsfinanzierung nach Berechnung des AidWatch-Berichts

Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen sich weltweit solidarischer zeigen.

Leider steht es in diesem Kontext auch um die Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDG) schlecht: Im Zuge der Corona-Pandemie hat beispielsweise die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, erstmals seit fast 25 Jahren wieder zugenommen. Laut AidWatch-Bericht fällt es der europäischen Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe besonders schwer, die ärmsten Menschen der Welt zu erreichen.

Der Bericht konstatiert, dass die Erfahrungen im Umgang mit der Corona-Pandemie aus entwicklungspolitischer Sicht das Bild zeichnen, dass die EU vorrangig ihre eigenen Interessen verfolgt und die globale Solidarität zweitrangig und opportunistisch verfolgt. Eine Erfahrung, die sich leider auch in der aktuellen Energie- und Ernährungskrise zu wiederholen scheint.


Den AidWatch-Bericht 2022 können Sie unter folgendem Link herunterladen: https://aidwatch.concordeurope.org/2022-report/